InterviewDas nimmt Kabarettist Konrad Beikircher „Querdenkern“ besonders übel

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Konrad Beikircher

Köln – Herr Beikircher, Sie waren zuletzt schwer erkrankt, nicht zum ersten Mal. Erste Frage: Wie geht es Ihnen?

Konrad Beikircher: Erstaunlich gut. Die jüngste Tumor-Operation liegt jetzt etwa zwei Monate zurück: Ein tennisball-großes Geschwulst auf dem Herzen musste entfernt werden. Als sich herausstellte, der Tumor sei bösartig, da hing ich eine Woche lang schon schwer in der Luft.

Eine Woche nur?

Alles zum Thema Rainer Maria Woelki

Ja, weil die Entfernung des Tumors so glatt lief, dass nach Aussage der Ärzte weder Bestrahlung noch Chemotherapie nötig waren. Irgendwie gehen die Dinge bei mir – toi, toi, toi – immer gut aus. Die Ärzte können es inzwischen selber kaum noch glauben, wenn sie meine Krankenakte durchsehen.

Das Coronavirus hatte Sie auch erwischt.

Ja, im vorigen Dezember. Aber auch da war der Verlauf eher milde. Ein paar Tage Übelkeit, das war’s. Die Quarantäne lief just in der Nacht vor meinem Geburtstag ab. Da wir mitten im Wald wohnen, habe ich die Gelegenheit sofort für eine nächtliche Runde genutzt. Ich dachte: „Geh raus in den Wald! Jetzt darfst du ja wieder.“

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Konrad Beikircher

Zur Person

Konrad Beikircher, geboren 1945 in Bruneck in Südtirol, kam 1965 zum Studium der Musikwissenschaft, Psychologie und Philosophie nach Bonn. Ab 1971 arbeitete der Kabarettist, Musiker, Schriftsteller und Moderator zunächst als Gefängnispsychologe. (cs)

Ein Gag aus Ihrem Programm „Kirche, Pest und neue Seuchen“. Ist das bei Ihnen angeboren, das „Schwere leicht zu nehmen“, wie es Hanns Dieter Hüsch mal sinngemäß gesagt hat?

Die Traumapsychologen raten ja jedem dazu, über Krankheiten sofort offen und so viel wie möglich zu reden. Ich kann von mir sagen: Stimmt! Das hat mir immer schon geholfen. Dinge wie Krankheit und Tod auch von ihrer belustigenden Seite zu nehmen, das habe ich – glaube ich – von meinem Papa. Ich erinnere mich, wie er vom Sterbebett seines Vaters kam und mir als Achtjährigem mit einem Lachen von Großvaters letzten Atemzügen erzählte. Nicht dass er sich lustig gemacht hätte. Vielmehr bekam der Tod etwas Versöhnliches. Ein Harmonie-Lachen, so möchte ich es nennen.

Angesichts von bald 100.000 Corona-Toten…

Natürlich ist das keine Zahl zum – na ja – Totlachen. Das ist bei mir auch kein Kalkül. Ich bin – jedenfalls nach eigener Wahrnehmung - ein Mensch mit viel Empathie, jedenfalls nach eigener Wahrnehmung. Zum Glück, finde ich. Ich kenne eine Reihe von Kabarettisten, denen Empathie ziemlich abgeht. Außer wenn es um sie selber geht, natürlich. Eigentlich tun sie mir leid. Ihnen entgeht unglaublich viel, und sie sind auch nicht belohnbar mit Gefühlen.

An wen denken Sie denn?

Ich nenne lieber keine Namen. Aber Humor ohne Empathie hat immer etwas Hochnäsiges. Zum Beispiel im Umgang mit Religion. Ich kenne da sehr zynische, rasiermesserscharfe Auftritte eines bestimmten Kölner Kollegen. Aber auch über Autoren machte der sich wie mit dem Rasiermesser her. Ganz, ganz böse. Kann man machen, ist aber nicht meins.

Sondern?

Das Gegenbeispiel ist für mich Jürgen Becker, ein sehr empathischer Kabarettist. In seinem ersten Programm hat er einen Witz gemacht, den ich immer noch wunderbar finde: „Jesus wurde ja ans Kreuz geschlagen. Wäre er ertränkt worden, stünde heute in jeder Kirche ein Aquarium.“

Und warum ist das jetzt empathisch?

Weil Becker sich nicht über Jesus als Religionsstifter lustig macht, sondern über das, was die Religionsfunktionäre der Kirche daraus gemacht haben. Es geht also nicht gegen die Religion, sondern gegen Ritualisierung. Diesen Unterschied bekommt nur jemand hin, der empathiefähig ist.

Sie bringen Religion und Corona zusammen, indem sie darüber spekulieren, ob die Pandemie so etwas sei wie Gottes „biologischer Reset-Knopf“ gegen das Treiben der Menschheit. Das ist doch verdammt nah dran an der Vorstellung einer Plage, die als göttliche Strafe über die Menschheit kommt.

