Leserbriefe zur Kolonialismus-Debatte:„Geschichte muss erlebbar sein“

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Vor blaugrauem Himmel und grünem Laub heben sich ein kraftvoll voranschreitendes Pferd und sein entschlossen wirkender Reiter Kaiser Wilhelm II. ab. Der Kaiser hält die Zügel in der linken Hand, in der rechten, nach hinten gestreckten Hand hält er einen Stab oder eine Schriftrolle. Der Kaiser blickt von seiner erhobenen Position aus links am Pferd vorbei, vom Betrachter weg.

Reiterstandbild Kaiser Wilhelms II.

Die Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte halten Leser für dringend notwendig – den Abriss von Denkmälern dagegen nicht. 

„Der Kaiser muss weg“ – Dis­kus­sion über Denk­mä­ler aus der ko­lo­nia­len Ver­gan­gen­heit im Stra­ßen­bild (25.2.)

Denkmal-Diskussion: Ausblendung von Geschichte ist der falsche Weg

Wenn jemand angibt, er werde angesichts des Standbilds Wilhelms II. „ohnmächtig“, dann kann das niemanden kaltlassen und verpflichtet zum Nachfragen, Zuhören und Reflektieren des eigenen Standpunkts. Dennoch: Der Kaiser muss bleiben. Wilhelm II. war schon zu seiner Zeit kein Sympathieträger und er war Antisemit. Und niemand soll auf die Idee kommen, ihm heute ein Ehrenmal zu errichten. Ihn aber auf eine Stufe mit Adolf Hitler zu stellen, halte ich für mehr als fragwürdig.

Geschichte muss erlebbar sein. Neulich fragte mein 7-jähriger Neffe, wer der Typ da auf dem Pferd sei. Das gab mir Anlass zur Aufklärung, die in Erinnerung bleibt. Man erlebt die Geschichte auf diese Weise anders als nur über ein paar Seiten im Geschichtsbuch der achten Klasse. Man versteht, dass das auch etwas mit uns und dem Heute zu tun hat.

Alles zum Thema Hohenzollernbrücke

Wilhelm II. war über drei Jahrzehnte deutsches Staatsoberhaupt und repräsentiert eine ganze Ära. Es ist unsere Verantwortung, uns unserer Vergangenheit zu stellen, sich mit ihr auseinanderzusetzen und aus ihr zu lernen. Das geht nicht durch Ausblendung. Im Gegenteil: Wo man sie nicht mehr hinreichend erkennt, muss sie sichtbar gemacht werden, wie es durch das Setzen von Stolpersteinen geschieht. Einst als Ehrenmal aufgestellte Statuen sind heute selbst historische Zeugnisse und sollten von aufgeklärten Bürgern keinesfalls als Ehrung, sondern als Denkmal und Mahnmal aufgefasst und als erlebbare Geschichte bewahrt werden.  Dr. Johannes Natus Köln

„Entsorgung“ von Geschichte als Merkmal autoritärer Regime

Es ist nichts falsch daran, die unrühmliche koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten. Ob die Entfernung von Denkmälern dazu der richtige Weg ist, darf bezweifelt werden. Denkmäler sind Ausdruck des Zeitgeistes und damit Teil der Geschichte. Mit Geschichte kann man sich auseinandersetzen und daraus lernen, aber nicht, indem man die historischen Zeugnisse entfernt. Die Entsorgung von Geschichte ist eher ein typisches Merkmal von autoritären Regimen und religiösen Fanatikern. Unsere liberale Gesellschaft sollte von der Zeit überholte Kulturgüter ertragen können.

