Oberbürgermeisterwahl in KölnDer unbekannte Kandidat – Wer ist Andreas Kossiski?

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Andreas Kossiski

Andreas Kossiski (SPD)

  • Andreas Kossiski möchte Oberbürgermeister von Köln werden.
  • Sein Problem ist, dass kaum jemand den SPD-Politiker und früheren Kölner DGB-Chef kennt.
  • Deswegen läuft er im Wahlkampf die ganze Stadt ab. Begegnungen mit einem Getriebenen.

Köln – Zum Mittagessen im Haus Scholzen bestellt Andreas Kossiski Kalbsschnitzel mit Pfifferlingsoße und Pommes, dazu Weißbier ohne Alkohol, den Beilagensalat wird er nicht anrühren. Er habe im Wahlkampf fünf Kilo abgenommen, sagt er, vor der Veedelstour durch Ehrenfeld müsse er „etwas Vernünftiges essen“.

Es ist der 13. August, 33 Grad, noch 30 Tage bis zur Kommunalwahl. Kossiski, Oberbürgermeisterkandidat der SPD, erzählt so schnell von seinem Leben, als gehe es um jede Sekunde: Kind eines Dachdeckers und einer Putzfrau aus Itzehoe, Schülervertretung, Jusos, 1978 Eintritt in die SPD. Gemeinderat, Dorfpolizist, Leiter einer Dienststelle auf dem Land, Wechsel ins Innenministerium von Schleswig-Holstein, Aufbau des Forums für Kriminalprävention in Bonn, Führungsaufgaben bei der Kölner Polizei, Kölner DGB-Chef, Landtagsabgeordneter. Ein Gerüst ist skizziert, bevor das Weizenbier auf dem Tisch steht.

Kossiski spricht schnell und verbindlich, ein leichter norddeutscher Akzent ist nach 20 Jahren in Köln geblieben. Er redet von dem Nachteil, als relativ unbekannter Kandidat in der Corona-Zeit nicht auf großen Veranstaltungen reden zu können, von seiner internationalen Familie mit italienischer Ehefrau, die er im Karneval kennengelernt habe; „jeder Mensch, der in Köln wohnt, arbeitet und Steuern zahlt, muss auch in der Stadt wählen dürfen“, sagt er, und, auf die Frage, wer aus der SPD ihn denn als OB-Kandidat ins Spiel gebracht habe: „Das war ich selbst.“

Alles zum Thema Henriette Reker

So geht die Story des Kölner SPD-OB-Kandidaten Andreas Kossiski: Der 62-jährige Landtagsabgeordnete, Polizist und Gewerkschafter musste nicht gebeten werden, weil die Kölner SPD möglicherweise Schwierigkeiten hatte, einen würdigen Herausforderer für Henriette Reker zu finden. Weil Gesundheitsexperte Karl Lauterbach intern nicht gewünscht und Norbert Walter-Borjans zufällig Parteichef geworden war. „Ich war im Ausland, relativ weit weg von Köln, ich habe mich mit meiner Frau darüber unterhalten, dass es in Köln ständig darum geht, was nicht läuft und dachte: Ich muss mich einbringen. Ich schlage der Partei vor, selbst zu kandidieren.“

Kampf gegen den Trend

Kossiski guckt sein Gegenüber vergewissernd an, er achtet genau darauf, wie Menschen auf ihn reagieren. Er sagt: „Viele sagen ja, die Politik habe den Kontakt zu den Menschen verloren. Ich nehme mich da explizit aus. Ich war in 40 Jahren in allen möglichen Positionen bei der Polizei und in der Gewerkschaft immer mit Menschen in Kontakt.“ Schnitzel und Pommes sind da, „wir können ruhig weitermachen“, sagt Kossiski, und macht weiter.

Ob es denn nicht aber frustrierend sei: Die SPD bringt in Berlin viele Gesetze durch, dümpelt aber in Umfragen bei 15 Prozent. Auch im so lange sozialdemokratischen Köln haben sich viele Menschen von der Partei entfernt. Warum? Liegt es an der um sich greifenden politischen Gleichgültigkeit? Oder sind die Sozis einfach aus der Zeit gefallen? Weil über die so genannte soziale Gerechtigkeit nur noch gelacht wird von denen, die früher mal SPD gewählt haben? Warum tue er sich das als Landtagsabgeordneter mit guter Karriere mit 62 noch an?

