Uni Köln lädt US-Philosophin ausWir sollten den Teufelskreis der Boykotte durchbrechen

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Statue des Theologen und Philosophen Albertus Magnus vor dem Hauptgebäude der Universität zu Köln

Statue des Theologen und Philosophen Albertus Magnus vor dem Hauptgebäude der Universität zu Köln

Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie hält die Positionen von Nancy Fraser zum Nahost-Konflikt für untragbar. Zu Frasers Ausladung in Köln hat er eine klare Meinung.

Albertus Magnus, die legendäre Figur der mittelalterlichen Theologie, ist in Köln so präsent wie nirgends sonst. Seine von Gerhard Marcks angefertigte Skulptur ziert den Eingang zum Hauptgebäude der Universität, in das gerade die Erstsemester strömen. Ob man von ihm wissenschaftliches Streiten lernen kann, ist nicht so sicher.

Der Universalgelehrte setzte sich sorgfältig mit jüdischen und islamischen Denkern seiner Zeit auseinander, doch 1248 unterzeichnete er, damals an der Sorbonne lehrend, auch die Pariser Universitätsurkunde, die den Talmud als ketzerisch verdammte und zur Beschlagnahmung und Verbrennung jüdischer Schriften aufrief.

Albertus Magnus: dem vormodernen Dogmatismus von Religionen verhaftet

Ein frühes Beispiel für Cancel Culture? Eher ein damals geläufiger vormoderner Dogmatismus von Religionen mit exklusivem Wahrheitsanspruch. Und eben darin ist er mit der aktuellen Unduldsamkeit gegen Andersdenkende verwandt.

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Professor Claus Leggewie

Professor Claus Leggewie

Der neueste Fall ist die Albertus-Vorlesung, zu der seit 2005 prominente ausländische Philosophen nach Köln eingeladen werden. Die diesjährige Referentin, die New Yorker Sozialphilosophin Nancy Fraser, wurde nun kurzfristig wieder ausgeladen. Der Universitätsleitung war recht spät aufgefallen, dass sie zu den Unterzeichnenden des Manifests „Philosophy for Palestine“ vom November vorigen Jahres gehört, das zum akademischen und kulturellen Boykott israelischer Institutionen aufrief.

Das von Nancy Fraser unterzeichnete Manifest strotzt vor Ignoranz.
Professor Claus Leggewie

Nancy Fraser: Manifest von Philosophinnen strotz vor Ignoranz

Auslöser waren die im Manifest als „Genozid“ qualifizierten Angriffe der israelischen Armee im Gaza-Streifen. Eher beiläufig erwähnt der Text, dass die Entscheidung der israelischen Regierung, im Manifest als „Apartheid“-Regime bezeichnet, die Reaktion auf die Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 waren. Dieser „Angriff“ wiederum war für Star-Philosophinnen wie Fraser (und Angela Davis, Judith Butler etc.) nur die offenbar berechtigte Gegenwehr gegen den seit Langem bestehenden „ethnisch-suprematistischen Staat“ Israel.

Das Manifest strotzt vor Ignoranz über die historischen Ursachen und akuten Dilemmata des Konflikts in und um Palästina. Was ist davon zu halten? Es ist die Weltsicht überengagierter „Antiimperialisten“, für die – wie der Direktor der Biennale in Venedig gerade statuierte - Israel zum Globalen Norden zählt, gegen den sich der Globale Süden (inklusive Russen, Chinesen und Dschihadisten?) legitimerweise zur Wehr setzt. Für eine Philosophenschar, die sich im besagten Manifest selbst als hervorragend präpariert lobt, ist die Verwirrung der Begriffe, der Zeiten und der Räume eine Armutserklärung.

Aus der frivolen Anklage Israels darf nicht die leichtfertige Anklage des ‚Unterstützerstaats‘ Deutschland werden.
Claus Leggewie

Also am besten ausladen? Das könnte man meinen, wenn man weitere Auslassungen Nancy Frasers in einem Interview einbezieht: In Deutschland, wo man Angreifern Israels aus guten Gründen energischer entgegentritt als andernorts, herrsche ein „philosemitischer McCarthyismus“. Das ist erneut ein kapitaler Verlust aller Maßstäbe: Absagen von Veranstaltungen, in denen zum pauschalen Boykott gegen Israelis aufgerufen wird, mit der Hexenjagd des US-Senators Joe McCarthy gegen Kulturschaffende und Wissenschaftler zu Beginn der 1950er Jahre in den USA gleichzusetzen, ist irrwitzig. Doch diese Ignoranz nun auch über deutsche Verhältnisse löste eine tatsächliche Boykottwelle gegen hiesige Kultureinrichtungen aus: „Strike Germany!“

Aus der frivolen Anklage Israels darf nicht die leichtfertige Anklage des „Unterstützerstaats“ Deutschland werden. Das hätten die deutschen Philosophiekolleginnen und -kollegen erwägen müssen, die Fraser jetzt beigesprungen sind, ebenso Kommentare, die jeder Polemik aus dem Globalen Süden gegen die angeblich verkorkste deutsche Erinnerung an den Holocaust beipflichten.

Regierungsoffiziös vorgegebene rote Linien strapazieren die Wissenschaftsfreiheit genau wie vorlaute Boykottaufrufe.
Professor Claus Leggewie

Nancy Fraser: Dennoch Ausladung aus Uni Köln nicht richtig

Es ist also nachvollziehbar, wenn der von mir sehr geschätzte Rektor der Kölner Universität, Joybrato Mukherjee, der gleichzeitig Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) ist, da die Reißlinie ziehen wollte. Aber Fraser auszuladen finde ich nicht richtig. Die Kölner Universität wäre doch der am besten geeignete Ort gewesen, um sich offensiv mit Nancy Frasers untragbarer Position auseinanderzusetzen. Und welches Risiko wäre man schon eingegangen, wenn Fraser ihren angesetzten Vortrag über die Arbeit im Kapitalismus vorgetragen hätte?

Regierungsoffiziös vorgegebene „rote Linien“ strapazieren die Wissenschaftsfreiheit genauso wie vorlaute Boykottaufrufe und destruktive Störmanöver selbsternannter „Antizionisten“. Mit der Absage gibt man einer Persönlichkeit scheinbar recht, die selbst zum Boykott, das heißt: zur Beendigung des philosophischen und politischen Disputs, aufgerufen hat. Wie Albertus Magnus vor knapp 800 Jahren!

Wir sollten weiter sein und dringend die Spirale der Boykotte und Diskursverweigerungen durchbrechen. Solche Stellvertretergefechte haben weder die verbliebenen jüdischen Geiseln zurückgebracht noch das Leid der Palästinenser im Gaza-Streifen verringert. Und wenn man als Philosophin politisch wirken möchte, sollte man Prinzipien und Wege eines gerechten Friedens in Palästina denken. Das ist Solidarität mit den palästinensischen Gegnern und Opfern der Hamas und unterstützt die israelische Opposition gegen die Regierung Netanjahu.

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