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Kölns scheidender Kripo-Chef„Humor ist extrem wichtig in diesem Job“

Lesezeit 7 Minuten
Klaus-Stephan Becker

Der scheidende Kölner Kripo-Chef Klaus-Stephan Becker

  1. Klaus-Stephan Becker war sechseinhalb Jahre Chef der Kölner Kriminalpolizei, er geht am 1. Oktober in den Ruhestand.
  2. Im Interview spricht er über zwei herausragende Fälle in seinen 42 Jahren bei der Polizei.
  3. In Zukunft will die Polizei Köln potenzielle Gefährder wie Amokläufer und Stalker noch stärker in den Blick nehmen als bislang.

Köln – Auf dem Schreibtisch von Klaus-Stephan Becker steht ein Bilderrahmen, darin eine Karte mit dem Spruch: „Fun is not the enemy of work“, Spaß ist kein Feind der Arbeit.

Herr Becker, 42 Jahre lang waren Sie täglich mit Leid, Elend, Tod und Gewalt konfrontiert. Wie wichtig ist Humor in Ihrem Job?

Klaus-Stephan Becker: Extrem wichtig. Ich mag besonders den subtilen Humor. Ich weiß nicht, wie oft ich die Filme von Loriot gesehen habe – einfach genial. Wenn man in diesem Job alles immer nur bierernst nimmt und keine Zeit hat, auf dem Flur mal einen Scherz zu machen, ist das ungesund.

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Sie hatten mit Islamisten zu tun, mit Rechtsradikalen, Rockern, Amokläufern und Missbrauchstätern. Sie haben in derart viele menschliche Abgründe geblickt. Wie hat das Ihr Menschenbild verändert?

Naja, eine gewisse berufliche Deformation kann ich nicht ausschließen. Ich habe wohl zu viele schlechte Menschen kennen gelernt. Wahrscheinlich ist meine Betrachtung deshalb kritischer als die von jemandem, der nicht all die Informationen hat, die ich habe. Aber die Welt ist nicht nur schlecht. Es gibt auf der anderen Seite auch so unglaublich viele Menschen, die sich für die Gesellschaft engagieren.

Sie haben mal gesagt, der Golfplatz sei der einzige Ort, an dem Sie völlig von der Arbeit abschalten können. Warum?

Weil es gar nicht anders geht. Man muss sich einfach auf diese kleine, weiße Kugel konzentrieren, sonst gibt das nichts. Ich bin trotzdem ein ziemlich miserabler Golfspieler, aber hin und wieder treffe ich mal einen Ball richtig gut und freue mich. Aber darum geht es auch gar nicht: Hauptsache, ich bin an der frischen Luft und es macht den Kopf frei. Beim Mountainbiken im Königsforst funktioniert das übrigens auch sehr gut.

Klaus-Stephan Becker 2

Seit 2016 ist die Kriminalität in Köln um 30 Prozent gesunken, die Aufklärungsquote auf über 50 Prozent gestiegen – vermutlich ist das die beste Bilanz eines Kölner Kripochefs aller Zeiten. Wie viel davon schreiben Sie sich selber zu und wie viel Corona?

Es ist das Verdienst der Menschen in dieser Behörde, der Rückgang begann ja schon vor Corona. Der Hauptgrund ist die strategische Neuaufstellung nach der Silvesternacht 2015, die Jürgen Mathies als Polizeipräsident eingeleitet und sein Nachfolger Uwe Jacob fortgesetzt hat. Corona war nochmal ein Katalysator, hat aber nicht nur gedämpft. Die Straßenkriminalität ist zwar in dieser Zeit stark gesunken, aber die Zahlen beim Betrug im Internet zum Beispiel sind um fast 40 Prozent gestiegen. Und ich fürchte, diese Entwicklung wird bleiben, das geht nicht mehr weg.

Worum wird sich Ihr Nachfolger oder Ihre Nachfolgerin jetzt besonders kümmern müssen?

Neben der Organisierten Kriminalität ist der Bereich Staatsschutz besonders virulent. In Köln lebt eine kleine, zweistellige Zahl von islamistischen Gefährdern. Im Moment herrscht auf diesem Feld nur scheinbar Ruhe. Es gibt viele Haftentlassungen und manche haben sich im Gefängnis weiter radikalisiert. Außerdem gibt es Rückkehrer aus Syrien. Der gesamte Bereich kriminalpolizeilicher Gefahrenabwehr wird uns in Zukunft viel beschäftigen.

Was bedeutet das?

Es gibt zurzeit Überlegungen, eine eigene Dienststelle einzurichten, die sich ausschließlich mit Gefahrenabwehr beschäftigt. Wir wollen da auch eng mit den Landschaftsverbänden, mit Psychiatrien und dem Gesundheitsamt zusammenarbeiten. Die Polizei NRW hat ein neues Handlungskonzept aufgelegt mit dem Namen „PeRiskoP“, Personen mit Risikopotenzial. Die müssen wir beobachten. Da sind Menschen dabei, die psychisch erkrankt sind, potenzielle Amokläufer, Stalker. Auch wenn diese Leute strafrechtlich vielleicht noch nicht groß auffallen, können sie sehr gefährlich werden.

Welcher Kriminalfall hat Sie in 42 Jahren am meisten bewegt?

