Nachruf auf beliebten Kölner City-PfarrerKarl-Josef Daverkausen verkörperte den rheinischen Katholizismus

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Karl-Josef Daverkausen

Karl-Josef Daverkausen

Karl-Josef Daverkausen, in Köln geboren, aufgewachsen und viele Jahre tätig, wollte vor allem eins: für die Menschen da sein.

Der langjährige Pfarrer an der Basilika Sankt Gereon, Karl-Josef Daverkausen, ist am späten Abend des 10. April im Alter von 85 Jahren gestorben.

In Köln geboren, aufgewachsen und viele Jahre tätig, verkörperte Daverkausen das Beste am rheinischen Katholizismus: Er war humorvoll-verschmitzt, zugewandt, ein Liebhaber des Lebens, ein Menschenfreund – und in alledem ein Zeuge des Glaubens an einen menschenfreundlichen Gott.

Die kirchliche Jugendarbeit und die Begegnung mit imponierenden Geistlichen ließen in Daverkausen früh den Wunsch reifen, auch selbst den Priesterberuf zu ergreifen. Als Messdiener bewunderte er an der Uniklinik den dortigen Krankenhauspfarrer. „Das war kein Heiliger, aber einer, der für die Leute da war und viele in den Frieden mit Gott gebracht hat - wenn es sein musste, vorbei am Kirchenrecht.“ Diese Erinnerung Daverkausens aus Anlass seines goldenen Priesterjubiläums im Jahr 2014 charakterisiert auch ihn selbst und sein Verständnis vom geistlichen Amt.

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Geweiht wurde er 1964 von Kardinal Josef Frings – in einer Zeit, in der es im Erzbistum Köln wegen der großen Zahl an Priesterkandidaten zwei Weihetermine pro Jahr gab. Daverkausen kannte sie noch, die vollen Kirchen, den großen Zulauf zu Gottesdiensten und kirchlichen Angeboten – und er freute sich, wenn sonntags zur Messe in Sankt Gereon bei ihm die Bänke bis auf den letzten Platz gefüllt waren. Dass sich später die Reihen lichteten, das kirchliche Leben bröckelte, das hat Daverkausen – dann schon im Ruhestand – mit nüchterner Wehmut verfolgt.

Theologie bedeutete ihm viel. Wenn die Rede auf seine Studienzeit an der Universität Bonn kam, fiel schnell der Name eines jungen Professors, der Daverkausen faszinierte, weil er mit seinem Denken und seiner Sprache eine in Formeln und Dogmatismen erstarrte Lehre aufbrach. Mit Joseph Ratzinger, seinem theologischen Lehrer und von 2005 bis 2013 Papst Benedikt XVI., unterhielt Daverkausen zeitweilig sogar eine eigene Korrespondenz. Ihn, den ein Jahrzehnt Jüngeren, beschäftigte der Horror, den Ratzinger vor den 68ern und ihren drängenden Forderungen nach Reformen entwickelt hatte. Für Daverkausen waren Sturm und Drang der Jugend – auch in der Kirche – vielmehr ein Elixier.

Ein Türöffner mit Tiefgang

Nach Seelsorge-Stationen in Büderich-Meerbusch, Köln-Ehrenfeld und Pulheim kam Daverkausen 1985 zunächst als Studentenseelsorger und von 1990 bis 2003 dann als Pfarrer nach Sankt Gereon. Mit charismatischen Predigten und seinem Ruf als geistlicher Begleiter zog Daverkausen auch Katholiken an, die kirchenamtlich leicht durchs Raster fielen: Kritische Geister, Geschiedene, ehemalige Geistliche und Ordensleute, Homosexuelle. Sogar Katholiken, die aus der Kirche ausgetreten waren, fanden in Sankt Gereon ein neues geistliches Zuhause. Und in Daverkausen einen Türöffner mit Tiefgang und großer Sensibilität. Allwöchentlich hielt er in der Kirchenkrypta eine „Messe mit mehr Stille“, in der sich auch Menschen wohlfühlen durften, auf die Zeremoniell und katholisches Gepränge leicht befremdlich oder gar abweisend wirken mochten. Ein Wort wie „irregulär“ aus dem Behörden-Vokabular des Vatikans für alles, was im Beziehungsleben von Menschen aus dem Rahmen römischer Vorgaben fällt, wäre Daverkausen nie über die Lippen gekommen.

Zusammen mit der in der Flutkatastrophe 2021 gestorbenen Galeristin Inge Baecker machte er die romanische Basilika, deren große Geschichte und kunsthistorischer Rang ihm viel bedeuteten, auch zu einem Ort moderner Kunst. Wie immer, gewährte er hier auch den Kunstschaffenden Freiräume, gab ihnen Möglichkeiten zur Entfaltung, ließ sich von ihnen anregen und wirkte dadurch selbst wieder inspirierend. „Er hat einen immer da gepackt, wo man gepackt werden wollte“, sagt der Kölner Künstler Cornel Wachter, der eine ganze Reihe der eigenen Werke in Sankt Gereon ausgestellt hat.

