Shootingstar am PultPatrick Hahn ist Deutschlands jüngster Generalmusikdirektor

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Patrick Hahn ist der jüngste GMD im deutschsprachigen Raum.

Wuppertal – „Und bitte, die Herren Bässe: Atmen Sie zeitig, sonst klingt es wie überrumpelt und hineingestolpert.“ Die Aufforderung des Dirigenten verrät zweierlei: seine Vertrautheit mit den Usancen des Chorgesangs – das Atmen unmittelbar vor dem Einsatz schädigt die Klangwirkung tatsächlich – und die ausgesucht höflich-kommunikative Form des Umgangs mit den Laiensängern.

"Die Zeit der Pult-Diktatoren ist vorbei" 

Ist Patrick Hahn von Haus aus menschenfreundlich, oder ist das alles Strategie und Taktik? Hahn lacht: „Selbst wenn man es nicht wäre, müsste man es doch so machen; gute Ergebnisse kommen nur in einem freundlichem Umfeld zustande, und die Zeit der Pult-Diktatoren ist eh vorbei – das lässt sich heute niemand mehr gefallen.“

Das dürfte zutreffen. Zugleich klingt das Statement bemerkenswert professionell und abgeklärt. Was nicht weiter erwähnenswert wäre, wenn Hahn nicht gerade mal 26 Jahre alt wäre. Dieser Umstand ist mit einigen Superlativen verschwistert – unter anderem dem, dass der gebürtige Grazer jüngster deutscher Generalmusikdirektor ist: Seit September ist er für das städtische Opern- und Konzertwesen in Wuppertal zuständig.

Soeben war er – nicht zum ersten mal – in der Kölner Philharmonie: mit dem Sinfonieorchester Wuppertal, um im Rahmen der „Kontrapunkt-Konzerte“ Beethovens Neunte aufzuführen. Mit dabei: der Chor der Konzertgesellschaft Wuppertal und die Kölner Kartäuserkantorei.

Wird Hahn, den die internationale Presse als Shootingstar am Pult (und nicht nur da, sondern auch als Jazzpianist und Georg-Kreisler-Chansonnier) feiert, seine Jugend manchmal auch zum Problem? „Klar“, sagt er im Interview mit dieser Zeitung, „da fragen die altgedienten Orchestermitglieder schon neugierig: Bringt der das?“

Sein Alter ist kein Problem

Ensembles indes, die mit sich im Reinen seien, hätten mit seinem Alter keine Probleme: „Wenn die merken, dass der da vorne das professionell angeht, kommunizieren kann, was er haben will, dann ist das für die in Ordnung.“

In der Tat: Zu Beginn mag der Österreicher (der nicht übertrieben, aber doch hörbar auch so spricht), noch wie ein leicht nerdiger Musterschüler herüberkommen. Der Eindruck verliert sich aber bei der Probenarbeit: Hahn kennt nicht nur die Partitur genau, er weiß auch mit einem äußerst, teils schon uhrwerkhaft präzisen und zugleich sehr flexiblen Schlag die Realisation seiner Klangvorstellung einzufordern.

Neben vielem anderen ist das einfach exzellentes Kapellmeisterhandwerk. Hahn macht kein pseudogeniales Dirigiertheater für die Galerie, fuchtelt nicht, wenn ein Fortissimo dräut. Das kommt schon, er weiß es, von allein, jede Zusatzbewegung wäre überflüssig.

Hahn ist Pragmatiker

Und Hahn ist Pragmatiker, der weiß, dass das Stück für den Chor, auch wenn der nicht wirklich lang zu singen hat, kräftezehrend ist: „Das ist extrem intensiv und unsängerisch; es singt sich nicht von selbst und ist stimmlich belastend: Man muss immer noch eine Schippe drauflegen.“

Dass er keine Profis vor sich hat, weiß er – es stört ihn nicht: „Diese Arbeit ist für mich sehr bereichernd, weil die Chöre eine ganz eigene Art von Begeisterung mitbringen, während Profis oft Dienst nach Vorschrift abliefern.“

Intonationsmängel, die sich bis zum Schluss nicht ganz beheben lassen? Geschenkt: „Es wird nie perfekt sein, aber das wird durch Freude wettgemacht.“

Mit 12 eine Oper komponiert

Hahn selbst neigt dazu, die Auffälligkeiten seines frühen Höhenflugs herunterzuspielen, verweist auf die Förderung und Begünstigung durch ein – übrigens nicht weiter musikalisches – Elternhaus (der Vater: Schlosser; die Mutter: Industriekauffrau) und Lehrer. Früher Start also als Knabensolist bei den Grazer Kapellknaben.