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„Es ist ja schön, dass Sie sich Sorgen machen“, sagt Kossiski. „Aber ich mache das nicht, weil ich es muss, sondern, weil ich es will. Was wäre denn die Alternative?“ Weiter im Landtag zu arbeiten? Er sagt: „Ich mache das, weil ich glaube, dass Köln besser geführt werden kann. Übrigens glaube ich ganz und gar nicht, dass die SPD nicht mehr zeitgemäß ist, im Gegenteil: Das zeigt unsere Arbeit in Berlin, das zeigt Finanzminister Scholz in der Corona-Krise, das zeigt Arbeitsminister Heil. Ohne die beiden stünde Deutschland gerade viel schlechter da.“ Und warum erreichen die Themen und Erfolge nicht mehr Menschen? „Wir werden die Menschen wieder erreichen, da bin ich sicher!“

Kossiski spricht ein Mädchen an, die mit einem riesigen Schulranzen das Restaurant verlässt: „Musst Du den Ranzen jeden Tag schleppen jetzt? Sieht schwer aus! Hattest Du heute deinen ersten Schultag?“ Das Mädchen nickt, die Eltern antworten. Ein paar Sätze später sagt Kossiski: „Ich bin übrigens der Bürgermeisterkandidat der SPD.“

53 Veedelsstreifen im Wahlkampf

Um zwanzig vor drei geht es zum Treffpunkt für einen Gang durch Ehrenfeld. 53 von ihm so genannte „Veedelsstreifen“ macht Kossiski im Wahlkampf, 212 offizielle Termine hat er vom 1. Februar bis zum vergangenen Wochenende abgespult. Bis zur Wahl wird er bei knapp 300 Terminen stehen, dazu regelmäßige Podcasts, in denen er mit Prominenten wie Martin Schulz oder Stephan Brings spricht, interne Hintergrundgespräche und Meetings kommen hinzu. Begleitet wird er ein halbes Jahr lang von einem PR-Berater, der früher Pressechef von Viva und RTL war. „Ich möchte sichtbar sein, dazu gehört auch ein professioneller Kontakt zu Journalisten, vor allem aber möchte ich bei den Leuten sein“, sagt Kossiski. „Ich höre gerade immer wieder: Das passiert mir zum ersten Mal, einen wichtigen Politiker zu treffen.“

Kossiski Obdachlose

Andreas Kossiski im Gespräch mit Streetworkern und Obdachlosen auf dem Wiener Platz

Wichtig also, weiter zu laufen. Auf der Venloer Straße schlendern zwei Jugendliche an ihm vorbei, einer hat eine Plastikpistole in der Hand. Kossiski stellt die Jungs zur Rede: „Was habt ihr da? Packt die sofort weg, so etwas will ich auf der Straße nicht sehen.“ „Warum nicht, ist doch Spielzeug, Wasserpistole.“ „Sieht aus wie echt. Ich sag’ es nicht zweimal, bitte wegpacken, sofort.“ Die Jungs packen die Pistole in eine Tasche und trollen sich, Kossiski ist aufgewühlt: „So etwas ist gefährlich, glauben Sie mir, wenn es emotional eskaliert, können solche Dinger Aggressionen auslösen.“

Er erzählt von einem Freund bei der Polizei in Schleswig-Holstein, der nach einer eigentlich harmlosen Verkehrskontrolle mit anschließender Verfolgungsjagd nach einem Handgemenge erschossen wurde, von seiner Zeit als Chef der Dienststelle für schwere Verkehrsunfälle in Köln, Toten, die er nicht vergaß. „So etwas bleibt, glauben Sie mir, das ist wie die Erfahrung, einen schwerbehinderten Sohn zu haben. Man sieht dann klarer, dass man für jeden da sein muss, dass es um jeden geht.“

Bei jeder Geschichte geht es auch um die Vermittlung seiner DNA: Polizist aus einfachem Hause, Führungserfahrung, gewerkschaftsnah, eingeschränktes Kind, internationale Familie, weit gereist und heimatverbunden, einer, dem es darum geht, keinen zu vergessen und weiß, warum das wichtig ist.

Andreas Kossiski versteht es – darin ist er seiner Konkurrentin Henriette Reker ähnlich – Nähe herzustellen. „Ist das George Clooney mit grauen Haaren?“ fragt er, als er an einem Plakat mit seinem Konterfei vorbeikommt, um sprudelnd von seiner Liebe zu Brasilien, eine Wanderschaft von Büsum nach Köln, seinem Großvater, der Nazigegner verteidigt habe, und von seiner Überzeugung, ein sozialer Demokrat zu sein (so steht es auf Wahlplakaten), zu reden.

Ecke Vogelsanger Straße und Gürtel warten die Kölner Parteivorsitzende Christiane Jäger und ein Tross des Ortsvereins. Heliosschule, Szenelokal Buhmann & Sohn, Bahnbögen, Spielplatz und ein Besuch der Faustkämpfer Kalk stehen heute an, bevor es am Abend zu einem Empfang der Ehrenfelder SPD im Bürgerzentrum Büze geht. Als die Genossen sich samt Bollerwagen mit Parteifahne in Bewegung setzen, ruft ein Radfahrer: „Die SPD lässt Menschen im Mittelmeer ertrinken! Olaf Scholz hilft Unternehmen beim Steuerbetrug!“ „Was hat der gerade gesagt?“, fragt Kossiski.

