Zum Tod des Architekten Frei OttoDer Meister der Netze begann in Berlin

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Segel über dem Kölner Tanzbrunnen – geplant von Frei Otto.

Segel über dem Kölner Tanzbrunnen – geplant von Frei Otto.

Ein leichtes Segel schwebt über dem Kölner Tanzbrunnen – seit fast 60 Jahren. Der Zeltaufbau schmückt den 1950 errichteten runden Brunnen im Kölner Rheinpark seit 1957 – anlässlich der Bundesgartenschau hatte der junge Architekt Frei Otto den Auftrag erhalten, drei leichte Zeltkonstruktionen zu errichten. Am eindrucksvollsten geriet jenes Sternwellendach über dem Tanzbrunnen, dessen symmetrische Schwünge die backsteinerne Schwere des dahinterliegenden Staatenhauses hochsympathisch kontrastieren.

Das Zeltdach über dem Brunnen zählt zu den ersten Werken des 1925 im sächsischen Siegmar geboren Architekten, dessen Leidenschaft von Anfang an den „leichten Flächentragwerken“ gehörte, also zeltähnlichen Bauten, die erst durch ihre spezifische Form und Krümmung Stabilität bekommen. Aufgrund der verwendeten Materialien waren seine Bauten zunächst oft nur temporär und mussten im Winter abgebaut werden. Das galt über Jahrzehnte auch für den Tanzbrunnen, erst 1980 wurde statt des ursprünglichen Baumwolldachs eine ganzjährig taugliche Kunststoffvariante aufgebaut.

1971 gab es erneut eine Bundesgartenschau in Köln – und wieder wurde Frei Otto gerufen. Diesmal konstruierte er die leuchtend orangen Schirme über der Bühne und dem leicht abfallenden Zuschauergelände südlich der Brunnenanlage, beide Konstruktionen sind bis heute elementare Bestandteile und Markenzeichen des Tanzbrunnens.

Frei Otto eröffnete 1952 in Berlin sein erstes Büro und 1957 die „Entwicklungsstätte für Leichtbau“, aus der die Forschungsgruppe „Biologie und Bauen“ an der Technischen Universität hervorging. Hier entstanden auch die ersten Skizzen jener spinnwebartig dünnen Tragwerke und Zeltbauten, die im Münchner Olympia-Stadion von 1972 einen weltberühmt gewordenen Höhepunkt fanden. Hier begann eine Architektur, die die Menschen mit zarter Leichtigkeit umhüllen sollte wie die 1975 eingeweihte, grandiose Mannheimer Multifunktionshalle.

Ideen, die so sehr irritieren, dass die Jury des Pritzker-Preises Frei Otto erst jetzt diesen Preis zugesprochen hat. Absurd spät. Wenige haben wie er die Architektur befreit von der Vorstellung: vier Wände mit Satteldach. Am Montag verstarb Otto im Alter von fast genau 90 Jahren in seinem Haus in Warmbrunn bei Stuttgart.

Immerhin, die Emissäre der Jury konnte er noch empfangen, um ihnen zu sagen: „Mein Ziel war es immer, neue Typen von Häusern zu entwerfen, vor allem, um armen Menschen nach Naturkatastrophen und anderen Unglücken zu helfen. Sie haben einen glücklichen Mann vor sich.“ Man glaubt es unbesehen.

1964 hatte Otto sein Büro an die Technische Hochschule Stuttgart verlagert. Es entstand das weltberühmte Institut für leichte Flächentragwerke. Der Wechsel hatte Symbolkraft: West-Berlin, die Stadt, in der in den 1950ern architektonisch so viel gewagt werden konnte, wurde seit Mitte der 1960er-Jahre selbstzufrieden. In Stuttgart gab man dagegen einem Tüftler und Sucher Raum.

Luftig sollte die Architektur sein, lehrte Frei Otto. Ein Thema der Zeit, das besonders deutsche Architekten bewegte. Der tiefe Schock der Nazi-Zeit und ihrer massigen Staatsarchitektur wurde auch so verarbeitet. An den Münchener Olympia-Bauten arbeiteten Günter Behnisch, Frei Otto und Jörg Schlaich zusammen, um die Konstruktion immer leichter zu machen. Und in West-Berlin entstanden 1987 die Öko-Häuser am Landwehrkanal, für die Frei Otto die Tragstruktur entwarf und neun andere Architekten die Füllung. Wenig ist in Deutschland seither gebaut worden, was so heitere Bilder einer offenen, optimistischen Gesellschaft erzeugt.

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