Nachruf auf Bensberger ChefarztGerd Eldering war Geburtshelfer für Tausende Kölner

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Als langjähriger Klinikchef des Vinzenz-Pallotti-Hospitals in Bensberg hat Gerd Eldering Tausende von Geburten begleitet

Als langjähriger Klinikchef des Vinzenz-Pallotti-Hospitals in Bensberg hat Gerd Eldering Tausende von Geburten begleitet

Köln – Immer wieder begegnet man in dieser Stadt Menschen, die bei der Frage, ob sie Kölner sind, verlegen lächeln und dann ein „eigentlich schon“ nachschieben. Dass in ihren Dokumenten nicht die stolze Stadt am Rhein, sondern ein kathedralenloser Nachbarort aufgeführt ist, bedauern manche zutiefst.

Verantwortlich für den Eintrag des aus hiesiger Sicht falschen Geburtsorts ist häufig eine Person, die seit Beginn der 1980er Jahre eine solche Sogwirkung entwickelte, dass werdende Väter aus Köln mit durchgedrückten Gaspedal nach Bergisch Gladbach-Bensberg rasten, derweil die Frau auf dem Beifahrersitz jede neu einsetzende Wehe tapfer wegzuatmen versuchte – fest drauf bauend, dass in der Obhut von Doktor Eldering alles gut werden würde. Am 13. Oktober ist der langjährige Chefarzt des Vinzenz-Pallotti-Hospitals gestorben.

Vater Gynäkologe, Mutter Kinderärztin

Gerd Eldering war der erste Mediziner hierzulande, bei dem die Frauen im Wasser gebären konnten. Als Geburtshelfer hat er zwar Tausende von Entbindungen durchgeführt, doch als Mensch kam es ihm zeitlebens auf Bindung und Verbindungen an – vielleicht, weil er selber schon früh Verlust erlitten hat. Nach Erzählungen seiner Kinder war er selber offenbar das Gegenteil eines pflegeleichten Säuglings, als er im Juni 1943 in Köln zur Welt kam.

Sein Vater Bram war Gynäkologe mit eigener Entbindungsklinik an der Flora, seine Mutter Kinderärztin, die offenbar kurz nach der Niederkunft beschloss, den kleinen Schreihals nach Hause zu holen – ohne ahnen zu können, dass sie ihrem Baby damit das Leben retten würde. Denn drei Tage nach der Geburt des kleinen Gerd wurde die Klinik durch eine Bombe zerstört und alle Neugeborenen kamen um.

Zahl der Todesfälle durch Gebärmutterhalskrebs verringern

Seine erste eigene Berührung mit dem Tod hatte Gerd Eldering mit acht Jahren, als eines seiner drei Geschwister – seine Lieblingsschwester Eva – starb. Vier Jahre später verlor er seinen Vater. Wie Bram Eldering studierte er Medizin und traf als junger Arzt im Evangelischen Krankenhaus Weyertal auf den Mann, der für ihn zu einer Art geistigem Ziehvater werden sollte: Professor Hans-Klaus Zinser, ein Pionier auf dem Gebiet der Zytodiagnostik dahingehend, dass er die Abstrich-Untersuchung für den sogenannten Pap-Test (benannt nach dem griechischen Arzt George Papanicolaou) richtig durchführte und somit dazu beitrug, die Zahl der Todesfälle aufgrund von Gebärmutterhalskrebs drastisch zu senken.

Dieses Erbe Zinsers weiterzutragen, betrachtete Eldering als eine seiner vorrangigen Aufgaben. „Er wollte immer, dass wir das super gut können“, betont Renate Hofmann, eine seiner ehemaligen Assistenzärztinnen, die genauso wie ihre in Köln praktizierende Kollegin Claudia Mlynek-Luhr zur langjährigen Wegbegleiterin und Freundin wurde.

