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Reker zu rechter Bedrohung„Musste wieder jemand zu Tode kommen, damit wir aufwachen"

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Henriette Reker, Ober­bür­ger­meis­te­rin der Stadt Köln

Köln – Erst gehen die Parolen spazieren, dann die Messer. Die Schriftstellerin Herta Müller hat diesen Satz gesagt, 2015, als Henriette Reker ihr Amt als Kölner Oberbürgermeisterin antrat. Nur vier Wochen, nachdem ihr ein rechtsradikaler Attentäter eine 30 Zentimeter lange Klinge in den Hals gestochen hatte.

Fünfeinhalb Jahre später sitzt Reker in ihrem Amtszimmer im Historischen Rathaus und wiederholt den Satz Müllers. Das hat sie schon öfter getan, die Worte aber wirken dadurch nicht weniger bedrohlich. Eher noch mehr. Erst gehen die Parolen spazieren, dann die Messer. „Genauso ist es“, sagt Reker. „Die Parole ist schon das Problem. Weil sie der Nährboden für Gewalttaten ist. Trotz der Morde des NSU haben wir das erst bei Walter Lübcke begriffen. Viel zu spät. Da musste wieder jemand zu Tode kommen, damit wir aufwachen. Damit wir begreifen, wie ernst die Bedrohung von rechts ist. Dass es nicht bei Parolen bleibt.“

Kurz hält sie inne. Dann sagt sie: „Ich hätte auch sterben können. Dann wäre es nicht Walter Lübcke gewesen sondern Henriette Reker. Ich hatte Glück, ich hatte eine Überlebenschance. Walter Lübcke hatte keine Chance.“

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Reker lässt alle Drohungen an Polizei weiterleiten

Doch Rechtsextremisten denken nicht in Chancen, sie denken auch nicht ans Leid, das sie Menschen zufügen, sie denken nicht an die Leben ihrer Opfer. Sie denken in Hass. Sie denken an Volksverräter, Invasoren, Abschaum. Feinde. Und sie handeln aus Hass.

Henriette Reker steht, immer schon seit sie in der Öffentlichkeit auftritt, für das Gegenteil dieses, wie sie es nennt, „verquasten“ Weltbildes: Sie steht für Offenheit, Toleranz, Vielfalt. Auch über Köln hinaus. Als das Flüchtlingslager in Moria auf Lesbos im September 2020 niederbrennt, twittert sie noch am selben Tag: „Die Lage in Moria ist nicht zu ertragen.“ Zwei Tage später erklärte sie, Menschen von dort aufnehmen zu wollen.

Ausstellung in Köln

Das Projekt „Menschen – Im Fadenkreuz des rechten Terrors“ ist eine Kooperation von elf Regionalmedien, darunter der „Kölner Stadt-Anzeiger“ in Zusammenarbeit mit dem „Weißen Ring e.V.“, unter der Leitung des gemeinnützigen Recherchezentrums „Correctiv“.

Das Herzstück des Projekts sind die Porträts von 57 Menschen, die auf sogenannten „Feindeslisten“ von Neonazis und Rechtsextremisten stehen oder standen. Sie werden in einer Wanderausstellung gezeigt, die vom heutigen Dienstag, 20. Juli, bis zum Freitag, 23. Juli, täglich von 11 bis 18 Uhr auf dem Kölner Ebertplatz zu sehen ist.

Außerdem erscheint am 29. Juli ein gleichnamiges Buch. Auch daran hat der „Kölner Stadt-Anzeiger“ mitgearbeitet. Es enthält neben den Porträts auch Recherchen zum Ausmaß und zur Komplexität des rechten Terrors in der Bundesrepublik.

2016, im Prozess nach dem Attentat auf Reker, erklärt der Täter, er habe „ein Zeichen“ setzen wollen. Gegen die aus seiner Sicht immer höher werdende Anzahl an Ausländern in Deutschland.

Fürchtet sie sich, dass ihr so etwas noch einmal passieren könnte? Auch als Antwort darauf gibt es einen Satz, den Reker immer wieder wiederholt, wie ein Mantra: „Hetzer wollen uns Angst machen. Wir müssen mit Mut und Entschlossenheit antworten.“

Drohungen, sagt sie, bekommt sie noch immer regelmäßig. Mails, in denen Menschen schreiben, dass sie ihr bei vollem Bewusstsein die Beine absägen wollen. Sie liest das nicht alles, eher das wenigste, aber ihre Mitarbeiter bringen jedes einzelne solcher Schreiben zur Anzeige.

Drohmail des „NSU 2.0“ veränderte Rekers Alltag nicht

Auch jene Mail, die bei Reker am 19. Juni 2019 um 2.30 Uhr nachts eingeht. Darin Schilderungen grausamer Fantasien von „Mord“, von „Genickschüssen“, von der endgültigen „Auslöschung“ jüdischen und muslimischen Lebens. „Und Sie werden ihnen beste Gesellschaft beim Sterben leisten“, heißt es. Absender: „Staatsstreichorchester“. Mittlerweile ist klar, dass diese Nachricht zu den Drohmails des „NSU 2.0“ gehört.

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Reker sagt, sie erinnere sich flüchtig an die Mail, auch, weil neben den NS-Verherrlichungen eine absurd hohe Summe Geld als Preis für ihr Leben gefordert wurde. Die sie natürlich nicht bezahlte. Besonders unsicher habe sie sich danach aber nicht gefühlt, fühle sie sich generell kaum. „Ich verdränge so etwas eher schnell, auch weil ich gar keine Lust habe, meinen Alltag von diesen Menschen bestimmen, ja gar verändern zu lassen“, sagt sie. „Das sind wenige, die nur besonders laut schreien.“ Henriette Reker will ihnen nicht zuhören.

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