Köln – Er tut es wirklich. Er tut es immer noch. Er tut es aus gutem Grund. Kurz vor Elf tritt Udo Jürgens im weißen Frottee-Bademantel vor sein Publikum in der Kölner Lanxess-Arena. Dieses Ritual gehört zu einem Konzert des Künstlers wie der Sturmlauf vieler Fans zum Bühnenrand nach der Pause.
Der Bademantel ist das Signal: Hier macht einer ernst. Abend für Abend. Der Künstler laviert sich nicht durch sein Standardprogramm, sondern er will, dass seine Kunst ernst genommen wird. Selbst wenn sie heiter ist. Das spürt das Publikum, das längst nicht nur aus dem Bereich Ü60 stammt, und deshalb kommt es immer wieder.
„Mitten im Leben“ heißt die aktuelle und mittlerweile 25. Tournee – und mit gerade mal 80 Jahren scheint sich Udo Jürgens genau dort zu befinden. Jedenfalls ist seine Lust, sich mit Individuum und Gesellschaft kritisch auseinanderzusetzen, jung geblieben. Seine Stimme hat weiterhin Kraft und Farbe. Und dass seine Bewegungen, wenn er sich nach den Blumensträußen bückt, etwas behutsamer geworden sind – geschenkt. Was festzuhalten bleibt: Mit dem feinen Pepe Lienhard Orchester, das schon seit Jahr und Tag an seiner Seite spielt, unterhält er die 10000 Besucher drei Stunden lang bestens auf seine Art – bis zum Einschalten des Saallichts.
Vor dem Konzert sagte uns ein Passant, der in der Türkei aufgewachsen ist und seit vielen Jahren in Köln lebt: „Udo Jürgens – das ist für mich Deutschland“. Dass der Künstler in Österreich geboren ist, 1934 als Udo Jürgen Bockelmann in Klagenfurt, spiele da überhaupt keine Rolle. Und tatsächlich hat Jürgens die Zeitläufte beharrlich in seinen Liedern gespiegelt. Seit den 60er Jahren. Er war und ist immer da, selbst wenn man ihn einmal für eine Weile aus den Augen verliert. Daran soll sich so schnell nichts ändern: „Wir haben noch ein bisserl Zeit!“ sagt er zu seinem Orchesterchef.
Sonnenschein und Apokalypse
Die erste Hälfte des Konzerts widmet Jürgens neuen und neuesten Liedern. Da geht es darum, dass Verantwortung sich nicht delegieren lasse, nicht an Eltern oder Staat, sondern dass jeder selbst dafür einstehen müsse, was er denke, sage, tue. Oder er besingt den gläsernen Menschen, über den die Maschinen alles zu wissen scheinen: „BND, NSA – wir alle stehen unter Generalverdacht.“ Dann vor der Pause noch „Die Krone der Schöpfung“, breit instrumentiert. Das Lied ist seit 15 Jahren sein ökologischer Weckruf: „Wir sind auf dem besten Wege, unseren Erdball zu zerstören“, sagt er vorweg, „unser Zuhause zu zerstören“.
So in der Art. Dazwischen wird immer mal wieder etwas Sonne ausgepackt. Denn das sind die beiden Elementarteilchen im Liedgut des Udo Jürgens: Kritischer Geist und positives Denken. Das alles ist nicht tiefschürfend, aber trotzdem meistens richtig. Seine Lieder könnten keine Leitartikel ersetzen, sagt er selbst, doch zumindest könnten sie Empfindungen ausdrücken eingedenk der Lage und des Lebens. Das Spektrum reicht bei ihm von Wut bis Liebe. Oder besser umgekehrt: Von Liebe bis Wut. Im Zweifel für das Positive.
Nach der Pause, wenn sich eine Hundertschaft begeisterter Fans für den Rest des Abend vor der Bühne drängelt, gewinnen die vertrauten Hits an Boden. Die geschmetterte Hymne „Ich war noch niemals in New York“ ist tatsächlich ebenso unverwüstlich wie der „Griechische Wein“. Der wird jetzt in einer getragenen Fassung geboten, die den kritisch-melancholischen Urkern wieder freilegt. Andere Hits aus alten Zeiten werden im Medley offeriert: Ob „Siebzehn Jahr“ (aus dem fernen 1966) oder der „Platz an der Sonne“, ob „mit 66 Jahren“ oder „mit Sahne“.
Dazwischen gibt es weitere Aktualitäten vom neuen Album. „Der Mann ist das Problem“ gehört dazu und erfreut mit Witz und Ironie: „Er traut sich nicht zum Zahnarzt, aber Kriege fängt er an.“ Das letzte Lied an diesem Abend singt er allein am Flügel. In Jeans und weißem Hemd, das ihm zur Hälfte aus dem Hosenbund hängt: „Zehn nach Elf“. Da ist es gerade 23 Uhr. Dann ist es vorbei. Wer diesmal in Köln nicht dabei sein konnte, hat allerdings schon bald die nächste Chance – am 28. März gibt es ein Zusatzkonzert in der Arena. Udo Jürgens kommt ja immer wieder. Den Bademantel in Weiß bietet übrigens der Fan-Shop an.