Unsere liberale Gesellschaft sollte von der Zeit überholte Kulturgüter ertragen können
Hans Assmuth

Es wäre eher sinnvoll, am Denkmal Kaiser Wilhelms II. eine Tafel anzubringen, welche die Verbrechen der Kolonialzeit thematisiert. Damit wäre dem Geschichtsbewusstsein mehr geholfen als mit einem Abriss. Ich könnte eher nachvollziehen, wenn man in Namibia die Erinnerungen an die deutsche Kolonialzeit beseitigen würde. Dort sieht man Geschichte aber offenbar weniger ideologisch. Nach wie vor grüßt in der Nähe Windhoeks der Kaiser-Wilhelm-Berg.  Hans Assmuth Bergisch Gladbach

Reiterdenkmal: Skulpturenensemble Hohenzollernbrücke erhalten

Die Rampen der Hohenzollernbrücke werden von vier Reiterstandbildern preußischer Könige und deutscher Kaiser aus dem Hause Hohenzollern geschmückt. Diese sind sicherlich als Ensemble im Ganzen zu sehen. Einen Eingriff in diese Brückenarchitektur der Kaiserzeit könnte ich in keiner Weise nachvollziehen. Wir löschen so unsere eigene Geschichte aus dem Stadtbild. Stellen Sie dem doch ein Kolonialdenkmal mit kritischem Kontext gegenüber. So hat es etwa Hamburg mit seinem Kriegerdenkmal am Dammtordamm gemacht und ein Gegendenkmal errichtet. Lutz Wille Troisdorf

Denkmal-Abriss: Tilgung von Geschichte?

Zum Artikel „Der Kaiser muss weg“ erinnere ich an folgendes berühmte Zitat aus George Orwells Roman „1984“ aus dem Jahr 1949 über das Leben in einer totalitären Gesellschaft: „Every record has been destroyed or falsified, every book rewritten, every picture has been repainted, every statue and street building has been renamed, every date has been altered. And the process is continuing day by day and minute by minute. History has stopped.“ Stefanie Walker Köln

Reiterstatue Wilhelms II. verzichtbar

Ich lebe seit fast fünfzig Jahren in Köln. Geboren und aufgewachsen bin ich in Berlin. Ich bin also sowohl Preuße als auch Rheinland-Preuße. Ich finde das Hohenzollern-Arrangement um den fertig gebauten Dom und die Hohenzollernbrücke mit ihren vier Preußen-Königen, von denen drei auch „Deutscher Kaiser“ waren, aus preußischer wie aus rheinisch-Kölner Sicht in sich geschlossen, irgendwie perfekt. Es zeigt einen Teil unserer Geschichte.

Wenn man nun meint, aus diesem Hohenzollern-Arrangement einen der vier dargestellten Könige entfernen zu sollen, weil er im Rahmen der damals üblichen Kolonialpolitik schwerste Verbrechen an Teilen der Kolonialbevölkerung zu verantworten hat, sollte man sich auf diesen, nämlich Kaiser Wilhelm II., beschränken. Man könnte ihn entsorgen, Kaiser Wilhelm I. von Hyatt-Nähe zu Philharmonie-Nähe umsetzen, und am bisherigen Standort von Kaiser Wilhelm I. eine würdige Info‑Tafel aufstellen und darauf die geschichtlichen Zusammenhänge und das Fehlen von Kaiser Wilhelm II. erläutern. Das würde die aktuelle Kritik befriedigen und mir, als Preuße, zusagen.  Helmut Rabanus Köln

Kolonialismus-Debatte: „Ständiges Gezeter führt nur zu Gegenreaktion“

Ich wundere mich, dass die Diskussionen über die koloniale Geschichte genauso wie über Soziale Aneignung und das Gendern in nahezu fanatischer Weise vorangetrieben werden, statt mit kühlem Kopf zu überlegen, was tatsächlich das Beste ist. Wegsperren und Verdrängen ist die schlechteste aller Möglichkeiten. Daraus schlussfolgere ich, dass die Initiatoren wenig kreativ sind. Stattdessen böte eine gezielte Aufarbeitung durch Hinweistafeln die Möglichkeit, fehlendes Wissen und geschichtliche Hintergründe zu erlernen.

