Lebenshilfe KölnSeit 60 Jahren unterstützt der Verein Menschen mit Behinderungen

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Matthias Toetz, Silke Mertesacker und Annette Lantiat (v.l.) im Café Wo ist Tom von der Lebenshilfe Köln

Matthias Toetz, Silke Mertesacker und Annette Lantiat (v.l.) im Café Wo ist Tom von der Lebenshilfe Köln

Mülheim/Sülz – „Ich wünsche mir, dass ich mal Schauspielerin werde und bei dem Film Bodyguard mitspielen kann. Ich möchte auch berühmt werden als Sängerin.“ Rosi ist 16, wohnt noch bei ihren Eltern und besucht die Offene Schule Köln.

Ihre Wünsche und Träume unterscheiden sich nicht sehr von Gleichaltrigen ohne Behinderung. Wobei, „Menschen mit Behinderungen haben in Bezug auf ihren Beruf häufig besonders große Träume, die sich meist leider nicht realisieren lassen“, weiß Annette Lantiat von der Kölner Lebenshilfe.

Praktikum für Menschen mit Behinderung

Deshalb ist das Café „Wo ist Tom?“, das die Lebenshilfe an der Zülpicher Straße in Sülz betreibt, ein so wichtiger Schritt gewesen. Seit mehr als fünf Jahren können in dem inklusiven Café auch Menschen mit Behinderungen ein Praktikum machen oder sogar dauerhaft eine Anstellung finden. „Wir betreiben hier Integration in den ersten Arbeitsmarkt“, sagt Matthias Toetz, einer der Geschäftsführer der Lebenshilfe Köln, die in diesem Jahr ihren 60. Geburtstag feiert. 40 Prozent der Mitarbeiter haben Handicaps, einige von ihnen arbeiten inzwischen schon seit Jahren im „Wo ist Tom?“.

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DAS CAFÉ

„Wo ist Tom?“, Zülpicher Straße 309, Tel: 0221/ 16864477. Öffnungszeiten: Mo bis Fr, 9-19 Uhr, Sa und So, 10 - 19 Uhr. Das Café ist bekannt für seine köstlichen Backwaren. Es gibt aber auch Frühstück und andere herzhafte Spezialitäten.

www.wo-ist-tom.de

Das Café ist ein Vorzeigeprojekt der Lebenshilfe Köln, das inzwischen ohne die Anschubförderung der Aktion Mensch auskommt, und das das Anliegen der Lebenshilfe zeigt: „Wir wollen Menschen mit Behinderungen aus den Einrichtungen herausholen, sie nicht dezentral „aufbewahren“, sondern mitten ins Leben holen“, sagt Toetz. Und so auch Berührungsängste bei den vermeintlich „Normalen“ abbauen.

Idee des Außenarbeitsplatzes

So seien etwa Werkstätten zwar immer noch unverzichtbar, um vielen Menschen mit Handicaps einen Arbeitsplatz zu bieten, aber die Idee des Außenarbeitsplatzes findet immer häufiger Anwendung. „Das heißt, der Mensch ist zwar in der Werkstatt angestellt, arbeitet aber nicht dort, sondern zum Beispiel in einem Krankenhaus oder einer Schulkantine oder in einem Seniorenheim“, erklärt Toetz. „Lebens(t)räume erobern“ heißt deshalb auch das Motto, das sich die Lebenshilfe Köln für ihr Geburtstagsjahr gegeben hat. „Ein großes Fest würde nicht zu uns passen, weil wir so vielfältig sind“, sagt Toetz.

GESCHICHTE UND GEBURTSTAGS-FLASHMOB

Der Niederländer Tom Mutters gründete 1958 die Lebenshilfe in Marburg, ein Jahr später entstand der Kölner Ortsverein. Mutters starb vor drei Jahren im Alter von 99 Jahren. Einer seiner vier Söhne ist mit Guido Maria Kretschmer verpartnert. Die LebenshilfeKöln feiert ihren 60. Geburtstag das ganze Jahr über mit zahlreichen Veranstaltungen. Am Samstag 6. April, um 11 Uhr gibt es einen Flashmob auf der Domplatte. Alle Veranstaltungen des Jubiläumsjahres finden sich im Internet.

www.60jahre-lebenshilfekoeln.de

Deshalb stehen viele kleine Veranstaltungen, wie Flashmobs, Lesungen, Kinoabende, eine Rheinschifffahrt und – dann doch – ein großes Sommerfest auf dem Jahresfestprogramm. Die Vielfalt der Veranstaltungen spiegelt den langen Weg, den die Lebenshilfe Köln zurückgelegt hat seit ihrer Gründung im Jahr 1959.

Das absurde Bild der Nazis

Der Niederländer Tom Mutters (daher auch der Name des Sülzer Cafés „Wo ist Tom?“) hatte nach dem Zweiten Weltkrieg von der UNO den Auftrag erhalten, zu sondieren wie in Deutschland Behinderte betreut werden. „Damals wurden Kinder bis ins Erwachsenenalter hinein zu Hause behalten“, weiß Silke Mertesacker, die zweite Geschäftsführerin der Kölner Lebenshilfe.

Das Bild der Nazis vom perfekten Menschen sorgte noch dafür, dass man Kinder mit Handicaps versteckte, sich schämte. Außerdem gab es nichts, wo sie hingehen konnten. Die Lebenshilfe – Mutters selbst lebte in Marburg und gründete dort 1958 zunächst die Bundesvereinigung Lebenshilfe – sorgte sukzessive dafür, dass es Angebote gab für geistig Behinderte, wie man damals noch sagte. Heute ist im Sprachgebrauch von „Menschen mit Behinderung“ die Rede.

Weg ins inklusive Berufsleben

Erst wurden Kindergärten und Werkstätten aufgebaut, später kamen ambulante Angebote hinzu, in der Anfangszeit richtete man das Hauptaugenmerk auf Kinder, heute geht es verstärkt auch darum, Erwachsenen Teilhabe in der Gesellschaft zu ermöglichen und sie auf ihrem Weg ins inklusive Berufsleben zu fördern. Außerdem mietet die Lebenshilfe Wohnungen, die sie wiederum untervermietet, um ihrer Klientel ein unabhängiges Leben, jenseits des Elternhauses, zu bieten.

Und dann können vielleicht auch Lebensträume wahr werden, wie der von Willy (30), der im Anna-Roles-Haus in Porz lebt und im Clara-Fey-Haus, einer Caritas-Werkstatt in Kalk, arbeitet: Ich würde gern ein schönes Liebesgedicht machen über meine Freundin. Ich würde gerne mit meiner Freundin in ein Konzert gehen, ein Konzert mit Gesang. Selbst Musik macht Willy schon: Im inklusiven Chor Herzklopfen ist er mit Begeisterung dabei.

Der inklusive Chor Herzklopfen probt immer dienstags von 18 Uhr bis 19.30 Uhr in der Geschäftsstelle der Lebenshilfe Köln in Mülheim, an der Berliner Straße 140-158. Neuzugänge sind herzlich willkommen.

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