Unkonventionelle Ideen berührten

Dabei hat es Eldering dem medizinischen Nachwuchs mit seinem autokratischen Führungsstil nicht immer leicht gemacht. Wer Knoblauch gegessen hatte, flog aus dem Operationssaal. Wer nur Sekunden zu spät kam, wurde von der Visite ausgeschlossen. Ab und an nahm er in einer ruhigen Minute kleine Manipulationen am Notfall-Gerät vor und zwang seine Mannschaft mit der Stopp-Uhr in der Hand zu „Findet-den-Fehler“-Übungen, die niemand lustig fand. Das war keine Schikane, sondern seine Art von Perfektionismus, „der wollte einfach, dass wir alles können. Schließlich konnte man im Notfall nicht erst auf den Techniker warten“, sagt Mlynek-Luhr, verheimlicht jedoch nicht, dass so manches Mal anschließend Tränen flossen.

Tränen flossen mitunter aber auch, weil dieser Mann mit seinen oft unkonventionellen Ideen unglaublich berühren konnte. Dass er noch während seiner Kölner Zeit im Weyertal eine Obdachlosenambulanz aufbaute, dass er sich nicht darum scherte, ob jemand krankenversichert war, dass er illegal hier lebende Frauen anonym gebären ließ, Frauen im Gefängnis betreute und sich dafür einsetzte, dass sie ihre Babys mit im Vollzug versorgen durften – all das gehört zu seinen Verdiensten.

Eldering wurde zur Symbolfigur für eine sanfte Entbindung

Im Jahr bevor Eldering 1980 Chefarzt des katholischen Vinzenz-Pallotti-Krankenhauses wurde, kamen dort nach Aussagen von Kliniksprecher Jörg Zbick gerade mal 165 Kinder zur Welt. Mitte der 90er Jahre waren es um die 2000 und somit zeitweise sogar mehr, als in den großen Kölner Geburtskliniken. Für unzählige junge Eltern wurde er zu einer Symbolfigur für die sanfte Entbindung. Ein Bild, das sich geradezu traumatisch in sein Gedächtnis eingebrannt hat, sollte sich in seiner Klinik nicht wiederholen können: Es ist das Gesicht eines verzweifelten Vaters, der seinen schreienden Säugling nur durch die Glasscheibe sehen kann, bevor dieser in die Kinderklinik abtransportiert wird.

Elderings Sohn Tim war dieser Junge, den man 1973 aufgrund einer Neugeborenen-Gelbsucht zur Amsterdamer Straße bringen musste. „Das war für meinen Vater eines seiner schrecklichsten Erlebnisse“, sagt der 44-Jährige heute.

Zu den ersten Dingen, die Eldering in Bensberg einführte, gehörte deshalb auch, „dass die Frauen ihr nacktes Baby auf den Bauch gelegt bekamen“, erzählt Elderings Ex-Assistenzärztin Hofmann. Um dem Neugeborenen in der für ihn fremden Umgebung ein Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln, wurde praktisch die gesamte Wöchnerinnen-Station in ein dem Uterus nachempfundenes Altrosa eingefärbt. Außerdem wurden Mutter und Kind einer wohltuenden Lichttherapie ausgesetzt.

Neue Technik bei Kaiserschnitten

Elderings Großvater war erster Geiger im Gürzenich-Orchester und ein enger Freund von Johannes Brahms. Möglicherweise rührt daher die Verbindung des Mediziners zur klassischen Musik. Jahrzehntelang müssen sich Kölner Politessen gefragt haben, ob Philharmoniekonzerte wehenfördernd wirken, weil direkt vor dem Konzertgebäude regelmäßig dieser Kleinwagen mit dem Schild „Arzt bei Entbindung“ stand. Der Halter des Fahrzeugs mit GL-Kennzeichen saß derweil beseelt in einer der vorderen Reihen . Man erkannte ihn an seinen in alle Himmelsrichtungen abstehenden weißen Haaren, die immer so wirkten, als habe er nach dem letzten Nickerchen das Kämmen vergessen.

Eldering war jemand, der das Chefarzt-Klischee einerseits auf wunderbare Weise sprengte, andererseits oft aber auch mehr als das Menschenmögliche von anderen verlangte. Er scherte sich eben nicht um Halteverbots-Schilder. Falsches Parken interessierte ihn nur, wenn es seinen persönlichen Klinikparkplatz betraf. Als sich einmal ein Streifenwagen dort hingestellt hatte, parkte der Klinikchef sein Auto so, dass die Polizisten nicht mehr wegfahren konnten, übergab der Sekretärin seinen Zündschlüssel und zwang die Beamten auf diese Weise zu warten, bis er im Operationssaal fertig war.

