So ist die Lage im Klinikum Merheim„Wir haben alles auf Corona konzentriert“

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Klinikum Merheim WORRING

Das Klinikum Köln-Merheim

  • Professor Bertil Bouillon (63) ist Direktor der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sporttraumatologie am städtischen Krankenhaus Merheim.
  • Im Gespräch äußert er sich über die Herausforderungen der 3. Corona-Welle, den OP-Stau und die wirtschaftliche Situation des Krankenhauses.

Köln – Wie beeinflusst die Corona-Pandemie die aktuelle Situation in den städtischen Kliniken?

Die Situation war bislang stabil, doch ist inmitten der 3. Welle weiterhin herausfordernd. Wir haben schon im letzten Jahr alles auf Corona konzentriert. Das bedeutet, dass alle Fachabteilungen für den Fall des Falles bereitstanden. Wir haben zusätzliche Intensiv-Kapazitäten zur Verfügung gestellt und die OP-Kapazitäten drastisch runtergefahren auf etwa 40 Prozent, um Personal freizusetzen und umzuschulen. Alle Kolleginnen und Kollegen, die innerhalb der Ausbildung in den letzten drei Jahren auf der Intensivstation waren, wurden dort wieder neu eingewiesen.

Und dann war die erste Welle gar nicht so heftig wie erwartet.

Als wir im vergangenen Frühling gemerkt haben, dass sich die Situation stabilisiert und auch die Zahl der Patienten abnimmt, haben wir im Mai langsam angefangen, die Stationen wieder zu öffnen, so dass wir bald wieder etwa 80 Prozent der Routine-Kapazität erreicht hatten. Am 2. November 2020 sind wir dann wieder in den Shutdown gegangen und haben die Kapazität erneut auf rund 40 Prozent runtergefahren. Das heißt: Alle notwendigen und dringlichen Behandlungen und Operationen wurden durchgeführt. Aber Patienten, die beispielsweise nach ausgeheiltem Bruch das Material wieder heraushaben wollten, sind nach hinten geschoben worden.

Viele Menschen haben die Krankenhäuser aber auch gemieden.

Das stimmt. Nicht nur, weil sie keinen Platz bekommen haben, sondern auch aus Angst vor einer Ansteckung mit Covid-19. So sagen unsere Kardiologen etwa, dass sie nur die ganz schweren Herzinfarkte sehen. Und die Neurologen sagen, sie sehen nur die schweren Schlaganfälle, weil viele Patienten einfach nicht in die Klinik gegangen sind.

Gibt es auch bei Ihnen in der Orthopädie einen durch Corona verursachten Operationsstau?

Ja. Wir konnten mit Sicherheit 1000 bis 1500 Patienten nicht operieren. Aktuell haben wir zum Beispiel überproportional viele Metallentfernungen. Eben weil wir das ein Jahr lang quasi gar nicht gemacht haben. Und noch weiß niemand, was die dritte Welle wirklich bedeutet. Wir beobachten das weiter mit Argusaugen. Es wäre schon schön für uns, bald wieder mehr Operationen durchzuführen. Aber wir wollen auch keinen Zick-Zack-Kurs, sondern die Entwicklungen langsam an die Situation anpassen.

Bertil Bouillon

Bertil Bouillon

Ist es denn überhaupt problemlos möglich, eine Knie- oder Hüftgelenk-Operation über einen längeren Zeitraum aufzuschieben?

Das ist unterschiedlich. Wenn jemand starke Schmerzen hat und kaum noch gehen kann, dann ist das für uns eine dringliche Operation. Und die sollte innerhalb der nächsten vier Wochen durchgeführt werden. Doch das können wir auch bei der reduzierten Auslastung leisten.

Wie gehen die städtischen Kliniken mit dem Thema Testen um?

Alle stationären Patienten mit geplantem Aufenthalt machen zwei Tage vor der Aufnahme einen PCR-Test und werden anschließend gebeten, sich in häusliche Quarantäne zu begeben. Alle Notfallpatienten, die von der Notfallaufnahme in die stationäre Behandlung kommen, werden ebenfalls getestet. Alle Patienten, die von der Notfallaufnahme auf die Intensivstation kommen, machen ebenfalls einen PCR-Test. Ich denke, dass die Maßnahmen rigoros, aber gut und nötig sind.

Wie ist der Impfstatus bei Ihnen an der Klinik?

Bei den Personen, die direkten Kontakt zu Patienten haben – und das gilt auch für unsere Reinigungskräfte – gibt es eine sehr hohe Impfquote. Wir haben eine eigene Impfstraße eingerichtet, die von unseren Mitarbeitern sehr gut angenommen wurde. Bislang haben wir da pro Tag rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geimpft. Insgesamt war die Bereitschaft sehr hoch. Es gab Einzelfälle, die skeptisch waren. Denen haben wir dann ein Gesprächsangebot gemacht, das hat dann häufig geholfen.

Welchen Impfstoff haben Sie verimpft?

Anfangs haben wir maßgeblich nur mit Biontech geimpft.

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Wie sieht die wirtschaftliche Situation der Kliniken mit Blick auf verschobene Operationen aus?