Ich sehe zu, dass es nicht so rüberkommt. Aber die Gefahr ist da, stimmt. Nun hat die Kirche Seuchen aller Art ja fast 2000 Jahre lang unglaublich virtuos zum eigenen Vorteil genutzt. Für Aussätzige gab es über Jahrhunderte ein Ritual, bei dem für den Kranken, der bereits auf einem Katafalk in der Kirche aufgebahrt war, eine Totenmesse gelesen und er damit offiziell für tot erklärt wurde. Sein Vermögen fiel den Angehörigen anheim – oder eben der Kirche, die als Gegenleistung in Aussicht stellte, den Toten durch Messen und Gebete rasch aus dem Fegefeuer in den Himmel zu befördern. Gegen solche Geschäftemacherei habe ich etwas.

Sie sagen aber auch: Die größte Seuche ist der Mensch selbst. Auch das ist ein altes Motiv…

Dafür muss man doch nur die Augen aufhalten. Ein bedeutender Politiker – ich meine Joschka Fischer – hat mal gesagt: Je mehr ich die Menschen kenne, desto weniger Respekt habe ich vor ihnen. Ein Satz für die Ewigkeit. Ich glaube, es gibt Menschen mit einer Bosheit aus Lethargie. Denen ist es einfach scheißegal, was um sie herum passiert, solange sie nichts damit zu tun haben. Und mit der fortschreitenden Anonymisierung der Gesellschaft wird das immer schlimmer.

Auf Ihre alten Tage sind Sie unter die Kulturpessimisten gegangen?

Ich kann kaum anders, wenn ich sehe, wozu Menschen alles fähig sind. Und zwar nicht nur die sprichwörtlichen Serienmörder, sondern Herr und Frau Jedermann. Und wer hat schon den Mut und die Souveränität, in die eigenen Abgründe zu schauen? Wenn ich mich das gelegentlich traue, muss ich sagen: Wahrscheinlich habe ich einfach nur Glück gehabt, dass ich hier als freier Mann mit ihnen spreche, statt lebenslänglich wegen Mordes hinter Gitter zu sitzen.

Was ist Ihre Lehre aus der Pandemie?

Wir sollten uns eingestehen, dass Staat und Gesellschaft nicht alles im Griff haben. Seuchen hat es immer schon gegeben, sogar viel verheerendere als die Corona-Pandemie. Wir müssen aufpassen, nicht einseitig in einen Machbarkeitswahn zu verfallen. Über bald 100.000 Corona-Tote reden alle. Irgendwie ja auch zurecht. Aber wer redet über hunderte Millionen hungernder Menschen auf der Welt?

Hunger ist keine Infektionskrankheit.

Schon klar. Aber auch eine tödliche Bedrohung. Ähnlich wie die Klima-Krise. Und da fällt dann schon der Unterschied auf, wie die Politiker damit umgehen im Vergleich zur Pandemie.

Und darüber machen Sie sich lustig.

Witz-Soziologen sagen, dass der bayerische Humor auf Schadenfreude basiert, der rheinische Humor dagegen auf dem Absurden.

Oh, da ist jetzt aber ein Beispiel fällig!

Bitte sehr. Ein Klassiker, der schon weit über 100 Jahre alt ist. Schäl klingelt zuhause bei Tünnes Sturm, der ihm aber partout nicht öffnet. Endlich ruft Tünnes von drinnen: „Isch bin nit zehus.“ Worauf Schäl draußen antwortet: „Dann is et nur jut, dass isch gar nit jekumme bin.“ Das ist rheinische Daseinsbewältigung in Reinkultur: Der Schmerz einer Situation – nämlich nicht willkommen zu sein und abgewiesen zu werden – wird ins Absurde gedreht und einfach weggelacht. Die Menschen haben ein feines Gespür für das Absurde in ihrem Alltag, auch weil sie unter den negativen Folgen absurder Entscheidungen unmittelbar zu leiden haben. Das Pandemie-Jahr ist dafür ein gutes Beispiel. Der Rheinländer lacht direkt darüber. Für den Seelenhaushalt hat das durchaus therapeutischen Charakter.

Dann wäre der Rheinländer der optimale Pandemie-Bewältiger.

Wenn sich jetzt noch das Virus daran hielte, dann wäre das so.

Haben Sie eigentlich Sorge, Corona-Leugnern und Querdenkern kabarettistisch Futter zu liefern?

Das ist ein Ritt auf der Rasierklinge. Deshalb tue ich manchmal etwas, was im Kabarett als schwerer Faux-pas gilt: Witze erklären. Übrigens auch eine Folge überhitzter politischer Korrektheit, die ich als Kabarettist besonders unangenehm empfinde, weil man ständig darauf gefasst sein muss, dass Leute etwas in den falschen Hals bekommen.

Auch da ein Beispiel?

Ich zitiere in den Passagen über Corona ein altes Sprichwort: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Dann sage ich: „Mir würde einer schon genügen.“ Und da muss ich dann eben gleich erklären, dass ich unseren Noch-Gesundheitsminister als Person nicht tangiert wissen will. Puuuh! Das war früher anders.

