„Corona-Entleerungsmotiv”Kölner Fotograf Boris Becker über Kunst in Pandemie-Zeiten

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Boris Becker

Boris Becker

Köln – Herr Becker, als Sie Ihre Fotos angesehen haben, die durch Menschenleere gekennzeichnet sind – welche Gefühle hat das geweckt, jetzt in der Corona-Krise?

Ich war zunächst erschrocken. Ich will nicht sagen, dass ich die Situation seinerzeit antizipiert habe. Natürlich habe ich menschenleere Landschaften oder Architekturen über Jahre hinweg fotografiert, damit der Fokus eben gerade auf diesen Objekten liegt – Personen, so dachte ich, lenken davon ab. Jetzt aber haben sich im Grunde 40 Jahre meiner Fotografie auf den Kopf gestellt, weil man einen anderen Blick auf solche Motive hat. Man denkt sofort, dass es sich dabei um ein Corona-Entleerungsmotiv handelt.

Zur Person Boris Becker

Der Fotograf und Filmemacher Boris Becker, geboren 1961 in Köln, ist Sohn des Schriftstellers Jürgen Becker. Er studierte an der Hochschule der Künste Berlin bei Wolfgang Ramsbott und an der Kunstakademie Düsseldorf bei Bernd Becher. Becker lebt und arbeitet in Köln. 1997 wurde ihm ein Stipendium in der Villa Massimo in Rom zuerkannt. 2019 erhielt Becker den Kunstpreis der Künstler. Zuletzt war in Köln seine Reihe der „Hochbunker“ in der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur zu sehen. (ksta)

Dass es sich also um etwas Erzwungenes handelt?

Ja, durch dieses Ereignis der Pandemie hat sich die Sehweise auf meine Arbeiten komplett auf den Kopf gestellt. Gut, nun habe ich so lange die Menschenleere fotografiert, und dann beginne ich ausgerechnet im vergangenen Sommer damit, Menschen zu fotografieren. In Marokko, in Korea – ich habe die Erfahrung gemacht, dass es mir leichter fällt, auf Reisen zu fotografieren, als wenn ich hier in Nippes auf der Neusser Straße Leute fotografiere, oder auf der Domplatte. Das funktioniert nicht so.

Haben Sie Hemmungen?

Klar, hier muss man die Persönlichkeitsrechte beachten, da ist man stark sensibilisiert, so dass man alles Mögliche begründen und sich Freistellungserklärungen unterschreiben lassen muss. In Südkorea oder Marokko gibt es diese Hemmschwelle nicht, da denkt jeder, ich sei Tourist. Ich habe also damit begonnen, in kleineren Einheiten zu fotografieren, in Restaurants, am Flughafen, in Läden – ich fange also damit an, und dann auch noch in diesem Epizentrum Südkorea, und dann das: Corona! Da muss man sich plötzlich Mühe geben, dass Leute überhaupt ins Bild kommen. Früher habe ich gewartet, dass die Leute aus dem Bild verschwinden, jetzt stehe ich genauso lange rum, damit sie reinkommen.

Auch in dieser Hinsicht hat Corona alles umgekrempelt.

Man sieht definitiv anders auf Bilder. Wenn ich jetzt Menschenleere betrachte, denke ich automatisch an Corona. Ich habe vor fünf Jahren eine Serie gemacht für das Schauspiel Köln – da ist mir das besonders aufgefallen. Ich sollte den geplanten Umzug von Mülheim zurück begleiten, und gerade auch die Innenstadt habe ich menschenleer fotografiert, also den angestammten Ort des Schauspiels, das Haus selbst, die Hohe Straße, Schildergasse, Farina-Haus. Oft sonntags morgens in aller Frühe.

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Sie haben also immer gewartet, bis alle verschwunden waren – Sie konnten die Leute ja schlecht auffordern, wegzugehen, oder?

Manchmal habe ich das auch gemacht. Aber oft sind zu viele Leute am Ort, da wurde ich so manches Mal zum Misanthropen.

Gibt es noch weitere Kölner Motive der Menschenleere?

Eins habe ich auch für die Aktion „Nothilfe“ zur Verfügung gestellt, nämlich die Südbrücke. Darauf sieht man durch einen Bogen den Gang über den Rhein – da habe ich wirklich sehr lange gewartet, bis niemand kam. Und natürlich den Dom.

Was ist das Besondere, wenn man eine Stadt oder eine Landschaft menschenleer fotografiert. Offenbart sich besonders gut die Struktur?

Ja, schon. Menschen ergeben eine andere Komponente. Menschen in Landschaften, das kann idyllisch wirken, oder auch bedrohlich, wenn es sich um eine zerstörte Landschaft handelt. Während meines Aufenthaltes in Rom etwa habe ich viel in der Peripherie fotografiert, wo sich viele Prostituierte anboten, schon damals Flüchtlinge aus Nordafrika. Hätte ich diese Frauen fotografiert, hätten die Bilder eine völlig andere Wirkung erzielt als die Gegend in Menschenleere. Damals wollte ich mich auf Formen und Strukturen konzentrieren.

Wim Wenders, der neben seinen Filmen auch fotografiert, spricht vom Ortssinn. Man muss Orten Zeit lassen, bevor sie ihre Geschichte erzählen. Geht es Ihnen auch so?

Absolut. Gerade auch in Berlin am Potsdamer Platz, wo Wenders viele Szenen vom „Himmel über Berlin“ gedreht hat und wo auch ich viel fotografiert habe – da hatte ich immer das Gefühl, dass, je länger ich dort Zeit allein verbringe, der Platz selbst zu erzählen beginnt. Es gibt die Plätze, die übervoll sind, obwohl sie leer sind, das ging mir bei meinen Fotos auf den Spuren von Lawrence von Arabien so. Da liegt geradezu eine Folie über den Orten, ihre Geschichte, aber auch der Kinofilm schwingen da mit. Dann siehst du eine Düne und du denkst sofort: Gleich kommt Omar Sharif. Bei oft fotografierten Objekten wie dem Kölner Dom muss man oft lange warten, bis sie sich sozusagen freischälen.

Das Gespräch führte Frank Olbert

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