Kölner Long Covid Patienten erzählen„Ich konnte meinen Arm kaum heben“

Lesezeit 11 Minuten
Wolfgang Stier steht zwischen zwei Häusermauern und hat seine linke Hand an den Backstein gelegt. Er trägt eine dunkle Adidas-Jacke, darunter ein Hemd und schwarzen Pullover. Er hat kurze, graue Haare.

Wolfgang Stier erkrankte schwer an Corona und lag mehrere Wochen im Koma.

Drei Long-Covid Patienten berichten über ihre Corona-Infektion und die Zeit danach. Zum Beispiel: Eine Nationalspielerin, die durch die Infektion zu einer Pause gezwungen wurde.

Erschöpfung, Muskelschmerzen, Herzrasen und Kurzatmigkeit – solche Symptome sind typisch für eine Corona-Infektion. Bei einigen Patienten verschwinden sie jedoch auch dann nicht, wenn der Schnelltest nur noch einen Strich anzeigt. Über Post-Covid beziehungsweise Long-Covid, die Krankheit nach der Krankheit, ist auch nach fast drei Jahren Pandemie nur wenig bekannt. 

Was passiert im Körper, wenn das Virus ihn verlassen hat? Dieser Frage stellen sich derzeit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der sechs nordrhein-westfälischen Unikliniken. Rund 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die eine Corona-Erkrankung überstanden haben, werden im Rahmen der sogenannten „Beyond Covid-19“-Studie regelmäßig untersucht und sollen über einen Zeitraum von über vier Jahren nachbeobachtet werden. Im Fokus stehen die gesundheitlichen und psychosozialen Folgen der Krankheit.

Denn hier liegt das Problem: Wie behandelt man eine Krankheit, über die man kaum etwas weiß? Wie viele Menschen genau in Deutschland von Long Covid betroffen sind, ist immer noch unklar. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schätzen die Zahl auf europaweit 17 Millionen Menschen. Ein Team des „Institute for Health Metrics and Evaluation“ in Seattle wertete im Oktober dutzende Studien aus und stellte fest: Long Covid betrifft häufiger Frauen als Männer, zudem erkranken Erwachsene deutlich häufiger als Kinder. Je heftiger der Covid-Verlauf zudem ist, desto größer ist das Risiko für Long Covid. Sechs Prozent der Infizierten haben nach drei Monaten immer noch Covid-Symptome, ein Prozent sogar noch nach einem Jahr.

Alles zum Thema Long Covid

Ein einheitliches Krankheitsbild gibt es aber nach wie vor nicht. Bis zu 200 Symptome gehören Long Covid an, die häufigsten davon Müdigkeit, Geschmacksverlust, Kurzatmigkeit, Konzentrationsstörungen und Erschöpfungszustände. Die Zahl der Menschen, die an dem durch Viruserkrankungen ausgelösten Chronischen Fatigue-Syndrom (ME/CFS) leiden, wird sich in Deutschland durch die Corona-Pandemie schätzungsweise verdoppeln. Eine Behandlung der Ursachen von Long Covid ist bis heute nicht möglich; Mediziner versuchen lediglich, die Symptome der Patienten zu lindern.

Covid-Patientin (anonym): „Das ständige Ausruhen macht einsam“

Bevor ich mich im März mit Corona infizierte, hatte ich keine Angst vor der Krankheit, auch wenn ich natürlich vorsichtig war. Meine Symptome ähnelten eher einer sehr starken Erkältung, es war nichts Bedrohliches. Doch die Erschöpfung, das Herzrasen, die Kopfschmerzen und der sogenannte Brainfog  sind geblieben. Auch heute bin ich schlapp, denn ich war gestern im Supermarkt. Das war wohl etwas viel.

Seit März bin ich wegen Long Covid krankgeschrieben und kann nicht mehr als Lehrerin arbeiten. Die Konzentrationsschwierigkeiten merke ich beispielsweise beim Lesen eines Buches. Meinen Kindern vorzulesen ist für mich eine Herausforderung. Mir wird schwindelig, die Kopfschmerzen und das Herzrasen nehmen zu, nach wenigen Minuten brauche ich eine Pause. Anfangs ging mein Puls auf 130, wenn ich das Bett verließ. Einmal habe ich die Kinder aus dem Kindergarten abgeholt und lag danach zwei Tage nur im Bett, hatte keine Kraft aufzustehen. Heute habe ich das Herzrasen und die Kopfschmerzen nur noch an Tagen, an denen ich sehr erschöpft bin, denn ich teile mir meine Energie sorgfältig ein. Ich unternehme fast nichts, verbringe sehr viel Zeit alleine im Stillen. Dadurch sind die Symptome besser geworden. Aber das ständige Ausruhen macht auch einsam.