Wir sollten uns nicht durch radikale Reaktionen verleiten lassen, sondern überlegen, welche Informationen dazu führen können, dass tatsächlich ein Umdenken erfolgt. Ständiges Gezeter führt nur zu einer Gegenreaktion. Wenn an geeigneten Stellen durch Informationen aufgeklärt wird, also auch am Sockel der Statue von Kaiser Wilhelm II., dann schaut man herauf zu dem stolz auf dem Pferd thronenden Reiter und kann sich vor Augen führen, wie sehr das Machtgehabe des Kaisers im Widerspruch zu seinem väterlich wirkenden Auftreten war und welches Leid er damit heraufbeschworen hat. Alois Renard Köln

Denkmalpflege sollte sich für den Erhalt der Reiterstatue einsetzen

Wenn Herr Abeke „ohnmächtig“ wird, sobald er vor der Reiterstatue Wilhelms II. an der Hohenzollernbrücke steht, dann ist ihm davon abzuraten, mit offenen Augen durch europäische Städte zu laufen. Was geschähe mit ihm vor der Pariser Vendôme-Säule, dem Denkmal für den Massenmörder Napoleon? Was am Londoner Trafalgar Square mit dem Säulenheiligen Admiral Nelson, von dessen Händen noch heute das Blut nur so tropft? Was vor dem Washington Monument des alten Sklavenhalters George Washington? Man mag es sich nicht ausdenken.

Man lasse also die Kirche im Dorf. Die Skulptur Wilhelms II. an der Hohenzollernbrücke ist überhaupt nicht als Denkmal für ihn gedacht, sondern dient mit zwei weiteren Kaiserstandbildern und einem Königsstandbild zur Zierde einer Brücke, die zwar inzwischen an den modernen Bahnverkehr angepasst wurde, doch immer noch als Gesamtkunstwerk für ihre Entstehungszeit Zeugnis ablegt.

Der Vertreter des Denkmalamts meint, mit der Wilhelm-Statue negative Dinge mit erinnern zu wollen. Die Brücke sei Ausdruck der Hybris eines Herrschers und deshalb als Lehrbeispiel nützlich. Vielleicht hätte er auch daran erinnern sollen, dass die Hybris der Hohenzollern es immerhin auch vermochte, den Kölner Dom zu vollenden. Es ist an ihnen also nicht alles schlecht.

„Die Denkmalpflege könne nicht darüber entscheiden, ob etwas wegkomme.“ In der Tat! Sie sollte sich vielmehr energischer als bisher und auch bei Gegenwind dafür einsetzen, dass ein Kunstdenkmal, das nun bestimmt nicht den heute zurecht verbrecherisch zu nennenden Kolonialismus verherrlicht, integral erhalten bleibt.  Dr. Götz Czymmek Rösrath

Kolonialismus-Debatte: Fragwürdiger Maßstab

Welches Reiterstandbild eines Generals, Fürsten oder Königs zeigt schon einen lupenreinen Demokraten im heutigen Sinne? Sollte man deshalb alle Denkmäler abreißen? Gerd Lorenz Leverkusen

Falsche Gewichtung in der Reiterdenkmal-Diskussion

Etwas Grundsätzliches zur „Erinnerungskultur“: Man sollte Menschen nicht nur nach ihren Fehlern und „Sünden“ beurteilen. Da käme vermutlich jeder schlecht weg. Bei Personen, die im Licht der Öffentlichkeit stehen und Macht haben, werden sie eher bekannt und haben ein schlimmeres Ausmaß. „Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“, hat einmal einer zu Leuten gesagt, die, ihrem Rechtsempfinden entsprechend, eine Ehebrecherin steinigen wollten.  Herrn Eli Abeke, der vor dem Standbild Kaiser Wilhelms I. jedes Mal „ohnmächtig“ wird, empfehle ich, einen Arzt aufzusuchen und bis zur Heilung die Hohenzollernbrücke zu meiden. Dr. Gert Tröger Köln

Persiflage des Kaiserdenkmals denkbar

Der Kaiser kann bleiben, das Denkmal sollte aber persifliert werden. Die Stadtgesellschaft sollte ihn regelmäßig, wie die Brüsseler ihr „Manneken Pis“, neu einkleiden. Beginnen könnten doch die Traditionskorps zu Karneval: Ihre Uniformen sind eine wunderbare Persiflage auf das militaristische und koloniale Erbe. Jürgen Opper Köln

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