Prozesse um Polke-ArbeitenVon echten, falschen und gestohlenen Bildern

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Sigmar Polke 2005 in Zürich vor einem unzweifelhaftem Original

Sigmar Polke 2005 in Zürich vor einem unzweifelhaftem Original

Köln – „Er war ein Chaot“, sagt einer, der ihn lange kannte. Und beinahe alle sind sich darin einig, dass Sigmar Polke (1941-2010) ein faszinierender, aber ganz und gar kein einfacher Mensch gewesen ist. Er ließ Museumsdirektoren vor der Tür stehen, spielte mit Sammlern Katz und Maus und verkaufte – das hört man jedenfalls immer wieder – einzelne Werke an Galeristen und wohl auch am Finanzamt vorbei aus seinem Atelier heraus.

Das alles gehört zur Legende des Kölner Künstler – auch dafür wurde Polke dieses Jahr in der großen Retrospektive im Museum Ludwig gefeiert. Allerdings beschäftigte die Frage, wie chaotisch Sigmar Polke tatsächlich war, gerade erst das Kölner Oberlandesgericht. Und sie stellt den Polke Estate in Köln, der im Auftrag der Erben Polkes den Nachlass des Künstlers aufarbeitet und verwaltet, vor erhebliche Schwierigkeiten. An diesem Punkt geht es nämlich nicht mehr um Anekdoten, sondern um die Frage: Diebstahl oder Eigentum, Fälschung oder Original. Also um handfeste Rechtsfragen, Millionenwerte und ein wichtiges Stück Kunstgeschichte.

Gekauft oder gestohlen?

Am Oberlandesgericht Köln wurde über das Gemälde „Propellerfrau“ verhandelt. Ein Kölner Sammler will es 2007 von Polke gekauft haben, Polke selbst meldete es 2009 als gestohlen. Das Bild wurde beschlagnahmt und Polke übergeben. Nach Polkes Tod im Juni 2010 ging es in den Besitz des Polke Estate über – der nun verurteilt wurde, dem Sammler das Bild wieder auszuhändigen. Das Gericht fand die Geschichte des Kölner Sammlers zwar dubios, konnte aber keine Belege für einen Diebstahl finden und nahm deswegen zu seinen Gunsten an, dass sich das Bild vor der Beschlagnahme rechtmäßig in seinem Besitz befand. Man muss aus diesem Urteil wohl den Schluss ziehen, dass Polke sein Erbe nicht gerade in geordnetem Zustand überlassen hat – und dass es dem Polke Estate zumindest in diesem Fall nicht gelungen ist, das Ordnen nachzuholen.

Es ist nicht der einzige Prozess, den der Polke Estate in den letzten Jahren wegen mutmaßlichen Diebstahls, Unterschlagung oder Hehlerei angestrengt hat. 2012 wurde ein Hotelier in Hildesheim wegen Hehlerei verurteilt, nachdem er Papierarbeiten im Wert von rund 1,5 Millionen Euro auf dem Kunstmarkt angeboten hatte. Wann und wie die Werke Polkes Atelier verlassen haben, konnte nicht geklärt werden; der Beklagte sagte, sie seien Teil eines Tauschhandels gewesen.

Geschenke an die Mitarbeiter

Bei zwei anderen Strafanzeigen des Polke Estate geht es um langjährige Angestellte des Malers und um Anklagen wegen Diebstahls und Unterschlagung. Beim ersten Mitarbeiter handelt es sich um den Fahrer Polkes, der angibt, er habe von diesem einige Bilder geschenkt bekommen. Bei der anderen Mitarbeiterin um die Hausangestellte, die von Polke einen Wagen und eine Wohnung erhalten haben soll. Beiden wirft der Polke Estate vor, Kapital aus dem schweren Krebsleiden Polkes gezogen zu haben – was beide mehr kränkt als der drohende Verlust von Vermögenswerten. So hatte die Familie Sigmar Polkes der Haushälterin im Rahmen der Beerdigung noch namentlich dafür danken lassen, dass sie Polke bis zuletzt „seine rechte Hand“ gewesen sei.

Diese beiden Strafanzeigen erscheinen auch deswegen heikel, weil, so die übereinstimmende Meinung verschiedener Polke-Vertrauter, weder die Erben noch die Leitung des Polke Estate in den letzten Lebensjahren des Malers Einblick in die Vorgänge im Atelier hatten. Ähnlich wie im Fall der „Propellerfrau“ musste der Estate deshalb rekonstruieren, was vorgefallen war, und stützte seine Anzeigen gegen den Fahrer und die Haushälterin vor allem darauf, dass es keine Schenkungsurkunden gab und die Familie dem Verstorbenen eine solche Großzügigkeit offenbar nicht zutraute.

Die fehlende Nähe des Polke Estate zum Polke-Atelier kann aber auch Folgen für dessen eigentliche, nämlich die kunsthistorische Arbeit haben. Der Polke Estate ist die letzte Instanz, wenn es um die Frage geht, ob ein Werk von Polke stammt oder gefälscht ist – nicht selten geht es dabei um Millionenwerte. Als Hauptgrund, warum die „Propellerfrau“ gestohlen worden sein müsse, nannte der Estate, dass die Signatur nicht von Polke stamme. Allerdings scheint bei Polke selbst die Signatur keine absolute Sicherheit zu geben: Nach Meinung mehrerer Polke-Vertrauter hat der Maler Bilder oft unsigniert verkauft, etwa, um sie erst nach Eingang der letzten Rate zu beglaubigen, oder einfach, weil es ihm so beliebte. In einzelnen Fällen soll der reisende Polke Mitarbeiter autorisiert haben, Bilder an seiner Stelle zu signieren.

Falsche Signatur

Bei der „Propellerfrau“ soll die Unterschrift falsch geschrieben sein – mit zwei statt einem „l“ in Polke. Würde einem Fälscher wirklich so ein Missgeschick passieren? Oder könnte nicht eher der zu diabolischen Scherzen aufgelegte Maler dahinterstecken? Um solche Fragen aufzuklären, genügt es möglicherweise nicht, sich, wie es der Polke Estate tut, auf den Augenschein und das klassische kunsthistorische Arbeitsbesteck zu verlassen. Hier müsste man wohl auch die engeren Mitarbeiter Polkes zurate ziehen, um zu verlässlichen Aussagen zu kommen.

Sigmar Polke wurde 1941 in Oels, Niederschlesien geboren und starb 2010 in seiner langjährigen Heimatstadt Köln. Er begründete in den 60er Jahren gemeinsam mit Gerhard Richter den Kapitalistischen Realismus und zählt zu den wichtigsten deutschen Malern der Nachkriegszeit. (KoM)

Genau dies tut der Polke Estate bislang jedoch nicht. So gibt es keinen Kontakt des Estate zum langjährigen Assistenten Sigmar Polkes, der bis 2006 für diesen tätig war, immer noch in Köln lebt und bei zahlreichen Bildern Polkes die Vorarbeiten übernahm – manchmal wohl auch deutlich mehr. Schließlich machte sich Polke schon in den 70er Jahren Gedanken zum Thema Original und Fälschung, indem er diese Trennung mit kollektiven Produktionen absichtlich unterlief.

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