Die Medizinethikerin Alena Buyx ist eines der bekanntesten Wissenschaftsgesichter Deutschlands. Berühmt wurde sie als Vorsitzende des Deutschen Ethikrates während der Corona-Pandemie.
Alena Buyx im Interview„Wenn die Menschen der Wissenschaft nicht mehr glauben“

Die Medizinethikerin Alena Buyx kennt man als ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates aus Zeiten der Corona-Pandemie. Nun startet die Wissenschaftlerin und Mutter zweier Teenagersöhne eine TV-Karriere: Im 3sat-Format „NANO Talk“ spricht sie mit Gästen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen über die Themen unserer Zeit. (Bild: ZDF und Ben Knabe)
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Als Nachfolgerinnen Gert Scobels diskutieren Alena Buyx und Stephanie Rohde mit Gästen künftig in „NANO Talk“ bei 3sat über die großen Themen unserer Zeit. Die Idee der Sendung: Komplexe Themen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen und Perspektiven verständlich rüberbringen. Die Wissenschaftlerin Alena Buyx wurde als Vorsitzende des Deutschen Ethikrates während der Corona-Krise bekannt. Die 47-jährige Medizinethikerin und Hochschullehrerin war eines der prominenten Wissenschaftsgesichter der Pandemie. Nun beginnt die Mutter zweier Teenagersöhne ihre Talkkarriere mit der Sendung „Das Wesen der KI“ (Donnerstag, 28. August, 21 Uhr, 3sat).
teleschau: Was ist das größte Problem, wenn man Wissenschaft einem Publikum verkaufen möchte?
Alena Buyx: Dass Wissenschaft einfach verdammt kompliziert ist. Und sie ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten noch deutlich komplexer geworden als sie es vorher schon war. Wissenschaftliche Fragen greifen heute immer mehr ineinander, in unterschiedliche Fachgebiete. Das ist schon für die Wissenschaftler selbst eine große Herausforderung. Sie müssen nämlich eine gemeinsame Sprache finden, um einander zu verstehen.
teleschau: Man spricht von einer Explosion des Wissens, weil es immer schneller immer mehr Erkenntnisse gibt. Natürlich auch durch KI. Sind die Wissenschaftler selbst überfordert?
Alena Buyx: Wissenschaft bewegt sich immer an der Grenze des Machbaren, aber natürlich ist vieles sehr groß geworden. Nehmen wir mein Fachgebiet, die Medizin. Wenn Sie Projekte zur Erforschung von Genomen betrachten, da arbeiten zum Teil tausende Menschen daran. Und sie haben 50 Labore, die an unterschiedlichen Fragen eines Projektes arbeiten. Wissenschaft sorgt mittlerweile für riesige Logistikprojekte. So was zu erklären, ist nicht immer einfach.
„Die Wissenschaft hat auch Fehler gemacht“

Die Medizinethikerin Alena Buyx ist eines der bekanntesten Wissenschaftsgesichter Deutschlands. Berühmt wurde sie als Vorsitzende des Deutschen Ethikrates während der Corona-Pandemie. Ab Donnerstag, 28. August, ist sie auch TV-Gastgeberin bei „NANO Talk“ aktiv. (Bild: 2020 Getty Images/Pool)
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teleschau: Wie sieht es mit der Akzeptanz von Wissenschaft in der Gesellschaft aus? Wir haben uns an Begriffe wie Verschwörungstheorien und „gefühlte Wahrheit“ gewöhnt. Hat die Wissenschaft etwas falsch gemacht?
Alena Buyx: Wir leben in einer schwierigen Zeit. Lange gab es einen Konsens in der Gesellschaft, dass Wissenschaft uns nach vorne bringt. Wir waren uns einig: Wissenschaft ist die Grundlage unseres Fortschritts. Im Prinzip war das so seit der Aufklärung. Es gab immer mal Rückschläge, aber ab dem Zweiten Weltkrieg war das Vertrauen in Wissenschaft als gesellschaftliche Grundüberzeugung gesetzt. Da ändert sich gerade etwas, das besorgt mich. Denn wir müssen uns klarmachen: Fast alles, was wir als Menschen an Fortschritt erreicht haben, geht auf Wissenschaft zurück.
teleschau: Was ist schiefgelaufen?
Alena Buyx: Verschiedene Dinge. Vielleicht wurde gesellschaftlich weniger über Fortschritt und Wissenschaft gesprochen. Es wurde normal, dass immer wieder tolle neue Dinge herausgefunden werden. Die Wissenschaft hat aber auch Fehler gemacht. Wir haben uns insgesamt nicht genug Mühe gegeben, in die Gesellschaft hineinzuwirken.
teleschau: Also der berühmte Elfenbeinturm ...
Alena Buyx: Vielleicht dachte man: Wir konzentrieren uns auf unsere Arbeit, die ja anspruchsvoll genug ist. Dabei ist das verständliche Reden und Vermitteln in die Gesellschaft hinein etwas vernachlässigt worden. Eine andere Entwicklung, die man nicht unterschätzen darf, ist die Verbreitung von Wissenschaftsskepsis und schlicht Blödsinn auf Social Media. Da haben Menschen ihr Vertrauen zum Teil auf Verschwörungstheorien übertragen. Und das kann sich auf die reale Welt übertragen.
„Social Media ist ein Staubsauger unserer Aufmerksamkeit“