„Ich kann am Leben meiner Kinder nicht mehr teilnehmen“

Ich habe das Gefühl, an dem Leben meiner Kinder außerhalb unseres Zuhauses nicht mehr teilnehmen zu können. Das schmerzt mich am allermeisten. Ich kann nicht mit ihnen in den Park gehen, um Fußball oder Fangen zu spielen. Ich kann ihnen nicht einfach ein Buch vorlesen oder ein Spiel mit ihnen spielen.

Es fiel mir schwer zu sehen, wie viele Menschen in meinem Umfeld im Frühjahr Corona bekamen und kurz darauf wieder fit waren. Währenddessen habe ich gemerkt: Bei mir stimmt etwas nicht. Das war eine Phase, in der die Ärzte noch sagten: Vier bis sechs Wochen, sechs bis acht Wochen, drei Monate Symptome - das ist doch normal. Es ist belastend, wenn man nicht weiß, was mit dem eigenen Körper los ist. Ich habe eine Atemtherapie gemacht, verschiedene Vitamininfusionen und eine Ozontherapie. Jetzt arbeite ich in einer Psychotherapie daran, die Krankheit anzunehmen. Doch ich fühle mich dabei oft hilflos, denn man kann nicht sagen: Mach dies und jenes, dann geht es dir besser. Klar, ich kann mich ausruhen, um die körperlichen Symptome zu lindern. Aber auf Aktivitäten, durch die es einem mental oft besser geht – Ausflüge mit Freunden und Sport zum Beispiel – muss ich verzichten.

In der Ergotherapie lernte ich, meinen Tag so zu strukturieren, dass ich nie über meine Grenzen gehe und Energie spare. Wie ich meinen Haushalt umgestalten kann, um mir den Alltag zu erleichtern. Dazu gehört auch, dass ich das Handtuch niedriger aufhänge, damit ich den Arm nicht so hoch heben muss. Mein neuer Alltag besteht aus vielen Pausen: Nach dem Frühstück, nach dem Duschen, auch nach diesem Telefonat. Trotzdem versuche ich das Positive zu sehen: Wenn ich mir meine Kraft gut einteile, schaffe ich es, mir jede Woche auch schöne Momente zu setzen – zum Beispiel Kaffee trinken mit einer Freundin, die zu Besuch kommt. Mein Umfeld geht zum Glück sehr, sehr gut mit der Krankheit um.

Heute bereitet mir der Gedanke Sorge, mich erneut mit Corona zu infizieren. Was, wenn die Symptome dann noch schlimmer werden? Ich kenne Long Covid Betroffene, die gar nicht mehr das Haus verlassen können und wirklich nur im Bett liegen. Davor habe ich große Angst.

Lea Badura (19): „Spazieren gehen fand ich total anstrengend“

Drei oder vier Tage nach meiner Covid-Infektion bekam ich Kopfschmerzen, die immer stärker wurden, irgendwann war es fast wie Migräne. Nach gut einer Woche war ich wieder negativ, fühlte mich aber immer schlechter. Die nächsten zwei Wochen lag ich nur im Bett – schon aufs Handy zu gucken, war zu anstrengend. Ich hatte Schmerzen in der Brust und bekam schwer Luft, manchmal dachte ich, wenn das so weiter geht, erstickst du. Meine Eltern haben mich dann zum Hausarzt gebracht, der mich beruhigte und verordnete, häufiger mein Asthmaspray zu nehmen. Wahrscheinlich hat das Asthma dazu beigetragen, dass ich verhältnismäßig schwere Symptome entwickele. An meinem Alter kann es nicht liegen und an meiner Lebensweise auch nicht: Als Eishockeyspielerin (Anm. d. Red: Lea Badura ist Nationalspielerin) mache ich ein- bis zweimal am Tag intensiv Sport und bin fit.

Nach drei Wochen konnte ich wieder ein paar Treppen laufen, aber es war sehr anstrengend. Ich dachte: Wenn das so weitergeht, wirst du nie wieder richtig gesund, deinen Leistungssport kannst du vergessen. Das alles war sehr frustrierend.

