Interview mit Russell Crowe„Wir sehen immer öfter Ausbrüche dieser extremen Wut“

Lesezeit 7 Minuten
Russell Crowe in einer Szene seines neuen Films „Unhinged – Außer Kontrolle“

Russell Crowe in einer Szene seines neuen Films „Unhinged – Außer Kontrolle“

  • Hollywood-Schauspieler Russell Crowe spricht über die Parallelen seines neuen Films zur gesellschaftlichen Situation in Amerika.
  • Immer öfter erlebe er Ausbrüche von extremer Wut, sagt er im Interview. „Zuletzt prügelten sich die Menschen im Supermarkt um Toilettenpapier.“
  • Crowe erzählt aber auch von seinem Rückzug in ein australisches Buschland während der Corona-Krise.

Mr. Crowe, Sie sind bekannt geworden mit Rollen von großer emotionaler Komplexität. In „Unhinged – Außer Kontrolle“ spielen Sie nun einen Psychopathen, der nur eine einzige Emotion zu kennen scheint. Das muss für Sie ein Kinderspiel gewesen sein, oder?

Oh nein, das war schwieriger, als es klingt. Nach 50 Jahren in diesem Job habe ich natürlich meine schauspielerische Trickkiste, auf die ich regelmäßig zurückgreife. Ich weiß, wie ich die Psychologie einer Figur aufbaue, und gerade bei vielschichtigen Figuren wie etwas John Nash in „A Beautiful Mind“ oder Roger Ailes in „The Loudest Voice“ gehört dazu ein detailreiches emotionales Gerüst, das sie von innen zusammenhält. Im Idealfall entstehen dabei komplexe, wahrhaftige Porträts mit einer Vielzahl kleinster Ecken und Kanten. Nun einen Mann spielen zu müssen, der ganz ohne Menschlichkeit, ohne Empathie, Charme oder Humor daherkommt, war so ungewohnt, dass es eine echte Herausforderung war.

Haben Sie trotzdem versucht zu verstehen, warum dieser Mann auf so brutale Weise austickt?

Alles zum Thema Film und Fernsehen

Darum ging es weder mir noch dem Film. Natürlich gibt es Gründe dafür, warum er sich so verhält. Nicht jene, die er selbst anführt, denn eine unglückliche Scheidung ist ja etwas, das zu den ganz normalen Beschwerlichkeiten des menschlichen Daseins gehört und gemeinhin nicht zu einem solchen Verhalten führt. Aber es lassen sich im Drehbuch allerlei Anzeichen dafür finden, dass er an paranoiden Wahnvorstellungen leidet. Und er schluckt Opioide. Allerdings habe ich von Anfang an unseren Regisseur Derrick Borte gewarnt, dass wir auf keinen Fall irgendeine Rechtfertigung für seine Gewaltausbrüche anführen oder zeigen oder das Publikum gar mit ihm sympathisieren lassen dürfen. Denn seine Taten sind nicht zu rechtfertigen.

Ganz zaghaft versucht „Unhinged“ allerdings auch, sich als Gesellschaftskommentar zu positionieren...

Das würde ich auch so sagen. In den USA und ganz allgemein der westlichen Gesellschaft sehen wir ja immer regelmäßiger Ausbrüche dieser extremen Wut, dieser Weißglut. Im Falle unseres Films nutzt dieser Mann sein Auto als Waffe, aber in anderen Fällen sind es Typen, die in Gotteshäusern, Schulen oder Nachtclubs um sich schießen. Und zuletzt prügelten sich die Menschen im Supermarkt um Toilettenpapier. Es brodelt also – und genau das fängt „Unhinged“ ein. Vermutlich war aber auch genau das der Grund, weswegen ich die Rolle anfangs eigentlich nicht annehmen wollte.

Tatsächlich?

Oh ja. Als man mir das Drehbuch das erste Mal anbot, war meine erste Reaktion: no fucking way! (lacht) Ich war selbst ein wenig überrascht von der Heftigkeit meiner Reaktion. Damals war ich gerade in Los Angeles und erzählte allerlei Kolleginnen und Kollegen von dem Film. Alle sagten mir, dass das nach einem tollen Projekt klänge. Ich war jedes Mal verwundert. Doch das brachte mich zum Nachdenken. Und irgendwann erkannte ich, dass ich vermutlich Angst hatte, mich mit dem Kern dieser Geschichte, nämlich dieser allgegenwärtigen Wut auseinanderzusetzen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Haben Sie denn Ihre eigene Wut – die Sie früher durchaus schlagzeilenträchtig in Schwierigkeiten brachte – im Griff?

Ich bin auf jeden Fall ausgeglichen, nicht zuletzt dank meines Wohnorts. Ich lebe ja die meiste Zeit in meinem Haus im australischen Buschland, das ich schon vor 24 Jahren gekauft habe. Das, was der Rest der Welt gerade gezwungenermaßen erleben musste – nämlich die Selbstisolation –, praktiziere ich also schon seit langer Zeit freiwillig. Die Gegend ist kaum besiedelt, mein Grundstück von fast 600 Hektar teile ich mir mit Kühen und Pferden, Hühnern und Hunden. Und natürlich der wunderbaren australischen Flora und Fauna. Ich bin umgeben von riesigen Bäumen und Regenwald, von Papageien, Kakadus und Sittichen. Jeden Morgen und Abend ist die Wiese vor meinem Haus voll mit Wallabys. Das alles hat eine sehr beruhigende Wirkung.

Klingt nach einem traumhaften Ort, um Corona auszusitzen.

