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Pixies auf dem RoncalliplatzZerstückelungsfantasien vor dem Kölner Dom

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Die Pixies vor dem Kölner Dom  

Köln – Diese manische Energie der Jugend! Das Gefühl, in den weiten, offenen Raum geworfen zu werden. Über Abgründe hinweg zu hüpfen, wie ein flacher Stein, über einen tiefen Teich geschleudert – die Musik der Pixies fing das perfekt ein. Fiebrige Hochstimmungen und peinliche Entgleisungen, davon wusste Ende der 1980er Jahre niemand so gut zu erzählen wie Black Francis, der Sänger und mehr oder weniger einzige Songschreiber der Bostoner Band.

Francis, bürgerlich Charles Thompon IV, ist inzwischen 57 Jahre alt. Wenn er dieser Tage, wie im ersten Song des Kölner Sets, eine ferne Geliebte auffordert, sich ihre Hände an einem Kaktus aufzureißen, das Blut an ihrem Kleid zu verwischen und es ihm zu schicken, hört man die pubertäre Anmaßung nur noch aus der Ferne heraus. Früher heulte Black Francis bei solchen Zeilen psychotisch auf, als sänge er aus einer Gummizelle. Heute trägt er sie in mittlerer Lage vor, als handelte es sich bei „Cactus“ um einen ganz gewöhnlichen Rocksong.

Einem Konzert der nun schon erstaunlich lange wiedervereinten Pixies beizuwohnen – und sei es im mächtigen Schatten des Kölner Doms –, ist also auch ein Stück weit Entzauberung. Die Jugend ist verloren, man lebt nicht mehr gefährlich und denkt in geraden Bahnen. Aber die Band – Gitarrist und Namensgeber Joey Santiago, Schlagzeuger David Lowering und Bassistin Paz Lenchantin, festes Mitglied seit 2016 – macht diesen Verlust mit Fleiß und Spielfreude wett: 38 Songs in zwei Stunden, etliche davon Lieblingsstücke für die Ewigkeit, viel mehr kann man nun wirklich nicht verlangen.

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Männer im besten Alter rempeln sich an

„Come On Pilgrim“, „Surfer Rosa“ und „Doolittle“, die ersten drei, unfehlbaren Veröffentlichungen der Band, bilden das Rückgrat der Show. Kaum erklingen die ersten Akkorde von „Monkey Gone to Heaven“, „Nimrod’s Son“ oder „Gigantic“ steigt die Temperatur auf dem Roncalliplatz merklich und links von der Bühne bildet sich ein Moshpit aus Männern im besten Alter, die sich wohl seit Jahrzehnten nicht mehr so ausgelassen angerempelt haben. „Wave of Mutilation“ spielen die Pixies sogar gleich zweimal, am Anfang und gegen Ende des Konzerts. Der Erzähler stürzt sich darin mit seinem Auto von einer Klippe in den alles verschlingenden Ozean: ein Hochgefühl!

Black Francis singt von sadistischen Zerstückelungsfantasien, inzestuösen Liebesbeziehungen, alttestamentarischen Propheten und surrealistischen Filmen (später kamen noch Ufo-Mythen dazu). Seine Lyrics sind Comic-Adaptionen der Freud’schen Schriften, seine Songs Surf-Rock-Expeditionen ins Unbewusste. Beinahe-Hits, deren Refrains an dafür nicht vorgesehenen Stellen einsetzen und deren Laut-Leise-Dynamik in kein Radioformat passt.

Wie die Band ihren einzigen Hit boykottierte

„Here Comes Your Man“, ihren einzigen offensichtlichen Pop-Song – der auch am Samstagabend in Köln mit erhobenen Händen begrüßt wird – boykottierte die Band damals wo sie nur konnte, weigerte sich, ihn live zu spielen, schlug Einladungen in Late Night Shows aus.

Auch deshalb kann man sich heute über das lange, zweite Leben der Band so freuen: Zu ihrer besten Zeit waren sie in ihrer amerikanischen Heimat nur mäßig erfolgreich (in Europa dagegen sehr viel mehr), der Ruhm ereilte sie erst spät, als die Größe ihres Einflusses endlich hörbar wurde. Wie man mit einem Pixies-Lied die Charts erobern kann, hat Kurt Cobain mit „Smells Like Teen Spirit“ vorgemacht, was der Nirvana-Sänger ja auch offen zugegeben hat.

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Zwischen ihre alten Großtaten streut die Band in Köln auch vier zuvor ungehörte Songs vom kommenden Album „Doggerel“. Die klingen durchaus vielversprechend, doch den Wahnsinn der frühen Jahre erreichen die Pixies hier nicht einmal annähernd. Wie denn auch? Am ehesten noch, wenn Joey Santiago kurz seine Schiebermütze abnimmt, um mit ihrer Hilfe am Griffbrett ein Gitarrensolo zu spielen. Nimm das, Jimi Hendrix! 

Als der Publikumschor Francis Black lautstark bei „Where Is My Mind?“ unterstützt,  ist das neue Material schon wieder vergessen. Black schrieb das Lied, nachdem er sich beim Tauchen von einem kleinen Fisch verfolgt fühlte. Später vertonte David Fincher damit den wolkenkratzerstürzenden Höhepunkt von „Fight Club“: Ein schönes Bild für den Bedeutungsgewinn der Pixies.  

Die Band beendent ihr Set mit Neil Youngs sehnsüchtigem „Winterlong“, dann spielt sie zur Zugabe endlich „Debaser“, den einzigen und besten Popsong über Luis Buñuels „Ein andalusischer Hund“, auch das ein Film, den man in jungen Jahren gesehen haben muss. 

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