In der Lanxess-ArenaDieter Nuhr – der Massentherapeut mit der Lizenz zum Ausgrenzen

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Dieter Nuhr

Dieter Nuhr während eines Auftritts

  • Dieter Nuhr trat am Freitagabend in der Lanxessarena auf.
  • Der Kabarettist wird seit Monaten wegen eines eigentlich harmlosen Witzchens über Greta Thunberg von Klimaschützern scharf kritisiert.
  • Nuhr greift die Kritik auf und wehrt sich – auf problematische Weise.

Köln – Zur Begrüßung gibt es einen Huster. Er freue sich, dass trotz des Coronavirus so viele gekommen seien, sagt Dieter Nuhr am Freitagabend in der Lanxess Arena. In Deutschland sei ja immer gleich Weltuntergang.

Dabei seien wir auch ohne Virus sterblich, „auch wenn viele glauben, sie sind es nicht, weil sie joggen und Cappuccino mit Hafermilch trinken“. Natürlich sei die Krankheit ernst zu nehmen, aber wahrscheinlich sei die Pest dann doch ein anderes Kaliber gewesen.

Da hat Dieter Nuhr das Publikum direkt auf seiner Seite. Und dann sagt er etwas, was er in ähnlicher Form noch oft sagen wird bei diesem mit Pause rund zweieinhalbstündigen Auftritt. „Bevor jetzt wieder der Shitstorm einsetzt: Nein, ich mache mich nicht über Kranke lustig.“

Das Gefühl, bewusst missverstanden zu werden, es wird einem noch oft begegnen in Nuhrs neuem Programm „Kein Scherz“.

Nuhr sieht sich als Stimme der Vernunft in hysterischen Zeiten. „In den Medien wird ja alles als Weltuntergang verkauft.“ Er wolle über den Irrsinn unserer Zeit sprechen, aber der öffentliche Dialog sei mühsam geworden.

Nuhr sieht sich als kritischer Kommentator der Zeitläufte

Mit der Demokratie sei es wie auf einer Babystation: Einer brüllt, alle brüllen mit, keiner weiß warum. Seine Show sieht er als eine Art öffentliche Therapiestunde.

Der 59-Jährige begreift sich als einer, der die Dinge beim Namen nennt, der am Rand steht und reinruft, wenn etwas schiefläuft. Die Aufgabe des Kabarettisten habe sich geändert. Man müsse nicht mehr aufrütteln. 

Der heutige Spießer sei ohnehin Wutbürger und stehe schon auf dem Sofa. „Das Ziel des Programms ist es, das Publikum zu beruhigen.“ Das ist ein interessanter Gedanke. Den Deutschen gehe es gut, sie seien laut einer aktuellen Umfrage der Post so glücklich wie nie. Kein Grund zur Aufregung also?

Nuhr regt sich ständig selbst auf

Oh, doch. Der Kabarettist, der anderen ihr Erregungspotential vorwirft, regt sich selbst ständig auf. Etwa wenn Nuhr sich über den angeblichen Irrsinn der gendergerechten Sprache lustig macht. Keine Frage, es kommt beim Publikum super an, wenn er die Bezeichnung Studierende oder das Gendersternchen als Quatsch bezeichnet.

„Ich gendere nicht, weil es keine Rolle spielt.“ Für ihn vielleicht nicht. Aber wenn er Menschen, die darauf hinweisen, dass unsere Verwendung von Sprache unser Denken und letztlich auch unser Handeln beeinflusst, als Idioten hinstellt, wenn er sagt, jeder zu ihm eingeladene Veganer könne sich ja gern einen Tannenzapfen mitbringen, solange er ihn esse lasse, was er will, dann macht er genau den Fehler, den er seinen Kritikern vorwirft.

Er vereinfacht, er hört nicht auf Argumente, er zielt auf den schnellen Lacher, er grenzt diejenigen aus, die eine andere Meinung haben.