„Das Wesen der KI“ ist Alena Buyx' erstes Thema in „NANO Talk“ am Donnerstag, 28. August, um 21 Uhr, bei 3sat. Sie selbst sieht die größten Gefahren der neuen Technik, über die jeder - wohl zu Recht - spricht, in so genannten Beziehungs-KIs. (Bild: ZDF und Ben Knabe)
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teleschau: Warum ist die gefühlte Wahrheit oft attraktiver als die echte?
Alena Buyx: Weil es sich dabei um Theorien oder Geschichten handelt, die leicht zu verstehen sind. Die vermeintlich einfache Lösungen oder Erklärungen anbieten. In der Wissenschaft muss man viele Widersprüche aushalten. Außerdem korrigiert sich die Wissenschaft immer mal wieder. Das gehört dazu, ist aber nicht so attraktiv und schlüssig wie eine knackige Verschwörungserzählung.
teleschau: Wissenschaft steht auch politisch unter Druck!
Alena Buyx: In vielen Gegenden der Welt sehr viel mehr als früher. Wir erkennen seit Jahren geopolitische Strategien, die das Ziel verfolgen, Wissenschaft zu diskreditieren. Sehr aktuell ist das in den USA zu betrachten. Russland macht das schon seit vielen Jahren, das ist gut beschrieben. Erfolgreiches Diskreditieren der Wissenschaft sägt an den Säulen einer stabilen Gesellschaft. Nach dem Motto: Wenn die Menschen der Wissenschaft nicht mehr glauben, können wir ihnen alles erzählen.
teleschau: Ist Social Media ein Feind der Wissenschaft?
Alena Buyx: So würde ich das sicher nicht sagen. Kommunikation unter Menschen ist ja erst einmal etwas Gutes. Man kann darüber auch viel Wissenschaft vermitteln, da gibt es tolle Beispiele. Dennoch ist Social Media nicht nur ein Ort für viel Quatsch, sondern auch noch eine gigantische Ablenkungsmaschinerie, ein Staubsauger unserer Aufmerksamkeit. Man braucht meist nur eine kurze Aufmerksamkeitsspanne wegen der Kleinteiligkeit der Information. So ein Konsum widerspricht dem grundsätzlichen Prinzip der Wissenschaft. Da müssen wir uns lange, teils Jahre konzentrieren und geduldig am Ball bleiben, um Dinge zu verstehen. Sagen wir es so: Social Media fördert diese Eigenschaft nicht unbedingt.
„Mein Jüngerer schaut Schach-Influencern zu“