Erkannt wird der Kandidat selten

Erkannt wird der Kandidat selten. Hie und da gucken die Menschen und fragen, öfter stellt Kossiski sich vor. Am späten Nachmittag fragt ein älterer Mann am Neptunplatz, vor dem Eingang zu den Faustkämpfern Kalk: „Geht der OB-Kandidat jetzt boxen, um eine Chance zu haben?“ Als er sich drinnen anhört, wie der Verein Jugendliche von der Straße holt und für den Fall seiner Wahl Unterstützung zusichert (Kossiski ist stellvertretender Vorsitzender des Stadtsportbunds, Sport will er „zur Chefsache machen“) geht draußen ein Platzregen runter. Die Parteivorsitzende Jäger feixt: „Andreas, zieh doch dein T-Shirt aus, lauf’ raus und wir filmen das!“ „Das würde bestimmt jede Menge Aufmerksamkeit bringen“, sagt eine Wahlkampfhelferin.

Andreas Kossiski, der hemdsärmelige Kumpeltyp von nebenan, ist einfach zu unbekannt. Und die SPD kann nicht davon ausgehen, dass die Leute ihr Wahlprogramm lesen. Das enthält auf 68 Seiten ziemlich viel: 500 Millionen Euro für neue Wohnungen, die Forderung, die Stadt müsse ihre Immobilien behalten statt zu verkaufen, ein „ökologisch und sozial ausgewogenes Hochhauskonzept“, Ideen für eine Verkehrswende, kostenfreie Bildung für alle, Konzepte zur Digitalisierung und für die Stärkung von Solidarität im Veedel. Ist das nur annähernd finanzierbar? „Wir haben die Zusicherung von Land und Bund, dass die Mehrbelastungen durch Corona für die Kommunen ausgeglichen werden“, sagt Kossiski. „Darauf werden wir auch pochen. Unser Programm beinhaltet 100 Prozent unserer Vorstellungen – 100 Prozent gibt es in der Politik am Ende nie. Wir wollen möglichst viel.“

Nachdem die Partei bekanntgegeben hatte, Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten ins Rennen zu schicken, stieg sie in Umfragen auf 18 Prozent – und überholte seit langem mal wieder die Grünen. 29 Prozent der Menschen halten Scholz für einen guten Kanzlerkandidaten, besser schneidet aktuell nur Markus Söder ab.

Scholz und Kossiski, das zeigt sich auch bei einem Treffen der beiden Mitte August in Kalk, sind sich charakterlich nicht ähnlich: hier der abgeklärte, fast mönchisch anmutende Kanzlerkandidat, da der angriffslustige, manchmal getrieben wirkende Kölner OB-Kandidat. Was sie verbindet, ist ihr Selbstverständnis als Macher und Mittler – und die Außenseiterrolle, in der es sich entspannt wahlkämpfen lässt. Dazu kommt der Eindruck, dass man sie als Alternative zu Söder oder Laschet beziehungsweise Reker ernst nehmen sollte: Scholz, weil er als Regierungspolitiker in der Coronakrise dem pragmatischen, stoischen Typ Merkel frappierend ähnelt, Kossiski, weil viele Kölner Rekers Bilanz der ersten fünf Jahre als durchwachsen wahrnehmen.

Glaube an die Stichwahl

Beim Empfang der Ehrenfelder SPD kommt Kossiski bei Bratwurst und Kartoffelsalat am Biertisch auf Reker zu sprechen. Er duzt sie, sie kennen sich seit zehn Jahren, „aber ich stehe für einen völlig anderen Führungsstil“, sagt er. Ihre Parteilosigkeit hält er für einen Nachteil. „In fünf Jahren hat sich gezeigt, dass es eine OB zerreißt, wenn sie von links grün bis zur Werteunion der CDU jeden integrieren muss – und kaum über Kontakte ins Land und in den Bund verfügt.“ Am meisten störe ihn, dass „Frau Reker sich oft wegduckt. In Krisensituationen schiebt sie die Verantwortung gern auf andere – das war nach der Silvesternacht so, da hat sie allein die Polizei verantwortlich gemacht, oder, als sie die IAA nach Köln holen wollte, mit großem Gefolge nach Berlin reiste, und zwei Tage später einen anderen vorschickte, um zu sagen: Es hat nicht geklappt.“

Der Kandidat holt jetzt aus, er spricht über die Oper, deren Sanierung er auf den Prüfstand stellen wolle, den „skandalösen Zustand der Schulen“, Rekers „Kehrtwende bei der Gleueler Wiese. Wenn die Stadtspitze drei Jahre mitbefördert, dass ein Unternehmen etwas bauen will, die OB ein halbes Jahr vor der Kommunalwahl aber sagt: Nö, so nicht, dann fehlt es an Verlässlichkeit“.

Dass die Amtsinhaberin ohne Stichwahl auskommt und direkt über 50 Prozent der Stimmen erreicht, glaubt der Herausforderer nicht. Und für die Stichwahl hofft er auf die Unterstützung derer, die „mit Frau Rekers Politik auch nicht zufrieden waren“. Bei der jüngsten Landtagswahl hatte Andreas Kossiski seinen Wahlkreis im Kölner Norden mit 62 Stimmen Mehrheit gewonnen. Er sagt: „Ich weiß, dass es sich lohnt, um jede Stimme zu kämpfen.“

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