Julianne Moore über #MeToo„Früher hat man Ausfälle bei Dreharbeiten akzeptiert”

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Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Julianne Moore, fotografiert von Star-Fotograf Peter Lindbergh.

Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Julianne Moore, fotografiert von Star-Fotograf Peter Lindbergh.

  • Die amerikanische Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Julianne Moore spielt in dem neuen Kinofilm „Gloria - Das Leben wartet nicht“ die Hauptrolle. Schon jetzt gilt sie in dieser Rolle als Favoritin für eine weitere Oscar-Nominierung..
  • Im Interview erzählt die 58-Jährige, was sie an der Filmindustrie massiv stört, wie Hollywood sich seit der #MeToo-Debatte verändert hat – und was sie ihren beiden Kindern fürs Leben rät.

Julianne Moore ist eine offenherzige, lebendige und sehr charismatische Frau, die trotz ihrer blendenden Hollywood-Karriere nichts von einer Diva hat. Wir trafen sie im Londoner Corinthia Hotel zum Interview über ihren neuen Film „Gloria – das Leben wartet nicht“ (ab 22. August im Kino).

Mrs. Moore, warum sehen wir so selten Filme wie „Gloria“? Also Filme mit Frauen, die in einem fortgeschrittenerem Alter stehen , die mitten im Leben sind?

Leider ist die Filmindustrie in Hollywood immer mehr auf Fantasy-Movies fokussiert. So ein Film wie „Gloria“ wird heutzutage tatsächlich nur noch selten gemacht. Ich persönlich finde das sehr schade. Denn ich liebe Geschichten, die von Frauen und Männern handeln, die ganz normale Menschen sind. Die sich mit den Sorgen und Nöten im Job, in der Familie oder in Beziehungen herumplagen. Die aber darüber trotzdem nicht vergessen, auch Spaß zu haben. Immer wenn ich solche Filme sehe, denke ich: Hey, das hat auch mit mir, mit meinem eigenen Leben zu tun! „Gloria“ spricht mich auch deshalb sehr an, weil alles so natürlich, so authentisch dargestellt wird – und so menschlich. Das verdanken wir vor allem dem wunderbaren Regisseur Sebastián Lelio, der diese bittersüße Liebeskomödie sehr sensibel und unaufgeregt inszeniert hat. So, wie man es sonst fast nur in Dokumentarfilmen sieht.

Sensibel und authentisch trifft auch auf Ihre Darstellung zu.

Als Schauspielerin bin ich immer sehr darauf bedacht „echt“ zu sein. Denn nur so kann ich die Zuschauer auch wirklich erreichen. Als Zuschauer merkt man doch sofort, wenn etwas aufgesetzt ist oder der Schauspieler nur so tut, als ob.

Szene aus dem Film „Gloria – Das Leben wartet nicht”

Szene aus dem Film „Gloria – Das Leben wartet nicht”

Was haben Sie denn mit Gloria gemeinsam?

Wir sind beide Frauen. Wir sind gleich alt. Wir haben beide zwei Kinder. Für uns sind unsere Freunde sehr wichtig. Wo Gloria für mich heraussticht, ist in der Art und Weise, wie sie sich in die Welt einbringt, sich auf ihre Umgebung einlässt und auf die Menschen um sie herum. Sie geht durchs Leben ohne irgendwelche Schutzmechanismen. Sie ist extrem verletzbar – gerade auch dadurch, wie unbefangen sie sich Männern öffnet, die sie neu kennenlernt. Ich hingegen bin da viel zurückhaltender.

Gloria interagiert mit der Welt ohne Filter…

… oh ja, und das finde ich extrem mutig. Denn sie ist ja nicht naiv oder gar dumm. Was mich auch sehr inspiriert hat, ist, dass sie keinem Konflikt aus dem Weg geht. Dabei ist sie konsequent, aber nicht übermäßig aggressiv. Wenn sie, zum Beispiel, ihren Ex-Lover Arnold – den John Turturro so wunderbar spielt – mit einem Paint-Ball-Gewehr beschießt, weil er sie emotional verletzt hat… Das würde ich im wirklichen Leben nie machen (lacht). Das würde ich mich niemals trauen.

Müssen Sie die Figuren, die Sie spielen, mögen?