Ich kann nicht leugnen: Für mich ganz persönlich waren die zurückliegenden Wochen fast eine Wohltat. In all den Jahren, die ich dieses Plätzchen Erde mein Eigen nennen, habe ich noch nie so viel Zeit am Stück hier verbracht. Endlich mal nicht von Stadt zu Stadt jetten und ständig in Flugzeugen sitzen. Die Rastlosigkeit, die mein Beruf sonst mit sich bringt, einfach mal hinter mir zu lassen war eine Wohltat. Es sind natürlich verrückte, auch besorgniserregende Zeiten. Aber ganz subjektiv tat es mir gut, innezuhalten, endlich lange aufgeschobene Dinge zu erledigen und mir Gedanken über mich und die Welt zu machen.

Sie vermissen den beruflichen Alltag nicht?

Noch nicht. Einfach weil ich an dem Ort sein kann, der mir auf der Welt der liebste ist. Unter normalen Umständen würden wir ja dieses Interview nicht virtuell führen, sondern Sie und ich wären nach Los Angeles geflogen, wo wir in einem anonymen Hotelzimmer sitzen würden. Abends läge ich dann in einem anderen Hotelzimmer, natürlich komfortabel, aber eben auch Tausende Kilometer entfernt von wo ich mich viel lieber aufhalte. Nicht, dass Sie mich missverstehen: Ich will die Ernsthaftigkeit der derzeitigen Situation nicht kleinreden oder auf die leichte Schulter nehmen. Aber das Beste daraus zu machen, gelingt mir recht gut.

Zur Person

Russell Crowe, geboren in Neuseeland und aufgewachsen in Australien, begann seine Schauspielkarriere mit einer Rolle in der Seifenoper „Nachbarn“ im australischen Fernsehen. Mit „L.A. Confidential“ gelang ihm der Durchbruch in Hollywood. 2001 erhielt er den Oscar für „Gladiator“. Vergangenes Jahr spielte der 56-jährige Vater von zwei Söhnen die Hauptrolle in der Serie „The Loudest Voice“, die ihm eine Nominierung für den Golden Globe einbrachte.

In dem Thriller „Unhinged – Außer Kontrolle“ (ab 16. Juli im Kino) spielt er einen aggressiven Autofahrer, der einer jungen Frau das Leben zur Hölle macht.

Das erste Mal vor der Kamera standen Sie als Sechsjähriger, auch als Erwachsener hatten Sie eigentlich nie einen anderen Job als die Schauspielerei. Wie hat sich über all die Jahre Ihre Einstellung zum Beruf verändert?

Eigentlich gar nicht, würde ich sagen. Deswegen mache ich den Job auch nach 50 Jahren noch. Ich war immer schon jemand, der die Sache ein bisschen ernster genommen hat als die meisten anderen. Das hat mir immer mal wieder Kritik eingebracht, weil ich zu verbissen oder engstirnig sei. Aber ich liebe meinen Beruf nun einmal und habe so viel Respekt vor der Schauspielerei, dass ich sie nicht halbherzig machen kann oder will. Insofern ist die Energie, mit der ich meinem Beruf nachgehe, bis heute die gleiche wie früher. Das Einzige, was vielleicht anders ist, ist der Weg, mit dem ich mein Ziel erreiche. Ich bin effizienter geworden, ich weiß heute schneller, was ich machen muss, um ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen. Wenn ich mich heute an einige Rollen erinnere, die ich mit Mitte 20 gespielt habe, dann habe ich es mir manchmal unnötig schwergemacht. Aber diese Erfahrungen muss man wohl erst einmal sammeln.

Können Sie gut trennen zwischen Beruf und Privatleben, oder nehmen Sie Ihre Rollen abends mit nach Hause?

In meinen Augen nimmt jeder Schauspieler, der etwas auf sich hält, die Arbeit mit nach Hause. Nicht unbedingt die Rolle als solche, das ist nicht zwingend nötig. Aber ich glaube nicht, dass man während der Dreharbeiten je völlig abschalten und sich gedanklich frei machen kann. Man hat Text zu lernen, muss sich gedanklich auf die nächsten Szenen vorbereiten oder ist sonst irgendwie emotional mit der Figur beschäftigt, die man spielt. Auf Knopfdruck abends alles zurücklassen und erst am nächsten Morgen wieder Schauspieler sein, das funktioniert nicht.

Ihre Rollen der letzten Zeit waren enorm unterschiedlich: In der Miniserie „The Loudest Voice“ spielten Sie den Chef von Fox-News und standen uneingeschränkt im Mittelpunkt, im Drama „Der verlorene Sohn“ oder dem demnächst als DVD-Premiere erscheinenden „Outlaw – Die wahre Geschichte der Kelly Gang“ spielten Sie dagegen nur kleine Nebenrollen. Gibt es einen Leitfaden, nachdem Sie Ihre Projekte aussuchen?

Das kann man so nicht sagen. Ich lese immer so viele Drehbücher wie möglich – und reagiere ganz instinktiv darauf. Manchmal geht das ganz schnell, etwa bei dem erwähnten „Der verlorene Sohn“. Das war einfach ein wunderschönes Skript und meine Figur sehr komplex und sehr wahrhaftig. Und bei anderen Projekten wie nun eben „Unhinged“ dauert der Entscheidungsprozess länger, weil meine emotionale Reaktion womöglich keine ganz klare ist. Wenn es für mich überhaupt eine Faustregel gibt, dann diese: Alles, was mir fremd und unbekannt ist, womöglich sogar richtig Angst macht, ist das Richtige für mich. Denn nur dann ist es eine Herausforderung, an der ich wachsen kann.

Das Gespräch führte Patrick Heidmann

KStA abonnieren