Nach gut vier Wochen sind die Erkältungssymptome weniger geworden und ich konnte wieder zur Schule gehen. Aber es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren, an normales Mitarbeiten oder Klausuren schreiben war nicht zu denken. Schon spazieren gehen fand ich total anstrengend. Immerhin wurden die Brustschmerzen weniger und ich bekam etwas besser Luft.

Ich habe mich dann am Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Sporthochschule Köln durchchecken lassen – die arbeiten ohnehin mit dem Nationalkader zusammen. Mit dem Herzen und der Lunge war alles in Ordnung, nur die Ausdauerwerte waren durch die lange Pause natürlich schlechter.

Nach ungefähr zwei Monaten bin ich zum ersten Mal wieder Schlittschuhlaufen gegangen – ich wollte eigentlich nur fahren, wie andere spazieren gehen, merkte aber, dass es doch schon wieder ganz gut ging. Ein paar Tage später bin ich wieder ins Training eingestiegen. Ungefähr vier Monate nach der Infektion hatte ich meine alte Leistungsstärke zurück. Mein Trainer hat anfangs nicht gewusst, wie schwach ich war und gesagt, ich könne die Übungen in Quarantäne hervorragend zu Hause machen – aber als mit ihm gesprochen habe, war er sehr verständnisvoll.

Als ich die Infektion hatte, gab es noch keinen Impfstoff. Inzwischen bin ich natürlich geimpft. Vor ein paar Monaten hatte ich nochmal einen positiven Test – aber nur leichte Erkältungssymptome. Corona hat mich gelehrt, dass jeden eine schwere Erkrankung treffen kann. Ich bin dankbar, inzwischen wieder gesund und voll leistungsfähig zu sein.

Lea Badura (19) studiert Bio-Chemie in Heidelberg. Sie ist Eishockey-Nationalspielerin und spielt in der 1. Bundesliga für die Mad Dogs Mannheim. Am Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Sporthochschule Köln hat sie an einer Studie mit Sportlerinnen und Sportlern teilgenommen, die schwere Covid-19-Verläufe hatten.

Wolfgang Stier (58): „Meine Familie hat jeden Tag mit der schlimmsten Nachricht gerechnet“

Fast vier Wochen war ich in Merheim an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Für viele Tage war ich dem Tod näher als dem Leben, sagten mir die Ärzte später. Ein Jahr hat es gedauert, bis ich nach zwei Rehas und etlichen Rückschlägen meine Arbeit als Schlosser in einer Süßigkeitenfabrik wieder aufnehmen konnte. Auch wenn die Normalität zurückgekehrt ist, hat sich mein Leben durch meine Corona-Erkrankung grundlegend verändert: Das, was wohl fast jeder von uns meistens tut – die eigene Sterblichkeit zu verdrängen – funktioniert bei mir nicht mehr. Ich lebe bewusster, seit ich aus dem künstlichen Koma erwacht bin und mühsam lernen musste, meine Muskeln wieder zu bewegen. Ich weiß, dass es jederzeit vorbei sein kann. Dass ich wieder arbeite, den Alltag so lebe wie vorher, zurück im Hamsterrad bin, fühlt sich manchmal seltsam an – aber es ist auch gut so.

Meine Erinnerung setzt am Morgen des 27. Oktober 2020 aus. Kurz vorher, ich lag schon unter einer Sauerstoffmaske, habe ich meiner Schwester auf dem Handy geschrieben: „Ich fühle mich, als würde ich ertrinken, aber ohne Wasser.“ Dann wurde ich intubiert.

Das Coronavirus hatte meine Lunge verklebt. Die Ärzte sagten meiner Frau jeden Tag mehrmals: „Wir tun, was wir können.“ Ich wurde an eine künstliche Lunge angeschlossen, ein so genanntes ECMO-Gerät. Die Überlebenschance von ECMO-Patienten mit schwerstem Coronaverlauf lag damals bei rund 50 Prozent. Als die Tante meiner Frau beerdigt wurde, während ich im Koma lag, haben Verwandte auf der Beerdigung auch für mich Kerzen angezündet. Sie haben jeden Tag mit der schlimmsten Nachricht gerechnet.