Nein, ich muss sie verstehen. Ich habe viele Frauen dargestellt, die ich überhaupt nicht mochte. Aber das ist nicht der Punkt. Allerdings muss ich Empathie für sie empfinden und sie als Menschen akzeptieren können. Bei Gloria hatte ich da überhaupt kein Problem. Gloria habe ich geliebt!

„Die Leute gehen ins Kino, nicht um die Schauspieler zu sehen, sondern sich selbst“, sagten Sie mal. Ich will Ihnen da widersprechen: Ich gehe ins Kino, um Sie zu sehen – oder John Turturro…

Vielen Dank für das Kompliment! Wie man auf Filme reagiert, ist sicher sehr unterschiedlich und individuell. Manche Regisseure finden, dass Filme zu sehen wie Träumen ist, und dass diese Träume aufs Unterbewusstsein wirken. Ich glaube, das stimmt. Wenn mich als Zuschauer etwas anspricht, dann erlaube ich mir schon auch zu träumen… Ich erinnere mich noch gut, was meine Mutter vor langer Zeit einmal über eine Sitcom-Schauspielerin sagte: „Die mag ich überhaupt nicht! Denn sie ist nicht authentisch. Sie ist unglaubwürdig.“ Da musste ich herzlich lachen. Denn diese Schauspielerin musste so übertrieben spielen, schließlich war es ja eine TV-Sitcom. Was meine Mutter wohl meinte, war, dass diese Art von Schauspielerei absolut nicht auf sie wirkte.

Vielleicht mochte Ihre Mutter – wie Sie – eben keine Schauspieler, die nur „so tun als ob“. Aber machen das nicht alle Schauspieler?

Aber sicher. Was ich vorhin meinte, ist, dass ich es nicht schätze, wenn man sich als Schauspieler keine Mühe gibt. Oder seinen Job nur sehr selbstverliebt macht. (Julienne Moore lässt ihre Augen funkeln) Wogegen ich mich aber ausdrücklich verwahre, ist, wenn manche Leute meinen, schauspielern wäre wie lügen. Denn lügen heißt für mich: vorsätzlich nicht die Wahrheit sagen. „So tun als ob“ ist etwas ganz anderes. Wenn ich vor der Kamera so tue, als sei ich Gloria, dann hat das sehr viel mit Fantasie, Einfühlungsvermögen und eben Wahrheit zu tun. Und damit, sehr präsent zu sein. Im Hier und Jetzt. In diesem Film konnte ich das ganz wunderbar. Am ersten Tag musste ich durch ein Zimmer gehen und ein Lampe anknipsen. Und ich dachte: Das ist großartig!

Sie sind mit Ende 20 zur Schauspielerei gekommen. Ist das nicht etwas spät?

(Lacht) Ich fand das gar nicht so spät. Es waren die anderen, die mich immer einen late bloomer (Spätzünder) genannt haben. Warum muss man eigentlich schon mit 21 ganz genau wissen, was man will? Ich jedenfalls dachte nie, dass die Schauspielerei mal mein Beruf sein würde. Ich habe eigentlich immer nur sehr gerne gelesen. Und das Lesen hat mich dann langsam zur Schauspielerei geführt. Irgendwann ging ich dann auf die Schauspielschule, begann dann fürs Theater und fürs Fernsehen zu arbeiten. Ich musste ja erst einmal lernen, zu agieren und zu reagieren. Und begreifen, was Schauspielerei überhaupt ist. Und da ich Geschichten immer noch über alles liebe, bin ich sicher keine Schauspielerin, die ihre Eitelkeiten vor der Kamera oder auf der Bühne auslebt. Alles, was ich sein will, ist ein Teil einer guten Geschichte, um sie dann mit meinen Mitteln weiterzuerzählen.