Pfarrer in „Räuberzivil“

In Konflikte geriet er ausgerechnet mit seinem prominentesten Pfarrkind: dem Erzbischof, dessen Wohnung und Dienstsitz in der Kardinal-Frings-Straße auf dem Gebiet von Sankt Gereon liegt. Kardinal Joachim Meisner, seit 1989 in Köln, passte es schon nicht, dass der Herr Pfarrer gegenüber praktisch nie schwarzen Anzug und Priesterkragen trug, sondern „Räuberzivil“. Für beide war das – von entgegengesetzten Enden kommend – mehr als Folklore. Es ging darum, was den Priester eigentlich kennzeichnet. Für Daverkausen war es die Nähe zu den Menschen, für die er als Seelsorger keine Standeskleidung brauchte.

2001 stand es im Verhältnis zwischen Kardinal und Pfarrer Spitz auf Knopf, als Daverkausen die Bitte des Vereins „Donum Vitae“ zur Hilfe für Schwangere erfüllte, die Kölner Beratungsstelle einzusegnen. Meisner hatte jede Zusammenarbeit mit der Laien-Organisation untersagt, die entgegen dem Votum von Papst und Bischöfen bis heute an der Schwangerenkonfliktberatung im gesetzlichen System festhält und auch den umstrittenen Beratungsschein ausstellt. Dessen Vorlage ermöglicht Frauen eine straffreie Abtreibung.

Er legte Wert auf das offene Wort

Für Daverkausen war der Fall klar: „Ich war um den Segen gebeten worden, und ich wollte die Menschen nicht alleinlassen, die in der Beratung die erfahrbare Nähe der Kirche brauchen.“ Und da er den Kardinal gar nicht erst um Erlaubnis fragte, gab es auch kein direktes Verbot, das er hätte übertreten müssen. Letztlich blieb es bei bösen Briefen, einem scharfen Tadel und dem Versprechen: Ich tu’s auch nicht wieder. Wozu es – bei nur einer einzigen Donum-Vitae-Beratungsstelle in Köln – ja nun auch keinen Anlass gab.

Auf das offene Wort gegenüber Meisner, auch in den Gremien, legte Daverkausen wert. Es ärgerte ihn, wenn in Sitzungspausen dann Mitbrüder zu ihm kamen und ihm dankten. Das hätten sie schließlich auch vor versammelter Mannschaft und im Beisein des Kardinals tun können, fand er.

Von Herzen katholisch

Für einen wie ihn, der von Herzen katholisch war und mit Überzeugung für seine Kirche stand, war es eine besondere Bitternis, vom eigenen Erzbischof als renitent und rebellisch wahrgenommen zu werden. Freund-Feind-Schemata waren das glatte Gegenteil seiner Art, die Welt und die Menschen zu betrachten. Einmal, erzählte er gelegentlich, habe er bekümmert zu Meisner gesagt: „Herr Kardinal, warum beharken wir uns eigentlich so? Wir stehen doch nicht auf verschiedenen Seiten!“ Er dachte, das habe den Erzbischof zumindest nachdenklich gestimmt.

Gesundheitlich angeschlagen, bat Daverkausen zu seinem 65. Geburtstag 2003 um Entpflichtung vom Pfarramt. Als Hausgeistlicher im Bensberger Kardinal-Schulte-Haus blickte er danach zehn Jahre aus bergischen Höhen auf seine Heimatstadt Köln – aus den Fenstern der Wohnung, die einstmals Kardinal Frings bewohnt hatte, wie er gern schmunzelnd bemerkte.

Eine große Schar geistlicher Geschwister

2013 kehrte Daverkausen in die Kölner City zurück, kümmerte sich bis 2017 als Rektor um die Kapelle im Maternushaus, zelebrierte bei den Karmelitinnen und pflegte alte Freundschaften. Über die Jahre hatte er, Familienmensch ohne eigene Familie, es auf eine große Schar geistlicher Geschwister, Töchter, Söhne und Enkel gebracht. Er freute sich, wenn die Menschen, die er einst selbst getauft und später getraut hatte, ihn dann selbst um die Taufe ihrer Kinder baten – ein sprechendes Symbol für die Weitergabe des Glaubens.

In seinen letzten Lebensjahren haderte er damit, dass sein phänomenales Namens- und Personengedächtnis ihn zunehmend im Stich ließ und er sich an so vieles nicht mehr erinnern zu können. Von einem Beckenbruch nach unglücklichem Sturz in seiner Wohnung im September 2022 hat er sich nicht mehr erholt. Eine Infektion mit dem Noro-Virus brachte ihm jetzt den Tod.

Einer von den vielen, die Daverkausen in ihrer Glaubensbiografie geprägt hat, weiß zu berichten, wie sie mit einer Gruppe der Landjugend auf einer Ferienfreizeit in Frankreich unterwegs waren und Durst bekamen. „Dann lasst uns eine Quelle finden“, habe Daverkausen gesagt. „Und bis heute wundere ich mich, wie selbstverständlich es uns erschien, dass wir gemeinsam mit ihm auch eine Quelle finden würden.“

Dass sein Lebensquell der Glaube an Gott und die Botschaft des Evangeliums war, davon hat Karl-Josef Daverkausen  beredtes Zeugnis gegeben.

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