KlimaWarme Ozeane, kaum Regen – Was kommt diesen Sommer auf uns zu?

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Die Ernte leidet unter der Trockenheit.

Die Ernte leidet unter der Trockenheit.

Der vergangene Sommer war vor allem eines: viel zu heiß und zu trocken. Wird es dieses Mal besser?

Die Zuckerrüben haben es Friedrich-Wilhelm Strüver bisher leicht gemacht. Der Landwirt steht auf seinem Acker in Latferde, einem Stadtteil des Ortes Emmerthal in Niedersachsen, eine Stunde Fahrzeit von der Landeshauptstadt entfernt. Die Sonne brennt auf seine kurzen grauen Haare, als er sich zu den Rüben hinunterbeugt, eine davon am Kopf packt und mit einem kurzen Ruck aus der Erde zieht. Er will zeigen, wie gut sich die Pflanzen entwickelt haben – trotz der Trockenheit der vergangenen Wochen. „Hier sieht man schon den guten Rübenkörper“, sagt der 55-Jährige. Die Rübe, die er in der Hand hält, ist neun Wochen alt, und damit nur wenige Zentimeter groß. Ein Leichtgewicht.

Strüver hatte bisher Glück: Die Böden, auf denen die Zuckerrüben wachsen, haben noch genug Wasser gespeichert. Deshalb entwickeln sich die Pflanzen zu seiner Zufriedenheit. Andernorts ist die Lage deutlich schlechter: Der Landwirt weiß von Kolleginnen und Kollegen, deren Ackerpflanzen schon jetzt Trockenschäden aufweisen, weil es seit Wochen nicht genug geregnet hat. Und auch Strüver hat noch keine Garantie auf eine erfolgreiche Ernte. Er wünscht sich vor allem eines: „Es muss unbedingt Regen geben.“

Schon wenige Tage später soll sich der Wunsch des Landwirts erfüllen. Schwere Gewitter ziehen über Deutschland, bringen Regen, mancherorts sogar so stark, dass es zu Überschwemmungen kommt. Können Strüver und seine Kolleginnen und Kollegen nun also aufatmen? Wird der Sommer 2023 doch nicht ein elendiges Déjà-vu des Vorjahres – dem sonnenscheinreichsten und mit 2018 wärmsten Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, als Ackerflächen und Flüsse wie der Rhein stellenweise ausgetrocknet waren und Wälder wie der Harz in Flammen standen?

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Klimawandel: Wetterextreme nehmen zu

Die saisonalen Klimavorhersagen des Deutschen Wetterdiensts (DWD) zeichnen trotz der bisherigen Niederschläge ein pessimistisches Bild für diesen Sommer: Demnach wird er wohl so wie im vergangenen Jahr – viel zu heiß und zu trocken. Soweit die Modellierungen, genaue Prognosen zu Höchsttemperaturen oder maximalen Niederschlagsmengen für die kommenden Monate sind nicht möglich. Doch klar ist: Extreme Sommer sind in Zeiten des Klimawandels keine Seltenheit mehr. Die EU-Umweltagentur EEA erwartet, dass es in Zukunft immer häufiger zu Wetterextremen wie Hitzewellen und Dürren kommen wird.

2023 könnte sogar besonders warm werden – und zwar nicht nur in Deutschland. „Es wird wahrscheinlich eines der global wärmsten Jahre seit Beginn der Temperaturmessung werden“, prognostiziert Dietmar Dommenget, Professor an der School of Earth, Atmosphere and Environment der Monash University im australischen Melbourne. Und schuld daran sind unter anderem die viel zu warmen Ozeane.

Warum die Meere so warm sind

Besonders stark hat sich in den vergangenen Monaten der Nordatlantik aufgeheizt. Wie die Daten der US-Klimabehörde NOAA verdeutlichen, war die Meeresregion Mitte Juni um rund ein Grad wärmer als im Schnitt des Vergleichszeitraums 1982 bis 2011. Diese Temperaturen seien „sehr ungewöhnlich“, sagt Dommenget, und würden durch eine Reihe von Faktoren verursacht. Zum Beispiel wird seit einiger Zeit in der östlichen tropischen und subtropischen Region des Nordatlantikbeckens weniger Wüstenstaub durch Wind aufgewirbelt, der die Oberflächen der Ozeane sonst kühlt.

Mojib Latif sieht noch einen anderen Grund für die warmen Meerestemperaturen: „Die Weltmeere haben 90 Prozent der Wärme aufgenommen, die durch die menschengemachten Treibhausgase entstehen“, sagte der Klimaforscher vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel der Deutschen Presse-Agentur. Dadurch seien sie in bis zu 2000 Metern Tiefe, in wenigen Gebieten auch noch tiefer, deutlich wärmer geworden.

