Krieg in NahostDer Angriff auf Rafah ist menschenrechtlich fatal

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Blick auf ein provisorisches Lager in der Stadt Rafah im südlichen Gaza-Streifen. Israels Armee hat Augenzeugen zufolge trotz internationaler Warnungen Ziele in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens angegriffen.

Blick auf ein provisorisches Lager in der Stadt Rafah im südlichen Gaza-Streifen. Israels Armee hat Augenzeugen zufolge trotz internationaler Warnungen Ziele in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens angegriffen.

Rafah ist für viele Palästinenser der letzte Zufluchtsort. Sie kommen von dort nicht weiter. Ohne einen Fluchtweg anzubieten, sind die Angriffe auf die Stadt nicht hinnehmbar.

Der Angriff auf die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens ist nicht mehr nur eine bloße Ankündigung der israelischen Regierung. Er hat schon begonnen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat genau davor gewarnt. Ein solcher Schritt wäre eine „humanitäre Katastrophe mit Ansage“, sagte sie und ist damit nicht allein. US-Außenminister Antony Blinken findet, die Entmenschlichung, die Israel bei dem Massaker durch die radikalislamische Hamas am 7. Oktober mit 1200 dahingemetzelten Toten und zahllosen Geiseln erlebt habe, könne „kein Freibrief“ sein, um selbst andere zu entmenschlichen. Dem ist wenig hinzuzufügen.

Ja, im Kern bleibt es dabei, dass die Hamas diesen Krieg mit einer monströsen Attacke, die Juden wie Nicht-Juden an den Holocaust erinnert, verursacht hat. Die Terrororganisation, die das Existenzrecht Israels leugnet, rechtfertigt die Attacke bis heute und ist nicht bereit, die noch lebenden Geiseln freizulassen. Das muss jenen gesagt werden, die Israel die Schuld an den Ereignissen geben. Richtig ist: Wenn sich die Hamas ergäbe, wäre der Krieg rasch vorbei - und das unfassbare Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung wäre deutlich gelindert. Stattdessen legt es die Terrorgruppe gemeinsam mit dem Iran darauf an, Israel in einen immer größeren Konflikt hineinzuziehen.

Fatal ist ebenso, dass Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bislang nicht einmal bereit ist, für die Zeit nach dem Krieg und der angestrebten Entmachtung der Hamas eine politische Perspektive aufzuzeigen.
Markus Decker

Fatal ist ebenso, dass Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bislang nicht einmal bereit ist, für die Zeit nach dem Krieg und der angestrebten Entmachtung der Hamas eine politische Perspektive aufzuzeigen. Das nährt den Verdacht mancher Beobachter, es gehe letztlich darum, Menschen zu vertreiben und den Gazastreifen dauerhaft zu besetzen.

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Für den Westen gibt es angesichts dieser Situation nur einen kleinen Korridor für politische Initiativen. Israel die Solidarität aufzukündigen, verbietet sich nicht allein aus historischen und moralischen Gründen. Es würde vom Iran und seinen Vasallen – der Hamas im Gazastreifen, der Hisbollah im Libanon und den Huthi-Rebellen im Jemen – als Ermunterung aufgefasst, mit den eigenen Aggressionen fortzufahren.

Dies ändert aber nichts daran, dass der Angriff auf Rafah menschenrechtlich fatal ist. Schließlich ist die Stadt, von 300.000 auf mehr als eine Million Einwohner gewuchert, für viele Palästinenser der allerletzte Fluchtpunkt. Die Menschen, von denen die meisten seit Monaten unter desaströsen Verhältnissen leben, können von dort nicht mehr weiter, solange Ägypten die Grenze geschlossen hält und Israel keinen anderen Fluchtweg anbietet. Das ist nicht hinnehmbar.

Sie treffen im Roten Meer mit Angriffen auf Handelsschiffe längst den Westen selbst. Zugleich darf das israelische Vorgehen nicht unwidersprochen bleiben; das sollte auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz bei seinem Besuch im Land beherzigen. Denn es entspricht nicht zuletzt der Aufforderung des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag.

Der Liedermacher Wolf Biermann, an dessen Solidarität mit Israel kein Zweifel besteht und dem wie vielen anderen das Herz blutet, hat die verfluchte Ambivalenz der Gegenwart in Worte gefasst. Dem „Spiegel“ sagte der 87-Jährige: „Wir Deutschen sind im Sinne der Menschenrechte und der eigenen Geschichtsaufarbeitung dazu verpflichtet, Israel beizustehen. Das bedeutet auch, gelegentlich Politikern beistehen zu müssen, die für Israel ein Verderben sind.“

Zugleich mahnte er, es gelte, „alles dafür zu tun und zu lassen, dass Israel nicht selbst auch in Kriegsverbrechen hineingerät. Da braucht es Zwang nicht nur durch ein internationales Gericht, an dessen Urteil sich keiner halten muss, sondern materiellen Druck der USA und von Europa.“ Genauso ist es.

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