Eine Romantik des Schreckens

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Als Gerhard Richter kürzlich gefragt wurde, warum er 1982 plötzlich damit begann, reihenweise Kerzen zu malen, hatte er eine verblüffend einfache Antwort parat: „Ich fand, dass die Kerze bis dahin in der Kunst vernachlässigt wurde.“ Auf diesen Gedanken muss man erst mal kommen, während alle Welt zu glauben scheint, dass Kerzen im Supermarkt besser aufgehoben sind als auf einem Gemälde.

Während Richter seiner Liebe zur Kerze folgte, wurden auf der Documenta zwei Kunstrichtungen gefeiert, die deren Sterblichkeitssymbolik ziemlich alt aussehen ließen. Die eine war die bilderfeindliche Konzeptkunst, die andere die Malerei der Neuen Wilden. Bei letzteren wirkte die Malerei immerhin wieder sehr jung, sah aber ganz anders aus als Richters beinahe klassische Gemälde mit ihrer zum Markenzeichen gewordenen Unschärfeoptik. Allerdings wäre Richter heute nicht einer der berühmtesten Künstler seiner Zeit, wenn er vor dem Zeitgeist klein beigegeben hätte.

Bereits in den späten 1960er Jahren hatte Richter begonnen, realistische Landschaften zu malen, obwohl sich das in der Moderne eigentlich nur Sonntagsmaler erlauben können. Sein Werk ist voller Wolken, Berge und Täler, die er meist nach Urlaubsschnappschüssen malte und die gemeinsam mit seinen Stillleben den Traditionskern seiner Kunst bilden. Auch seine anhaltende Neigung zum Landschaftsbild begründete Richter schlicht und ergreifend: „Die Landschaft ist wahrscheinlich das Tollste, was es überhaupt gibt.“ Warum sollte man das nicht mehr malen dürfen?

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Gerhard Richter

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Auf diese Frage gibt es mindestens zwei Antworten, und Gerhard Richter kannte sie allzu gut: Weil alles schon gemalt wurde (und zwar viel besser, als du es kannst). Und weil die Fotografie ein viel genauerer Spiegel der Wirklichkeit ist, als es die Malerei jemals sein könnte. Trotzdem machte Richter weiter, allerdings auch nicht gerade so, als wäre nichts passiert: Er malte Fotografien aus der Zeitung und aus seinem Familienalbum ab und wischte anschließend durch die nasse Farbe, um seinen Gemälden das Aussehen unscharfer Aufnahmen zu geben. „Ein Foto abzumalen erschien mir das Unkünstlerischte, was man machen konnte“, so Richter. Und genau das war der Kitzel, den er brauchte, um nicht mit dem Malen aufzuhören. Mit der Unschärfe brachte er einen modernen Verfremdungseffekt ins Spiel: Sie markiert die Grenze zwischen Kunst und Wirklichkeit und zwingt uns, genauer hinzuschauen.

Mit diesem Trick konnte sich Richter auch an die Landschaftsbilder wagen, denn in der „reaktionären“ Landschaft wird das Unzeitgemäße der Malerei beinahe zur Karikatur. Besonders gerne zitierte er die Bildkompositionen Caspar David Friedrichs, ein „Eisberg“ aus dem Jahr 1982 erinnert entfernt an dessen „Eismeer“ (1823). Aber Richters Bild ist keine Allegorie auf die Vergeblichkeit des menschlichen Strebens wie Friedrichs von Eisschollen verschlucktes Schiff. Anders als bei den Romantikern bedeuten Richters Landschaften nichts. Sie haben weder eine besondere Stimmung noch setzen sie uns in Beziehung zur Natur. Auf ihre Weise sind sie beinahe so abstrakt wie Richters gegenstandslose Bilder, und wenn uns der „Eisberg“ frösteln lässt, dann allenfalls wegen dieser absichtsvollen Bedeutungsleere.

Gerhard Richter hat seine Landschaftsbilder selbst einmal „verlogen“ genannt und das durchaus positiv gemeint, weil sich darin unser verlogener, weil verklärter Blick auf die Natur zeige. Anders als uns die klassische Malerei glauben machen will, so Richter, „ist die Natur in all ihren Formen stets gegen uns“, und zwar, „weil sie nicht Sinn, noch Gnade, noch Mitgefühl kennt, weil sie, absolut geistlos, das totale Gegenteil von uns ist, absolut unmenschlich ist“. Nimmt man Richter beim Wort, dann sind die Eisbilder seine treffendsten Landschaftsporträts, weil sich die Gleichgültigkeit der Natur in ihnen am deutlichsten zeigt. Und wir sehen mit Staunen: Das Schönste ist für Gerhard Richter zugleich das Schrecklichste. Am Ende ist er wohl doch ein Romantiker, der an das Erhabene der Natur glaubt.

ZUR BENEFIZAKTION

In der Samstag-Ausgabe des „Kölner Stadt-Anzeiger“ wird mit Gerhard Richters Erlaubnis auf einer ganzen Zeitungsseite ein Bild seiner „Kerzen“-Serie aus dem Jahr 1982 gedruckt werden. Der exklusive Abdruck steht im Zusammenhang mit der Solidaritätsaktion „Notgeld“ für Betroffene der Corona-Krise. Zahlreiche Künstler spenden eigene Werke für den guten Zweck – Richter etwa 30 Sonderdrucke seiner „Kerze“.

Die Einnahmen durch den Verkauf der Werke sollen an Obdachlosen-Einrichtungen gehen, aber auch an die „Kölner Stadt-Anzeiger“-Aktion „wir helfen“. Die Liste mit den Kunstwerken wird ab Samstag auf der „Kunst hilft geben“-Internetseite zu finden sein. (ksta)

www.kunst-hilft-geben.de

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