Satire darf nicht mehr alles?

Kurt Tucholsky hat diesen Satz ja in einen Kontext gestellt: Satire tritt gegen die Mächtigen und ihre Herrschaftsansprüche an. Der Satiriker, sagt Tucholsky, sei „ein gekränkter Idealist: Er will die Welt gut haben. Sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.“

Er sagt auch: „Es wehte bei uns im öffentlichen Leben ein reinerer Wind, wenn nicht alle übel nähmen.“

Eben. Aber auch das hat Grenzen. Den Missbrauch von Begriffen wie Freiheit, den nehme ich den Querdenkern zum Beispiel sehr übel. Wenn eine Corona-Leugnerin wie diese „Jana aus Kassel“ vor einiger Zeit sich mit ihrem Kampf gegen die Corona-Schutzmaßnahmen „wie Sophie Scholl“ im „Widerstand“ fühlt – ja, da kann ich auch als Kabarettist eigentlich nur aus dem Hemd springen und aus der Rolle fallen.

„Da haut’s mich aus der Kurve“, sagen Sie in Ihrem Programm.

Mir fällt da aber auch der Kölner Kardinal Rainer Woelki ein.

Sie lassen ihn bei sich zur Beichte antreten, …

… die natürlich nie stattfindet. Diese Arroganz und diese Herumreiten auf juristischen Spitzfindigkeiten im Missbrauchsskandal, das ist ungeheuerlich. Woelki tut genau das, was jeder Funktionär in mächtiger Position tut, wenn es eng wird: Er versteckt sich hinter Juristen. Der Mann will Seelsorger, Hirte von – immer noch – fast zwei Millionen Gläubigen sein. Und dann kommt er mit Paragrafen statt mit Moral? So geht das nicht. Der Vertreter einer Institution, die sich die Nächstenliebe und die Bergpredigt aufs Panier geschrieben hat, muss anders handeln.

Sie sind schon 2006 aus der katholischen Kirche ausgetreten…

… wegen Kardinal Meisners Protestanten-Hatz. Mir selbst hat er mal gesagt: „Herr Beikircher, ich kann den Protestanten auf den Tod nicht leiden.“ Sein Nachfolger ist aber auch nicht besser. Gefühlt in jeder vierten Predigt bläst er zur Protestantenpirsch und verurteilt es, wenn konfessionsverschiedene Paare gemeinsam zur Kommunion gehen. In einer Zeit, in der wir ein gemeinsames Auftreten der Christen so nötig hätten, kann ich das überhaupt nicht mehr nachvollziehen. Das müsste doch ein armseliger Herrgott sein, der Katholiken und Protestanten auseinander sortieren würde.

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Warum ist die Kirche für Sie denn immer noch so ein großes Thema?

Weil die Kirche für Millionen Menschen immer noch ein großes Thema ist. Mir tut es weh, wenn sie von der Kirchenführung an der Nase herumgeführt oder am Nasenring durch die Manege gezogen werden. Das regt mich auf, zumal ich glaube, dass die Botschaften der Bibel unserer Zeit guttun würden. Es gibt das Potenzial zur Nächstenliebe. Diesen Glauben lasse ich mir nicht nehmen.

Jetzt ist Kardinal Woelki ja erst mal in Auszeit. Was, denken Sie, passiert danach?

Da bin ich sehr gespannt. Wenn das mit römischem Segen so läuft, dass er im März wiederkommt und sagt, „so, jetzt war ein paar Monate Ruhe, nun ist es aber auch gut“, dann gibt es nochmal einen großen Krach. Ich glaube, das kann sich die Kirche nicht leisten. Ich hätte für den Kardinal ja eine Idee: Zwei Jahre Praktikum bei „Maria 2.0“. Mal sehen, ob ihm das etwas von seiner Strenge nehmen würde.

Eine Zäsur gibt es auch in der Politik. Haben Sie als Kabarettist den Merkel-Blues?

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Konrad Beikircher als Beethoven

Ich bin heilfroh, dass ich kein politischer Kabarettist bin. Ich weiß aber auch, woher das kommt: Für politisches Kabarett fühle ich mich in meinem Deutschsein nicht geerdet genug. Ich kam erst mit 18 aus Südtirol nach Deutschland und habe das Gefühl mitgebracht, du hast nicht das Recht, dich über das hiesige politische Personal lustig zu machen. In der Zeit, als Bonn noch Hauptstadt war, verkehrte ich oft in einer Kneipe, in der sich auch die „Realos“ von Grünen und SPD trafen. Und irgendwie haben die mich in meiner Skepsis noch bestärkt: Dir fehlt die Basis für politisches Kabarett in Deutschland. Also habe ich mich auf das Fundament begeben, auf dem ich sicher bin: Das ist die klassische Musik und das Christsein. Da stehe ich. Ich kann nicht anders.

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