Kabarettist zu sein war früher leichter. Das gute alte bundesdeutsche Politkabarett war immer auch ein Gottesdienst der Selbstvergewisserung. Da saßen Menschen, die linke Positionen vertraten, und hörten Menschen zu, die ihre linken Positionen bestärkten.

War es eine Fernsehsendung, ärgerten sich vielleicht manche, die anderer Ansicht waren, vielleicht schrieben sie sogar mal einen wütenden Brief an den entsprechenden Sender. Das war es dann aber auch. Niemand musste aus der eigenen Blase heraus, niemand kam herein.

Das hat sich geändert. Die sozialen Netzwerke erlauben es, dass jeder einzelne Satz, den ein Kabarettist heute im Fernsehen sagt, im Netz tausendfach geteilt werden kann. Oft auch ohne einen Zusammenhang. Da wird Stimmung gemacht ohne Gegenargumente zuzulassen.

Und Empathie ist für viele, die sich da erregen, ein Fremdwort. In einem solchen Klima machte Nuhr vor ein paar Monaten einen eigentlich harmlosen Witz über Greta Thunberg: „Ich frage mich, was Greta macht, wenn es kalt wird. Heizen kann es ja wohl nicht sein.“

Die Geschichte greift er auch auf der Bühne auf. Und wiederholt den Witz von damals: Da seine Tochter auch zu Fridays for Future gehe, heize er nun ihr Kinderzimmer eben nicht mehr. Um nun zu ergänzen: Müsse er auch gar nicht, sie lebe nämlich zurzeit in London.

Ungerechtfertigter Shitstorm über einen harmlosen Witz

Ein echter Aufreger war dieser Witz weder damals noch heute. Doch dann eskalierte der Streit im Netz. Und Nuhr stand im Auge des Sturms. Was sicherlich schwer auszuhalten und ungerecht war.

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Er stellt auch in Köln noch einmal fest, dass er Greta möge. Er halte sie bloß nicht für den Messias, das sei Jürgen Klopp. Er sei der einzige Mensch, dem er zutraue, den Klimawandel im Alleingang aufzuhalten.

Problematischer Umgang mit Kritik

Der Fehler, den Nuhr damals machte war aber gar nicht der Witz. Wer den nicht aushält, ist selbst schuld. Das Problem war sein Umgang mit der Kritik daran. Nuhr tat und tut so, als werde er nur deshalb angegriffen, weil er sich traut, unangenehme Wahrheiten auszusprechen, als sei die Heftigkeit des Gegenwindes ein Gradmesser dafür, ob man einen wunden Punkt getroffen hat.

Dabei weiß er es selbst besser. Man könne im Netz auch das Foto eines Spiegeleis posten und laufe Gefahr, dafür angegriffen zu werden, sagt er in Köln. Womit er völlig recht hat.

Diese aufgeheizte Stimmung ist furchtbar ätzend und zermürbend. Jeder dürfe alles sagen, er müsse nur damit rechnen, ausgegrenzt, beschimpft und bedroht zu werden, sagt er dann auch in seinem Programm. „Da sparen sich viele die Widerworte.“

Aber sich als einer der letzten Aufrechten zu inszenieren, ist dann doch problematisch. Weil es eben genau diesen „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“-Ton trifft, der in gewissen Kreisen zum Totschlagargument geworden ist. An dieser Stelle macht sich Nuhr in seinem Umgang mit Kritik mit genau denen gemein, mit denen er aus verständlichen Gründen ja gerade nicht in einen Topf geworfen werden will. 

Nuhr ist kein Rassist, er ist auch kein AfD-Freund, „Bonsai-Hitler“ Björn Höcke nimmt er gekonnt und mit scharfen Worten auseinander. Er ist auch kein Sexist oder Islamhasser.

Aber er ist eben auch nicht der letzte Aufrechte, der über einen gesunden Menschenverstand verfügt. „Wir leben im Zeitalter der Beleidigten“, sagt Nuhr irgendwann im Laufe dieses Abends. Und man wird den Gedanken nicht los, dass er vergessen hat, dass er selbst dazu gehört.

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