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„Lebe dein Leben ganz normal, damit du in deiner Arbeit ungestüm und originell sein kannst“: Diesen Flaubert-Spruch zitieren Sie gerne. Allerdings bezweifle ich, dass Sie ein ganz normales Privatleben haben…

Oh doch! Mein Leben ist völlig normal und unaufgeregt. Natürlich weiß ich, dass ich ungeheueres Glück habe, mein Leben so führen zu können, wie ich es tue. Und natürlich schätze auch ich die Luxushotels und die tollen Kleider, die man mir für Auftritte borgt. Aber das sind ja nur Ausnahmen. Ich bin durch und durch ein Familienmensch. Und glauben Sie mir, ich ziehe sehr viel Kraft aus meiner Familie. Sie ist es auch, die mich auf dem Boden der Tatsachen hält. Ich wäre sehr unglücklich, wenn ich keine Familie hätte. Ich wusste schon sehr früh in meinem Leben, dass ich später einmal Kinder haben wollte. Und dieser Wunsch ging dann in Erfüllung, als ich 37 wurde. Ich habe zwei großartige Kinder und einen wundervollen Partner. Mein Sohn Caleb ist 21 und meine Tochter Liv 17. Außerdem habe ich einen wunderschönen Garten und ein Haus, in dem ich mich sehr wohlfühle. Ich bin wirklich sehr gern zu Hause. Da sitze ich dann auf dem Sofa und denke: Sollen wir den Esstisch behalten oder doch einen neuen kaufen…? Mein Leben ist also ganz sicher nicht aufregend, sondern angefüllt mit viel alltäglichem Zeug.

Was ist denn der wichtigste Ratschlag, den Sie Ihren Kindern mit auf den Weg gegeben haben?

„Den wichtigsten Ratschlag“ gibt es ja gar nicht. Aber ich ermutige meine Kinder, nur das im Leben zu machen, was sie auch wirklich gerne machen wollen. Ich sage immer: „Folgt euren Instinkten und euren Interessen. Was mögt ihr wirklich? Denn wenn ihr etwas wirklich mögt, dann wird euch das auch in die richtige Richtung führen.“

Was sagen Sie denn zu den Veränderungen, die gerade in Hollywood passieren?

Ich glaube, da wendet sich gerade sehr viel zum Besseren. Ich sehe das zum Beispiel bei Dreharbeiten. Da gehen Menschen jetzt viel respektvoller miteinander um. Auch ihre Ausdrucksweise ist nicht mehr so grob. Früher hat man manche Ausfälle eher akzeptiert und dachte achselzuckend, das gehört eben zum Geschäft. Aber die größte Umwälzung der letzten Jahre findet durch das Internet statt. (Lacht) Ich habe meine erste E-Mail 2002 abgeschickt. Jemand hatte mit eine E-Mail geschrieben. Ich las sie und habe dann meinen Ehemann gefragt: „Weiß er, dass ich sie gelesen habe?“ Ich war lange Zeit furchtbar naiv.

Erlauben Sie Smartphones am Esstisch?

Nein! Absolut nicht.

Zur Person

Julianne Moore, geb. am 3. Dezember 1960, ist eine US-amerikanische Schauspielerin. Sie spielte in mehr als 70 Film- und Fernsehproduktionen mit. Zu ihren Glanzlichtern gehören u.a. „Boogie Nights“, „The Big Lebowski“, „Dem Himmel so fern“ und „A Single Man“. 2015 wurde sie für „Still Alice - Mein Leben ohne gestern“ in der herzzerreißenden Rolle einer an Alzheimer erkrankten Frau mit dem Oscar ausgezeichnet. In ihrem neuen Film „Gloria – das Leben wartet nicht“ (ab Donnerstag im Kino) spielt die 58-Jährige die Titelrolle. Die nächste Oscar-Nominierung ist ihr so gut wie sicher. (ksta)

„Das Leben geht so schnell vorbei“, sagt Gloria im Film. Wie halten Sie wohl die flüchtigen Augenblicke in Ihrem Leben fest?

Ich versuche in der Gegenwart zu leben. Ganz bewusst. Und das ist schwer genug. Ich will mich auch, wann immer es mir möglich ist, voll und ganz auf die Menschen einlassen, die in meinem Leben sind. Mich mit ihnen austauschen, kommunizieren und keine Vorurteile haben. Das Zauberwort für mich lautet „Entschleunigung“. Das bedeutet aber auch, dass ich an meinem Selbstbewusstsein arbeiten muss –, um mich nicht ständig von anderen treiben zu lassen. Sondern mich stattdessen ganz auf das Jetzt zu konzentrieren.

Das Gespräch führte Ulrich Lössl.

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