Acht Tage vor der Intubation war ich zum letzten Mal arbeiten. Es fing mit Grippesymptomen an. Ich habe mich schlapp gefühlt; mich ins Bett gelegt, Tee getrunken, leichtes Fieber bekommen. Am Wochenende stieg die Fieberkurve, am Montag waren wir beim Hausarzt. Am Nachmittag rief die Praxis an und sagte, ich hätte eine schwere bakterielle Infektion und müsste ins Krankenhaus. Meiner Frau habe ich beim Abschied gesagt: „Ich glaube, das könnte schwieriger werden und länger dauern.“ Ich hatte so ein Gefühl. In der Klinik kam relativ bald die Covid-19-Diagnose. Ich kam auf Intensiv, habe das Medikament Remdesivir bekommen, mir ist Sauerstoff zugeführt worden.

Wenn ich heute lese, was für Medikamente ich bekommen habe, wie die Entzündungswerte stiegen, was die Ärzte prognostizieren, wird mir schwindelig.  Lange hatte ich neurologische Probleme in der Folge. Der Strecker des Sprunggelenks funktionierte nicht, ich konnte den rechten Arm kaum heben. Wenn ich eine Tasse hielt, zitterte meine Hand. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus mussten meine Kinder mir helfen, ins Bad zu kommen. Süßes hat plötzlich bitter geschmeckt. Der Geschmack ist langsam zurückgekehrt, er ist aber nicht so ausgeprägt wie vorher.

„Ich bin plötzlich in Tränen ausgebrochen“

In den ersten Wochen und Monaten hat mich die Wucht der Ereignisse oft eingeholt: Ich konnte nicht schlafen, habe im Bett gelegen und bin plötzlich in Tränen ausgebrochen. Das ist viel besser geworden. Angst habe ich nicht mehr. Aber woran liegt es, dass ich immer noch Probleme mit den Sprunggelenken habe? War ich vor Corona auch ab Mitte der Woche so erschöpft? Oder ist es doch eine Form von Long Covid?

Gerührt haben mich die Begegnungen beim Wiedersehen von Ärzten und Pflegerinnen in Merheim. Ein Pfleger kam auf mich zu, hat mich mit Namen begrüßt. Er sagte, dass er mich lange betreut habe und er eine Zeit lang nicht damit gerechnet hätte, dass ich es schaffe. Als er sagte, dass es ihn sehr freue, mich so zu sehen, sind ihm die Tränen gekommen - und mir auch. Wenig später kam ein Arzt, der sagte: „Mensch, Sie sehen aber gut aus, Herr Stier!“ Diesen Menschen verdankst du dein Leben!, schoss es mir durch den Kopf.

Als ich im Koma lag, haben die Ärzte und Pfleger mehrmals am Tag mit meiner Familie telefoniert. In der Zeit des Besuchsverbots war es die einzige Möglichkeit, um informiert zu bleiben über meinen Gesundheitszustand. Meiner Familie hat das enorm geholfen, die Hoffnung zu behalten und mit der Situation irgendwie zurechtzukommen. Wenn ich nach Merheim kam und ein Paket Haribos mitbrachte, habe ich mich gefühlt, als würde ich nach Hause kommen.

Ein Jahr nach meiner schweren Covid-19-Infektion bin ich zurückgekehrt zur Arbeit. Die Kollegen haben mich supernett empfangen, wie auch der Arbeitgeber sehr empathisch war – ich hatte nie das Gefühl, in irgendeiner Weise unter Druck gesetzt zu werden. Dass man mich mit Samthandschuhen angefasst hat, hat mir natürlich auch gezeigt, wie ernst meine Erkrankung war.

Im Moment bin ich dankbar, die schwere Covid-Erkrankung überlebt zu haben. Ich bin 58 und überlege, was ich noch gern machen möchte, was mir wichtig ist – und was nicht. Klar ist mir geworden, dass ich nicht viel brauche, um zufrieden zu sein: Kein eigenes Haus, keinen Luxus. Aber ich habe natürlich auch noch ein paar Träume: Mit meiner Frau im Camper durch Europa reisen, zum Beispiel. Die Pandemie, und mehr noch der Krieg in der Ukraine und die Inflation, haben diese Träume in Frage gestellt. Wird die Rente reichen, wenn ich in fünf Jahren in den Ruhestand gehe? Ist Camper fahren dann noch bezahlbar? Und Europa ein friedlicher Ort?

Nicht nur mein Leben ist in den vergangenen zwei Jahren aus dem Gleichgewicht geraten, die ganze Gesellschaft ist in der Krise. Umso wichtiger ist die Familie, sind gute Freunde und Kollegen - und Gesundheit. Ohne die ist alles nichts.

KStA abonnieren