Dann, mit 11, Klavierstudium an der dortigen Musikhochschule, wo er auch sein Dirigier- und Korrepetitionsstudium abschließt. Stetiger Kontakt zur Oper und die Begeisterung über eine Aufführung der „Zauberflöte“ veranlassen den Zwölfjährigen, die Oper „Die Frittatensuppe“ zu verfassen, die 2008 unter seiner Leitung in Graz uraufgeführt wird.

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Meisterkurse führen ihn zu Kurt Masur und Bernard Haitink sowie als Conducting Fellow zum Aspen Music Festival und zum Tanglewood Music Center.

Sein Debüt als Dirigent gibt er 2014 mit dem Orchester der Ungarischen Staatsoper Budapest bei einem Galakonzert anlässlich des 25. Jahrestags der Öffnung der österreichisch-ungarischen Grenze. Im selben Jahr dirigierte er erstmals im Musikverein Graz.

 Jüngster Dirigent im großen Saal der Elbphilharmonie

Es folgen Debüts mit den Münchner Philharmonikern, dem Chor- und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dem Münchner Rundfunkorchester, dem Gürzenich-Orchester, der Dresdner Philharmonie, den Düsseldorfer Symphonikern, der NDR Radiophilharmonie und und und. Mit der Aufführung von Bruckners Siebter die Symphoniker Hamburg im Frühjahr 2019 wird Hahn zum jüngsten Dirigenten im großen Saal der Elbphilharmonie.

Jetzt also die Neunte in Wuppertal und Köln. Ist das ein gutes Stück? Hahn reagiert verständnislos: „Na klar ist sie das.“ Ideologiekritische Fragen etwa nach der Gewaltsamkeit der Beethoven’schen Freuden- und Humanitätsbotschaft interessieren ihn nachrangig – wenngleich er einräumt, dass die Omnipräsenz des Stückes für dieses selbst problematisch ist.

Als Überbringer einer Botschaft sieht es sich selbst jedenfalls nicht: „Friede und Freude, ja. Aber was daraus gelesen wird, das muss einem jedem überlassen bleiben. Es ist nicht meine Absicht, diese Ansichten zu definieren.“

Viel mehr interessieren ihn die heiklen Fragen der Beethoven’schen Tempi und Temporelationen. Dem Chor will der Einstieg auf Anhieb zu zügig, die Doppelfuge über die Themen von „Freude, schöner Götterfunken“ und „Seid umschlungen, Millionen“ hingegen zu gemessen scheinen. Hahn pocht auf die Beethoven’schen Metronomangaben, die es lediglich auf den korrekten Notenwert zu beziehen gelte: „Dann stimmt alles.“

Und Wuppertal? Die Presse lobte den Einstand von Patrick Hahn, der hier auch inzwischen eine Wohnung hat, inbrünstig, und auch er selbst ist zufrieden: „Nach vier Monaten kann man noch nicht so sagen, was man erreicht oder nicht erreicht hat. Aber es war ein guter Start ohne Ausfälle.“ Nach langer corona-bedingter Zwangspause endlich mal wieder ein Werk wie die „Alpensinfonie“: „Das war schon super.“

Sehr angetan ist er nach eigenen Worten von der Qualität des örtlichen Orchesters: „Das ist alles sehr positiv. Sicher beeinflusst das Konglomerat von großen Orchestern die Region; wobei ich die Nachbarorchester auch kenne und nicht behaupten müsste, dass wir ihnen künstlerisch nachstehen. Finanziell wohl allemal, aber musikalisch brauchen wir uns sicher nicht zu verstecken.“

Er will in Wuppertal eigene Akzente setzen

Hahn will mit den Wuppertalern auch eigene Akzente setzen, die zugleich sein starkes Faible für die musikalische Moderne verraten: „Komponisten wie Ives, Zimmermann und Schnittke liegen mir schon sehr am Herzen – und sie sind viel zu wenig präsent.“ So oder so muss man sich mit 26 zwangsläufig noch viel „Aufführungsstoff“ erschließen: „Das stimmt, aber ich lerne schon recht flott. Sicher, ich muss mich selbst finden, und das ist ein langer Prozess.

Gleich im Anschluss an den Kölner Beethoven flog er übrigens an den Bosporus, um das Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra zu dirigieren, und von dort aus zum Wiener Klangforum, einer ersten Adresse in Sachen Neuer Musik, die Hahn immer wieder ansteuert. Zur Monatsmitte ist er dann zu den „Tannhäuser“-Proben wieder in Wuppertal. Klar aber ist: Die Welt des Patrick Hahn reicht schon jetzt weit über Wuppertal hinaus.

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