El Niño könnte für neue Temperaturrekorde sorgen

Ein anderer Faktor, der wesentlich zur Erwärmung der Ozeane beiträgt, ist El Niño. Ein natürliches Klimaphänomen, das alle zwei bis sieben Jahre im Pazifikraum auftritt. Es sorgt für überdurchschnittlich warme Meeresoberflächentemperaturen im zentralen und östlichen Pazifik in der Nähe des Äquators und verändert die Luftdruckverhältnisse – mit der Folge, dass Länder in Südostasien mit hohen Temperaturen und Trockenheit zu kämpfen haben, während es zu Starkregen mit Überschwemmungen an der Westküste Südamerikas kommt.

Noch ist nicht abzusehen, wie stark El Niño wird. Für den Fall, dass das Klimaphänomen den Pazifik stark erhitzt, erwartet Dommenget weitere globale Wärmerekorde. Das kommende Jahr könnte dann zu einem der wärmsten Jahre seit Beginn der Temperaturmessungen werden. Doch auch schon die jetzige Erwärmung der Ozeane wird wohl Konsequenzen haben: „Die warmen Oberflächentemperaturen der Meere werden zu noch stärkeren Erwärmungen – etwa 30 bis 50 Prozent – der kontinentalen Oberflächentemperaturen führen, da das kontinentale Klima sehr sensibel auf die Oberflächentemperaturen der Meere reagiert“, erklärt er.

Trockenphasen bedrohen Ernten

Dabei haben schon die bisherigen Temperaturen und Trockenphasen an Land verheerende Folgen – zum Beispiel für die Landwirtschaft. „Wenn es weiter so trocken bleibt, wird es auf jeden Fall zu Ertragsdepressionen kommen“, warnt Karl-Friedrich Meyer, Vorsitzender vom Ausschuss Pflanze im Landvolk Niedersachsen. Neben den Zuckerrüben sind die Wintergerste, der Winterweizen, die Sommergerste, der Körnermais und der Roggen von der Trockenheit bedroht.

Wie groß die Wassernot in Deutschland aktuell ist, verdeutlicht der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung. Vor allem in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt sind die Oberböden bis zu einer Tiefe von 25 Zentimetern zu trocken. Noch schlechter steht es um die tieferen Bodenschichten bis in circa 1,8 Metern: So erleben die östlichen Bundesländer Deutschlands zurzeit eine „außergewöhnliche Dürre“. „Der Osten Deutschlands zeichnet sich durch kontinentales Klima aus“, erklärt der Leiter des Dürremonitors, Andreas Marx, „daher regnet es im Jahresdurchschnitt weniger als im atlantischen Klima im Westen und Süden.“

Die Niederschläge der vergangenen Tage haben vielerorts keine große Erholung gebracht. Der Grund: Es gab zu viel Regen in zu kurzer Zeit, während die Böden noch zu trocken waren. „Bei trockenen Böden bildet sich eine Art Kruste, die verhindert, dass das Wasser aufgenommen werden kann“, sagt Marx. Fachleute sprechen von der Benetzungshemmung. „Wenn das Wasser schneller vom Himmel fällt, als es in den Boden hineinsickern kann, läuft es an der Oberfläche ab und geht verloren. Dem Boden hilft es dann überhaupt nicht.“

Besser für die Böden wäre lang anhaltender, gleichmäßiger Regen. Auf den setzt auch Landwirt Meyer: „Insgesamt gehen wir bislang von einer durchschnittlichen Ernte aus – wenn bald Landregen einsetzt“, sagt er. Der 64-Jährige hat seine Felder in unmittelbarer Nähe zu Strüvers und baut dort Wintergerste und Winterweizen an. Noch steht es um sein Getreide gut, der Lössboden unter den Pflanzen kann das Wasser gut speichern. Weil der Frühling so nass gewesen ist wie zuletzt vor zehn Jahren, sind die oberen Bodenschichten vielerorts noch gut durchnässt. Doch auch Meyer weiß: „Alles steht und fällt mit dem Regen.“

Grundwasser wird zur Mangelware

Dass die tieferen Bodenschichten weiterhin nicht genug durchnässt sind, bedeutet: Es fehlt Grundwasser. Also Wasser, mit dem die Landwirtinnen und Landwirte ihre Felder beregnen können. Wasser, das Flüsse, Seen und Bäche speist und so Ökosysteme am Leben hält. Wasser, aus dem mehr als 70 Prozent des deutschen Trinkwassers gewonnen werden. Je weniger Grundwasser vorhanden ist, je mehr die Böden austrocknen, desto weniger Trinkwasser steht folglich zur Verfügung. Die Trockenheit wird damit nicht nur für die Landwirtschaft zum Problem. Schon jetzt rufen einige Städte und Gemeinden daher zum Wassersparen auf.

