LützerathGreta Thunberg wirft Grünen bei „Anne Will“ „Heuchelei“ vor – Anzeige gegen Polizisten

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Die Klimaaktivistin Greta Thunberg steht auf der Bühne vor den versammelten Demonstranten. Die Demonstration von Klimaaktivisten am Rande des Braunkohletagebaus bei Lützerath findet unter dem Motto „Räumung verhindern! Für Klimagerechtigkeit“ statt.

Die Klimaaktivistin Greta Thunberg steht auf der Bühne bei der Großdemonstration gegen den Abriss von Lützerath. Am Sonntagabend diskutiert sie darüber bei „Anne Will“.

In der ARD-Talkshow „Anne Will“ wird am Sonntag über den Abriss von Lützerath diskutiert. Greta Thunberg richtet deutliche Worte an die Grünen.

Die schwedische Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg hat in der ARD-Talkshow „Anne Will“ das Vorgehen der Grünen in Bezug auf den Abriss des Braunkohledorfs Lützerath scharf kritisiert. Thunberg nannte das Verhalten der Grünen im Kompromiss mit Energiekonzern RWE „heuchlerisch“. 

Thunberg hatte mit Moderatorin Anne Will im Vorlauf der Sendung in Keyenberg bei Lützerath gesprochen, das Interview wurde während der Sendung eingespielt. Es ist die erste Sendung, nachdem die ARD angekündigt hatte, die Sendung überraschend zum Jahresende einzustellen.

Anne Will am 15. Januar: Das sind die Gäste

Unter dem Titel „Kampf um Lützerath – Zerreißprobe für die deutsche Klimapolitik?“ hatte Will ins Studio geladen, dabei waren folgende Gäste:

  • Ricarda Lang, Bundesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen
  • Herbert Reul (CDU), Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen
  • Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln
  • Luisa Neubauer, „Fridays for Future“-Aktivistin
  • Mojib Latif, Klimaforscher
  • Greta Thunberg, schwedische Klimaschutzaktivistin

Greta Thunberg bezeichnete den Kompromiss, den die schwarz-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen mit RWE geschlossen habe, als „seltsam“. „Wie kann es gut sein, ein Dorf zu opfern, um fünf zu retten?“, fragte Thunberg.

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„Anne Will“: Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang kontert Kritik von Greta Thunberg

Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang konterte, RWE habe nun mal einen „letztinstanzlich abgeurteilten Rechtsanspruch“ auf Lützerath. „Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich Lützerath auch am liebsten gerettet. Aber wenn ich die Wahl habe, fünf Dörfer oder kein Dorf zu retten, dann entscheide ich mich doch für mehr Klimaschutz statt überhaupt keinen“, so Lang weiter.

Lang sprach von einem „ambivalenten Tag“ für sich selbst am Samstag, als in Lützerath eine Großdemonstration gegen den Abriss des Dorfs protestierte. „Vor ein paar Jahren hätte ich vermutlich selbst noch an der Demonstration teilgenommen, jetzt muss ich mich der Kritik stellen“, so Lang weiter.

Die Grünen waren für den Kompromiss mit Energiekonzern RWE zum Rheinischen Braunkohlerevier scharf kritisiert worden. Eine Gruppe um Klimaschutzminister Robert Habeck hatte unter anderem ausgehandelt, den Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen von 2038 auf 2030 vorzuziehen und damit fünf vom Abriss bedrohte Dörfer zu retten. Lützerath fiel aber nicht darunter.

„Anne Will“: Luisa Neubauer nennt Polizeieinsatz absurd – Herbert Reul erklärt Anzeige gegen Polizisten

„Fridays for Future“-Aktivistin Luisa Neubauer kritisierte unterdessen den Polizeieinsatz in Lützerath scharf: „Es ist absurd und schockierend, dass der Einsatz professionell eingestuft wird, während es mehrere Schwerverletzte gegeben hat.“

Eine Sprecherin der Rettungssanitäter in Lützerath hatte von einer lebensgefährlich verletzten Person gesprochen, Polizisten hätten Aktivisten zudem gezielt auf den Kopf geschlagen. Die Polizei hatte diese Berichte in einer Stellungnahme dementiert.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) stellt in der Sendung klar: „Wenn die beteiligten Personen mir Namen von Polizisten nennen können, dann werden wir jeden Fall überprüfen. Es gibt derzeit aber kaum präzise Informationen über viele Vorfälle in Lützerath. Wir werden das genauestens untersuchen“, erklärte Reul.

Jeder einzelne Fall von möglicher Polizeigewalt würde benannt. „Ich habe selbst schon ein, zwei Fälle gesehen, die nicht gut aussahen. Da haben wir vorsichtshalber Strafanzeige gestellt gegen die betroffenen Polizisten“, sagte Reul weiter. Der CDU-Politiker bezeichnete den Einsatz der Aachener Polizei in Lützerath als „hochprofessionell“.

„Anne Will“ am 15. Januar: Herbert Reul kritisiert Vorgehen der Klimaschutzaktivisten in Lützerath

Reul kritisierte, dass sich die Demonstrierenden nicht an vorher getroffene Absprachen gehalten hätten und beispielsweise zu nah an die Abbruchkante oder in Richtung Lützerath gelaufen wären. Luisa Neubauers Rechtfertigung: „Unser Protest ist nicht immer legal, aber legitim. Aber an der Abbruchkante ist das natürlich was anderes, da ist es gefährlich.“

Sie selbst habe keine Schläge auf den Kopf von Demonstrierenden gesehen, vertraue aber den Aussagen der Sanitäterin. "Ich war selber in einer Situation, wo die Polizei mit Schlägen gegen eine Gruppe von Demonstrierenden vorgegangen ist", so Neubauer.

„Anne Will“: Kölner Michael Hüther hält Debatte um Lützerath für irrelevant

Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, hält die Debatte über Lützerath für falsch gesetzt. „Lützerath ist für die kommenden Jahre völlig irrelevant“, erklärt Hüther. „Wir reden über das verkehrte Thema. Wir sprechen hier über Gewalt und mit dem Innenminister von Nordrhein-Westfalen, obwohl wir eigentlich über Klimapolitik reden müssen“, moniert Hüther.

„Lützerath ist Symbolpolitik und hat die Grünen unter Stress gesetzt“, erklärt Hüther. Die Debatte zeige, dass es für die Aktivisten nie genug Klimaschutz gebe. Er fordert, sich an Joe Bidens klimapolitischen Ansätzen in den USA zu orientieren und die Gesellschaft so zu reformieren.

„Anne Will“: Erste Sendung nach überraschendem Aus zum Jahresende 2023

Ein Vorschlag Hüthers: „Die Atomkraftwerke in Deutschland könnten bis 2025 am Netz bleiben, um die Stromversorgung in Deutschland zu sichern. Damit könnten wir eine Flexibilität, auch in der Industrie, schaffen.“ Klimaforscher Mojib Latif kontert: „Wir werden im Sommer so heißes Wasser in den Flüssen haben, dass diese womöglich die AKW gar nicht mehr kühlen können. Das wären Zustände wie in Frankreich."

Für Moderatorin Anne Will und ihr Team war es die erste Sendung nach dem angekündigten Aus der Talkshow zum Jahresende. Will hatte angekündigt, ihren auslaufenden Vertrag nicht verlängern und sich stattdessen auf neue Projekte konzentrieren zu wollen. (shh)

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