Köln – Herr Hatterscheidt, nur damit Sie Bescheid wissen: Wir zwei sind gerade völlig unter uns. Beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ gibt es keinen venezianischen Spiegel, hinter dem zum Beispiel der Chefredakteur heimlich das Interview mitverfolgen kann.
Bernhard Hatterscheidt: So einen Spiegel gibt es bei der Polizei auch nicht. Wer vernommen wird, soll schon wissen, wer gerade mit ihm spricht und wer ihm zuhört. Alle Vernehmungsbeamten sind grundsätzlich mit ihm im selben Raum. Da steht niemand heimlich hinter irgendeinem Spiegel. Das gibt es nur im Fernsehen.
Wie sieht so ein Vernehmungsraum aus? Ein Kellerraum, ein leerer Tisch in der Mitte, fahles Licht?
Hattenscheidt: Nein, erwachsene Zeugen oder Beschuldigte werden in aller Regel im Büro des Ermittlers vernommen. Ganz normal. Spezielle Vernehmungszimmer gibt es nur für Kinder, die beispielsweise Opfer von Sexualstraftaten geworden sind. Diese Räume sind besonders kindgerecht gestaltet, um eine möglichst angenehme Atmosphäre für die Befragung zu schaffen.
„Ich bin grundsätzlich immer erst mal nett“
Wie beginnt eine Vernehmung?
Hattenscheidt: Mit einer freundlichen Begrüßung, oft mit Handschlag. Ich bin grundsätzlich immer erst mal nett. Warum auch nicht? Mir persönlich hat ja niemand etwas getan. Alles andere würde auch die Gesprächsatmosphäre kaputt machen.
Bernhard Hatterscheidt (50) war lange bei der Mordkommission und anschließend enger Mitarbeiter des Chefs der Kölner Kriminalpolizei. Jetzt ist er sogenannter interner Ermittler und bearbeitet Beamten- und Korruptionsdelikte.
Daneben hat er bislang sechs „Kriminalistenromane“ geschrieben, die er so nennt, weil sich die von ihm geschilderten Fälle und die Arbeit der Ermittler in seinen Büchern nah an der Wirklichkeit orientieren. In seinem neuesten Buch „Puzzlemord in Deutz“ nehmen Vernehmungen bei der Polizei und vor Gericht einen breiten Raum ein. Am heutigen Donnerstag liest der Hauptkommissar um 20 Uhr im Bürgerzentrum Engelshof, Oberstraße 96, Porz-Westhoven, aus „Puzzlemord in Deutz“. Eintritt: 5 Euro. (ts)
Bieten Sie etwas zu trinken an?
Hattenscheidt: Wenn ich mir selber einen Kaffee mache, frage ich meistens, ob der andere auch einen will. Wenn einer Wasser möchte, besorge ich auch Wasser. Dauert eine Vernehmung über Stunden, gehe ich mit dem Zeugen durchaus auch zwischendurch in die Kantine, seltener auch mit einem Beschuldigten – wenn er den Wunsch äußert. Das halte ich dann auch so im Protokoll fest.
Mit dem Verdächtigen in die Kantine
Kann das gemeinsame Essen auch ein taktisches Mittel sein, um das Eis zu brechen?
Hattenscheidt: In Ausnahmefällen, ja. Aus demselben Grund kommt es auch vor, dass ich mit einem Beschuldigten rausgehe, wenn er eine Zigarettenpause wünscht. Denn unter dem Strich möchte ich ja was von ihm. Schließlich muss niemand bei der Polizei eine Aussage machen. Die Staatsanwaltschaft kann mit einem Zwangsgeld drohen, falls Zeugen nicht erscheinen. Zu mir muss niemand kommen.
Nehmen Sie die Befragung auf Tonband auf?
Hattenscheidt: Nein, wir haben im Präsidium gar nicht so viele Schreibkräfte, die jede Vernehmung zeitnah abtippen könnten. Ich mache mir Notizen, schreibe selber am Computer mit. Am Ende hat der Befragte das Recht, das Protokoll zu lesen und bei Bedarf Änderungen vorzunehmen, etwa wenn er sich an einer Stelle falsch wiedergegeben fühlt.
Auf der nächsten Seite: Wurde es schon mal gefährlich?
Woran erkennen Sie eine Lüge?
Hattenscheidt: Bevor ich einen Tatverdächtigen befrage, habe ich im besten Fall schon alles andere ermittelt. Ich kenne die Beweislage und die Zeugenaussagen. Wenn ich das Gefühl habe, in seiner Aussage passt was nicht, mache ich ihm Vorhalte. Außerdem, denke ich, habe ich ein ganz gutes Bauchgefühl.
Sind Sie schon mal nach Strich und Faden belogen worden?
Hattenscheidt: Ja, ist auch schon passiert. Ich darf da nicht ins Detail gehen, nur so viel: Ich habe einen Polizeibeamten vernommen und glaubte ihm jedes Wort, weil der Tatvorwurf auch extrem hanebüchen war. Später stellte sich heraus, dass er die Tat sehr wohl begangen hat. Hat mich total gewurmt. Man wird ja nicht gerne belogen.
Manchmal ist nach fünf Minuten Schluss
Wie knacken Sie jemanden, der partout nicht reden will?
Hattenscheidt: Schweigen ist jedermanns gutes Recht. Ich versuche es dann mit Fragen und Vorhalten. Oder appelliere an sein Gewissen.
Wie machen Sie das?
Hattenscheidt: Wenn man bei einem Tötungsdelikt sicher ist, den Täter vor sich zu haben, geht es darum, die Schwelle zu überwinden, ab der er bereit ist zu reden. Man kann sagen: „Sie können hier Ihr Gewissen erleichtern, vielleicht tut Ihnen das ganz gut.“ Bei manchen hilft das, sie sagen dann so was wie: „Sie haben recht, ich war’s, aber ich wollte das nicht, es ist einfach passiert.“
Und wenn das nicht funktioniert?
Hattenscheidt: Es gibt Fälle, da ist die Vernehmung eben nach fünf Minuten beendet. Ich kann ja niemandem Daumenschrauben anlegen oder seine Hand in der Schublade einklemmen. Das sind zu Recht verbotene Vernehmungsmethoden.
Tigern Sie während der Befragung um den Beschuldigten herum?
Hattenscheidt: Nein, das bringt zu viel Unruhe in die Vernehmung. Außerdem muss ich ja mitschreiben. Ich baue mich auch nicht wie im Fernsehen hinter ihm auf, drücke ihm auf die Schultern und rufe: „Gestehen Sie!“ Ich fasse mein Gegenüber grundsätzlich nicht an.
Wurde es schon mal gefährlich?
Hattenscheidt: Es kommt schon mal vor, dass ich denke: Wenn ich dem jetzt noch einen Vorhalt mache, springt er mir an den Hals. Ist aber bisher nie passiert. Ich lasse mich auch nicht provozieren. Wenn einer ausfallend wird, mache ich ihm ganz deutlich, wo die Grenze ist. Aber ich schreie nie zurück.