Es sind zwei. Der erste ist die Loveparade in Duisburg (Bei einer Massenpanik 2010 starben 21 Menschen, mehr als 600 wurden verletzt, d. Red.). Ich war an diesem Tag mit meiner Frau im Auto unterwegs und hörte im Radio von dem Unglück. Ich sagte spontan zu ihr: „Was für ein armer Teufel, der mal diese Ermittlungen leiten muss.“ Zwei Tage später war klar: Der arme Teufel war ich. Da musste ich erstmal tief Luft holen. Ich ahnte: Da wirst du nicht in drei Wochen mit fertig. Es wurden mehrere Jahre.

Loveparade

Die tödliche Loveparade-Katastrophe im Juli 2010 hat viel Leid, aber auch viele offene Fragen hinterlassen.

Das Verfahren ist 2020 eingestellt worden, ohne Urteil. Wie bewerten Sie das?

Ich verstehe das. Es ist ein Sachverhalt, der eigentlich nicht justiziabel ist. Das war ein so komplexes Geschehen. Da nun einzelne Schuldige herauszupicken – das ist mit den Mitteln des Strafrechts nicht abzubilden. Es waren Fahrlässigkeitsdelikte, es hat ja niemand absichtlich diese Katastrophe herbeigeführt. Meine Messlatte war immer: Die Aufarbeitung darf nicht daran scheitern, dass die Polizei nicht sauber ermittelt hat. Und es gab ja auch später keine Kritik in diese Richtung.

Was ist der zweite Fall, der Sie nicht loslässt?

Anis Amri. Ich war bis Anfang 2016 Abteilungsleiter Staatsschutz im Landeskriminalamt. Nicht nur ich habe geahnt: Wenn jemand in Deutschland einen islamistischen Anschlag begehen will, dann Amri. Wir haben alles daran gesetzt, ihn von der Straße zu kriegen. Aus den verschiedensten Gründen hat das aber nicht funktioniert. Als Amri aus NRW nach Berlin ging, wurde er hier als Gefährder ausgestuft. Und als kurz vor Weihnachten der Anschlag auf dem Breitscheidtplatz in Berlin geschah, sagten Uwe Jacob und mein damaliger Ermittlungsgruppenleiter im LKA und ich sofort unisono: Hoffentlich war das nicht Amri. Aber er war es. Es ist absolut tragisch, dass es den deutschen Sicherheitsbehörden nicht gelungen ist, diesen Mann zu stoppen.

Amri Spur nicht nachgegangen

Mit einem LKW ist Anis Amri am 19. Dezember 2016 in den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz gefahren.

Warum nicht?

Er war eine tickende Zeitbombe, so haben wir ihn immer bewertet. Wir haben alle Register gezogen, auch eine Abschiebung geprüft, aber wir hatten keine rechtlichen Möglichkeiten. Er hat hier in NRW bis auf ein paar Bagatelldelikte keine Straftaten begangen. Heute wäre es rechtlich leichter, ihn abzuschieben. Man lernt ja aus so etwas.

Fällt es Ihnen eigentlich schwer, jetzt aufzuhören?

Ich gehe mit zwei lachenden Augen – eines guckt zurück auf 41 Jahre und elf Monate in einem Beruf, der mir immer Spaß gemacht hat. Was ich hier erleben durfte bei vollen Bezügen… da würden andere noch Geld für bezahlen. Das zweite Auge guckt nach vorne: mehr Freizeit, eine neue Freiheit. Wenn man sich mal den Zollstock des Lebens anguckt und sieht, wie viel davon schon weg ist und wie viele Zentimeter man noch hat, dann kommen jetzt hoffentlich die guten, die fetten Jahre (lacht).

Zur Person: Klaus-Stephan Becker

Klaus-Stephan Becker, 62, ist in Aachen geboren und in Köln-Höhenhaus aufgewachsen. 1980 fing er als Kriminalkommissaranwärter bei der Polizei Köln an. Während seiner Zeit als Sachbearbeiter für Wirtschaftskriminalität absolvierte er nebenbei ein BWL-Studium.

Nach Stationen im Rheinisch-Bergischen Kreis, im Rhein-Sieg-Kreis und bei der Bezirksregierung wurde Becker 2012 Chef der Staatsschutzabteilung im Landeskriminalamt NRW. Ab 2016 leitete er die Kriminalpolizei in Köln mit zurzeit ungefähr 1200 Ermittlerinnen und Ermittlern.

Becker leitete unter anderem die Ermittlungen zur Unglücksursache der Loveparade 2010 in Duisburg, bei der 21 Menschen in einer Massenpanik starben.

Sie werden nichts vermissen?

Ich bin und bleibe natürlich Kriminalist und werde nach wie vor im „Kölner Stadt-Anzeiger“ verfolgen, was hier in der Behörde so los ist. Ich war immer 24/7 erreichbar, habe auch am Wochenende und im Urlaub Mails und Anrufe beantwortet. Das muss man bestimmt nicht so machen, aber ich bin damit immer gut gefahren. Aber alles hat seine Zeit. Und keine Sorge: Ich werde als Pensionär garantiert nicht von außen kluge Ratschläge aufs Spielfeld rufen. Ausgeschlossen. Was ich besonders toll finde: Meine Frau hört am selben Tag auf zu arbeiten wie ich. Alles andere wäre auch wirklich blöd gewesen. Dann hätte ich jeden Morgen einen Auftragszettel am Kühlschrank vorgefunden.

Der hängt da vielleicht trotzdem.

Nee, das glaube ich nicht. Wir starten jetzt zusammen in ein neues Leben.