Die Kliniken der Stadt Köln befinden sich zurzeit in nicht ganz einfachem Fahrwasser, das hat unter anderem auch strukturelle Gründe. Nun sind ja im vergangenen Jahr auch entsprechende Kompensationen geflossen, die uns auch geholfen aber. Leider sind dabei die Maximalversorger nicht ganz so gut weggekommen wie die kleinen Häuser. Ich hätte mir etwa gewünscht, dass auch die Belastung durch Covid auf der einen Seite und die Vorhaltungen für Covid auf der anderen Seite als Faktor miteinbezogen werden.

Es gibt Schwerverletzte, die fallen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus in ein Reha-Loch. Sie wollen etwas dagegen tun.

Personen, die sich beispielsweise beide Beine gebrochen haben oder ein Bein und einen Arm, können nicht direkt aufstehen und ihre Beine belasten. Deshalb können sie nach dem Klinik-Aufenthalt nicht direkt in eine Reha gehen. Diese oft sehr jungen Personen müssen zu Hause umfassend versorgt werden. Bei vielen gibt es in der Familie nicht die Zeit dafür, deshalb gehen sie auf Pflegestationen. Erst dann, wenn der Knochen hoffentlich geheilt ist, gehen sie in die Reha. Das ist das Loch, von dem wir reden. Die Arbeitsunfälle sind besser versorgt, die Berufsgenossenschaften haben eine Akut-Rehabilitation. Wenn es aber kein Arbeitsunfall war, fällt man in dieses Loch.

Über wie viele Patienten reden wir?

Das sind keine riesigen Patientenzahlen. Aber in Deutschland sprechen wir über eine Größenordnung von ungefähr 20.000 Patientinnen und Patienten. Wir wollen einen Weg finden, damit diese Patienten besser rehabilitiert werden können. Das Modell dabei sind die Schlaganfälle. Da geht es nach dem Klinikaufenthalt automatisch in die Früh-Reha-Zentren. Deswegen denken wir als Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie, dass das bei der Zahl dieser häufig jungen Menschen machbar sein sollte. Wir führen intensive Gespräche mit den entsprechenden Versicherungsverbänden. Denn die Personen, die in so ein Reha-Loch fallen, sind davon nicht nur körperlich betroffen, sondern auch psychisch.

Wie stehen Sie zu dem geplanten Verbund zwischen den städtischen Kliniken und der Uniklinik?

Für mich persönlich ist das eine spannende Perspektive. Ich glaube schon, dass Synergieeffekte da sind. Es geht gar nicht darum, Abteilungen zu halbieren, aber es gibt Bereiche, die bei der Uniklinik größer sind und Bereiche, die bei uns größer sind. Da könnte man gut zusammenarbeiten. Auf persönlicher Ebene gibt es gar keine Diskussionen, da haben wir einen sehr engen Verbund. Aber übergeordnet könnte das ein spannender Aspekt sein. Letztlich könnte ein Verbund für mehr Attraktivität sorgen und damit zur Lösung des Pflegeproblems beitragen.

Apropos Pflegeproblem: Wie ist die aktuelle Situation bei Ihnen? Ihnen fehlt doch auch Pflegepersonal?

Ganz klar: Ja. Uns fehlen Pflegekräfte, und zwar an allen Ecken und Enden. Das hat zur Folge, dass die Pflegerinnen und Pfleger, die da sind, natürlich noch stärker belastet werden. Und je mehr jemand belastet ist, desto eher wird er auch irgendwann sagen: Stopp, ich kann einfach nicht mehr. Aber man muss positiv erwähnen, dass wir in den letzten Jahren in vielen Bereichen wieder massiv in die Ausbildung investiert haben und das bei uns deswegen langsam wieder mehr Pflegekräfte vorhanden sind.

Warum ist der Weg so schwer vom Klatschen auf dem Balkon hin zu einer besseren Bezahlung?

Ich glaube, dass die Bezahlung nicht alles ist. Wenn wir insgesamt mehr im Team denken und nicht mehr so sehr in Hierarchien, dann ist da mindestens so viel gewonnen. Es geht auch um Weiterbildungen. Wir haben zum Beispiel eine sehr spannende Kooperation mit der Lufthansa. Ich glaube, dass das der Gamechanger in vielen Problembereichen sein wird.

Sie meinen das „Human-Factors-Training“? Was genau macht ein Krankenhaus hier mit einer Fluggesellschaft?

Bei uns geht es vor allem um die Patientensicherheit. Warum nicht von denen lernen, die ein gutes Image haben, was die Sicherheit angeht? Lufthansa schult per Gesetz das fliegende Personal regelmäßig in Sicherheit. Dabei geht es nicht nur um Kommunikation, sondern auch um Fehlermanagement, Entscheidungsfindung und insgesamt um das Arbeiten unter Stress. Wir haben deswegen in Kooperation mit der Lufthansa neue, medizinspezifische Kurse entwickelt. Das ist sehr erfolgreich: In meiner Abteilung machen wir diese Kurse jetzt seit drei, vier Jahren – und ich habe alle meine Leute dahingeschickt. Das hat mittlerweile eine richtige Welle losgetreten.

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