Neues Buch von Jan BöhmermannIch tweete, also bin ich - aber wieso?

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Jan Böhmermann

Jan Böhmermann

  • Jan Böhmermann hat rund 26000 Tweets in einem Band versammelt, um damit seine persönliche Geschichte des vergangenen Jahrzehnts zu schreiben.
  • Man kann miterleben, wie sich der twitternde Böhmermann verändert und vom ironischen Besserwisser zum politischen Satiriker mutiert.
  • Aber stimmt seine Hauptthese: Twitter gibt mittlerweile auch den Ton für das analoge Leben an?

Köln – Er sei gar nicht so oft wirklich richtig stolz, „aber ich bin heute wirklich leider richtig stolz. Entschuldigung“, ließ Jan Böhmermann wissen, als sein Twitter-Tagebuch „Gefolgt von niemandem, dem du folgst“ erschien. Und auch in seinem Spotify-Podcast „fest und flauschig“ wurde deutlich, dass ihm dieses Buch ganz unironisch am Herzen liegt.

Eine Erzählung des vergangenen Jahrzehnts

Das wundert auch nicht, denn der blasse, dünne Junge, der in seinen Anfängen mit einer Lukas-Podolski-Parodie für erste Lacher sorgte, hat Großes vor. „Mein Ziel ist der bestmögliche Versuch einer Erzählung des vergangenen Jahrzehnts“, schreibt Böhmermann im Vorwort des Buches. Und sein Verlag Kiepenheuer & Witsch spricht gar von einer „radikal neue Art der Geschichtsschreibung“.

Ist das nicht ein bisschen hochgegriffen? Denn abgesehen von einer kurzen Einleitung ist das Twitter-Tagebuch genau das: ein Tagebuch in rund 26 000 Tweets, angefangen mit seinem ersten, den der heute 39-Jährige am 16. Januar 2009 in die Welt schickte („Hunger“). Antworten von mehr oder weniger Prominenten sind verzeichnet, an manchen Stellen liefern Fußnoten Hintergrundinformationen.

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Man kann Böhmermann dabei beobachten, wie sich seine Twitter-Tätigkeiten verändern. Sind es am Anfang vor allem mehr oder weniger gelungene Witze und Alltagsbeobachtungen, verändert sich im Laufe der Jahre der Ton. Wenn er sich zu Beginn über das Finale von „Germany’s Next Topmodel“, Fußball oder sein Mittagessen auslässt, ist das immer irgendwo zwischen Klassenclown, Besserwisser und Nerd angesiedelt.

Doch er wird bald deutlich ernster und politischer. „Das Einzige, was Satire nicht darf: Mit Kalaschnikows bewaffnet Redaktionsräume stürmen und unschuldige Menschen erschießen“, twittert er im Frühjahr 2015. Und nach den Terroranschlägen in Paris im November desselben Jahres stellt er 100 Fragen („Warum bin ich nicht Polen, obwohl ich viel mehr Polen bin als Frankreich?“). Nur einmal schweigt sogar Jan Böhmermann. Nach der Staatsaffäre, die sein Erdogan-Gedicht im Frühjahr 2016 auslöste, setzte er vom 7. April bis 1. Mai keine Tweets ab. 

14000 Twitter-Accounts blockiert

Das Twitter-Tagebuch des früheren „Neo Magazin Royale“-Moderators, der im November ins ZDF-Hauptprogramm wechseln wird, ist auch ein eindrucksvoller Beleg, dass Hass in den sozialen Netzwerken Alltag ist. Knapp 14 000 Twitter-Accounts hat er mittlerweile blockiert.

Böhmermanns Tweet-Parade liest sich sehr kurzweilig, aber ist das wirklich so relevant? Er selbst ist überzeugt, dass Twitter die Grenzen des Internets längst überwunden hat. Bei Twitter werde Wirklichkeit gemacht, die wir dann auch außerhalb der digitalen Welt spüren. Dass der amerikanische Präsident Donald Trump per Twitter Politik macht, ist klar, aber gilt das auch für Deutschland? Es sei falsch, von einer Twitter-Bubble zu sprechen, ist der Satiriker überzeugt. Denn auch wenn nach Schätzungen nur ungefähr fünf Prozent der Deutschen Twitter nutzen, seien dort genau diejenigen unterwegs, die im echten Leben den Ton angeben. Und dazu rechnet er sich mit seinen knapp 2,2 Millionen Followern natürlich. Es wäre spannend gewesen, hätte Böhmermann diese „kaum erforschte Wechselbeziehung“ anders in den Fokus gerückt als nur durch eine Auflistung seiner Tweets. So bleibt seine These an vielen Stellen Behauptung.

Sein Buch wirft aber auch noch eine andere spannende Frage auf: Wie werden künftige Generationen beurteilen, was heute geschieht, wenn vieles von dem, was relevant ist, in den so flüchtigen sozialen Netzwerken verhandelt wird? Analysieren Historiker in 30 Jahren nicht mehr Akten sondern Tweets? Böhmermann hat das neue Medium ins alte Medium Buch gebracht – und seine bisherigen, dort verewigten Tweets gelöscht. Seinen Beitrag zur Geschichtsschreibung hat er also schon mal geleistet.

Jan Böhmermann: „Gefolgt von niemandem, dem du folgst – Twitter-Tagebuch. 2009-2020“, Kiepenheuer & Witsch, 464 Seiten, 22 Euro.

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