Ungeachtet ihres Rufs als Klinik für sanfte Geburt wurden in Bensberg natürlich auch Kaiserschnitte durchgeführt. Allerdings betrat Eldering auch auf diesem Gebiet Neuland, indem er die Technik eines Arztes aus Israel nach Deutschland brachte. Professor Michael Stark war es, der am Misgav-Ladach-Krankenhaus in Jerusalem bei der Sectio den Bauch nicht einfach aufschnitt, sondern die einzelnen Schichten möglichst stumpf durch Dehnen und Reißen öffnete. Dadurch war der postoperative Verlauf unkomplizierter und die Frauen konnten das Krankenhaus früher wieder verlassen. „Anfangs ist mein Vater wegen dieser Methode sehr angefeindet worden“, erinnert sich seine Tochter Svea Eldering, ebenfalls Gynäkologin. Wenig später wurde sie überall praktiziert.

„Unmögliches möglich und die Medizin menschlicher gemacht“

Bei einer anderen Neuerung, die zur Berühmtheit der Bensberger Klinik beitrug, kam Eldering das Glück in Form einer Totalverweigerung zur Hilfe. Eine Frau in den Wehen war schlicht und ergreifend nicht mehr dazu zu bewegen, die Badewanne vor der Geburt zu verlassen. Die Tatsache, dass ihr Kind gesund im Wasser zur Welt kam, veranlasste den Mediziner zu wissenschaftlicher Forschung auf dem Gebiet und schließlich zur Einrichtung von Gebärwannen.

Eldering war auch der erste, der in seiner Klinik Familienzimmer einführte – wiederum nur eine Konsequenz aus seinem Bindungs-Verständnis. Und er setzte durch, dass Eltern ihre totgeborenen Kinder auf dem Klinikgelände bestatten durften. Renate Hofmann und Claudia Mlynek-Luhr erinnern sich, wie sie als angehende Ärztinnen mitten in der Nacht mit Gummistiefeln und Spaten ausgestattet zum Graben geschickt wurde. Sie erinnern sich aber auch, wie Eldering in einem Notfall alle verfügbaren Polizei- und Feuerwehrleute für eine Warmblutspende herbeitrommelte. Ohne diese unkonventionelle Maßnahme hätte die Patientin nicht überlebt.

„Du hast Unmögliches möglich und die Medizin menschlicher gemacht“, heißt es in der Todesanzeige von fast 40 Weggefährten.

Mit Leidenschaft für Institutionen und Stiftungen eingesetzt

Die Vorahnung, dass ihm dies im sich verändernden Klinikalltag nicht mehr lange gelingen würde, hat ihn wohl mit dazu bewogen, seinen Chefarztposten im Jahr 2003 zu räumen und sich mehr seinen vielen anderen Aufgaben zu widmen; unter anderem dem von ihm gegründeten Zytologischen Institut nebst Schule. Bis zuletzt hat sich Eldering mit Leidenschaft für mehrere Institutionen und Stiftungen eingesetzt wie etwa für die Bono-Direkthilfe für Mädchen aus Zwangsprostitution in Nepal oder für die Schwangerschaftskonfliktberatung Donum Vitae. „Es gab kein Hindernis, das zu hoch oder zu schwierig gewesen wäre und das er nicht mit sehr viel Kreativität, Herzenswärme und fachlicher Kompetenz zu überwinden in der Lage gewesen wäre“, unterstreicht Bernadette Rüggeberg, Geschäftsführerin des Landesverbandes Donum Vitae NRW.

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ stand während Elderings Wirken an der Kreisssaaltür. Manchmal konnte man daraus Klänge von Vivaldis „Vier Jahrezeiten“ hören – stets den „Frühling“. In diesem Herbst ist Gerd Eldering im Alter von 74 Jahren in Bensberg gestorben.

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