Der Kölner Rheinboulevard am 23. Juni

Der Kölner Rheinboulevard am 23. Juni

Auch Deutschlands wichtigster Wasserstraße, dem Rhein, geht das Wasser aus. Der Pegel am Standort Kaub in Rheinland-Pfalz lag zuletzt unter 150 Zentimetern, wie aus den Daten der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes hervorgeht. Rund 350 Zentimeter waren es noch im Mai. Flussaufwärts ist der Pegelstand noch etwas höher – in Köln waren es zuletzt rund 200 Zentimeter. So schlimm wie im Sommer vergangenen Jahres, als der Wasserstand stellenweise weniger als einen Meter betrug, ist es noch nicht. Aber neue Rekordtiefstände in diesem Jahr sind nicht ausgeschlossen. Containerschiffe mit Gütern wie Getreide, Kohle, Heizöl und anderen Rohstoffen könnten dann den Rhein nicht mehr ohne Weiteres passieren, die Waren würden andernorts fehlen, Produktionen ins Stocken geraten. Kurzum: Die Wirtschaft leidet.

Wälder leiden unter der Trockenheit

Der größte Verlierer ist jedoch der Wald. Die Dürre in den tieferen Bodenschichten verhindert, dass die Bäume genug Wasser aufnehmen können. Gleichzeitig sind sie damit das ideale Angriffsziel für den Borkenkäfer, der sich unter den Rinden einnistet und die Bäume weiter schwächt. Dürremonitorleiter Marx erwartet, dass in diesem Jahr neue Schäden in Deutschlands Wäldern entstehen, wie er kürzlich gegenüber der Deutschen Presse-Agentur sagte. Einfluss werden dabei auch Waldbrände nehmen.

Die Waldbrandsaison in Deutschland hat längst begonnen. In der Stadt Jüterbog in Brandenburg brannte zuletzt wochenlang ein ehemaliges Truppenübungsgelände. Inzwischen ist das Feuer gelöscht, die Lage wieder unter Kontrolle. Genauso wie in den Städten Hagenow und Lübtheen in Mecklenburg-Vorpommern, wo ebenfalls Waldbrände auf einem munitionsbelasteten Gebiet ausgebrochen waren. Doch diese Brände könnten nicht die letzten für diesen Sommer gewesen sein. Dank der Niederschläge ist die Waldbrandgefahr zwar bundesweit gesunken, wird es aber wieder trockener, kann sie schnell wieder zunehmen. Dann reicht ein kleiner Funke aus, um unzählige Bäume in Brand zu setzen.

Hitze wird zur gesundheitlichen Belastung

Mit dem Klimawandel nimmt die Waldbrandgefahr weiter zu. Denn je mehr sich die Erde erwärmt, je mehr die Wälder austrocknen, desto besser brennen sie. Gleichzeitig verstärken die Brände den Klimawandel, weil große Mengen Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre freigesetzt werden. Das Treibhausgas verhindert, dass Wärme ins Weltall abgegeben werden kann. Stattdessen heizt sich der Planet auf. Zwischen 2012 und 2021 haben die Treibhausgasemissionen einen historischen Höchststand erreicht, wie eine Studie herausgefunden hat. Folglich werden auch die Sommer immer heißer.

Die Hitze bedeutet vor allem eines: ein zusätzliches Gesundheitsrisiko. Gerade vulnerable Personen wie Ältere und Vorerkrankte leiden unter den hohen Temperaturen und können Symptome wie Kopfschmerzen, Benommenheit oder Herz-Kreislauf-Probleme entwickeln. Im schlimmsten Fall kann die Hitzebelastung für sie sogar tödlich sein. Schätzungen des Robert Koch-Instituts zufolge gab es im vergangenen Sommer rund 4500 hitzebedingte Todesfälle. Modellrechnungen gehen davon aus, dass pro ein Grad Erwärmung die Zahl der Sterbefälle in Deutschland um ein bis 6 Prozent steigt.

„Nur mit Sonne geht es auch nicht“

Der Sommer 2023 wird also vermutlich wieder ziemlich unangenehm. Abkühlung ist nicht in Sicht. Stattdessen drohen weitere Hitzerekorde, weitere Erderwärmung und in der Folge mehr Dürren. Nichts, was Landwirt Strüver gerne hört. Auch er bekommt die Auswirkungen des Klimawandels schon jetzt zu spüren. Um seine Zuckerrüben steht es zwar gut, doch wenige Meter weiter baut er Winterweizen an. Durch das Feld ziehen sich gelbe Furchen, wie auf dem Bild zu erkennen ist, das er auf seinem Handy präsentiert. Es sind vertrocknete Pflanzen. „Da weiß ich schon jetzt, dass der Ernteertrag von Mähdreschertour zu Mähdreschertour weniger werden wird“, sagt er. 70 Prozent des Getreides hofft er am Ende ernten zu können.

Die Pflanzen künstlich beregnen zu lassen kommt sowohl für Strüver als auch für seinen Feldnachbarn Meyer nicht infrage. Unter anderem, weil ihre Betriebe teilweise nicht auf die Beregnung eingestellt sind. Sie sind abhängig vom Regen. „Ich sage immer: Wir sind hier im Tal der Sonne“, sagt Strüver. „Doch nur mit Sonne geht es auch nicht.“ Der Landwirt blickt noch immer optimistisch auf die kommenden Wochen – auch wenn sich längst abzeichnet, dass der Sommer ihn noch ordentlich ins Schwitzen bringen könnte.

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