Alena Buyx moderiert „NANO Talk“ abwechselnd mit der Wissenschaftsjournalistin und Podcasterin Stephanie Rohde (rechts). Deren erste Sendung läuft zwei Wochen nach dem Buyx-Debut und hört auf den Titel „Kooperation statt Konkurrenz“ (Donnerstag, 11. September, 21 Uhr, 3sat). (Bild: ZDF und Ben Knabe)
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teleschau: Nun sind Sie bei 3sat aktiv, wo sie auf ein Publikum treffen, das älter, gebildet und offen für Wissenschaft ist. Bildungsferne oder junge Schichten erreicht man damit eher nicht, oder?
Alena Buyx: Man sollte schon versuchen, auch in die Social Media Welt und zu YouTube etc. vorzudringen. Ich sehe die Aufgabe, mit unserem Programm andere Zielgruppen zu erreichen, als nicht aussichtslos an. Ich verfolge aber auch nicht den Ansatz, Menschen zu erreichen, die komplett wissenschaftsfern sind. Das wäre sehr mühsam mit dem Format. Es geht eher darum, das Publikum zu verbreitern. Die zu halten, die schon dabei sind, und die zu kriegen, die Lust auf Wissenschaft haben, aber vielleicht noch nicht zuschauen. Und das geht nicht nur mit linearem Fernsehen.
teleschau: Ein Großteil der Jugendlichen konsumiert keinerlei klassischen Medien mehr. Sie haben zwei Kinder im Teenageralter. Macht Ihnen das Sorgen?
Alena Buyx: Ich habe das Glück, dass meine Jungs sich in den nicht klassischen Medien, die sie nutzen, für viele Sachen interessieren. Bei den beiden kann ich sehen: Es ist nicht notwendigerweise der Wissenshunger, der ausstirbt. Mein Jüngerer schaut Schach-Influencern zu. Er sucht auch nach Wissenschaftsvideos. Von sich aus, ich muss ihn nicht dazu motivieren. Mein Älterer interessiert sich dafür, wie man Dinge herstellt, sie zusammenbaut. Es ist nicht so, dass man in den nicht klassischen Medien nur Unfug findet. Ich sitze in einer Jury, die einen Preis für Wissenschaftsjournalismus vergibt. Da finden wir immer wieder tolle Formate in der Social Media Welt. Zum Teil kommen sie von öffentlich-rechtlichen oder anderen professionellen Medien. Teilweise aber auch nicht.
teleschau: Also sehen Sie die Entwicklung hin zur totalen Regentschaft von Social Media nicht so negativ?
Alena Buyx: Was die Inhalte betrifft, findet man dort durchaus sehr gute Sachen. Da spreche ich jetzt als Wissenschaftlerin. Wäre ich Funktionär bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, würde ich mir allerdings Sorgen machen. Was die Kundenbindung angeht, gibt es wirklich Probleme. Man muss auf jeden Fall gute Inhalte im Social Web bewerben und alles dafür tun, dass sie gefunden werden. Eine Alternative dazu gibt es gegenwärtig einfach nicht.
„Ich habe während Corona ständig Leute zu Höchstleistungen auflaufen sehen“

Alena Buyx lehrt an der Technischen Universität München und ist Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin in München. 2016 wurde sie in den Deutschen Ethikrat berufen und war von 2020 bis 2024 dessen Vorsitzende. (Bild: ZDF und Ben Knabe)
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teleschau: Man hat Sie während Corona als Vorsitzende des Deutschen Ethikrates kennengelernt. Nun haben wir ein wenig Abstand zu dieser Zeit gewonnen. Was war unsere größte gesellschaftliche Leistung und was der größte Fehler - während Corona?
Alena Buyx: Ich bin ja schon froh, dass Sie auch nach der größten Leistung fragen. Denn darüber wird fast nie gesprochen. Ich bekomme sonst immer nur die Fehlerfrage (lacht). Der größte Fehler war der Umgang mit der jungen Generation. Das habe ich und haben wir vom Ethikrat oft gesagt.
teleschau: Sie meinen, dass wir jetzt die Spätfolgen erleben mit vielen psychischen Erkrankungen und anderen Problemen junger Menschen, die in diese Richtung gehen?
Alena Buyx: Der Corona-Lockdown, die Kontaktbeschränkungen haben einen Trend verstärkt, den es schon vorher gab. Aber sie haben ihm noch mal einen richtigen Push gegeben. Was die Leistung betrifft, kommt mir zu kurz, dass wir unterm Strich relativ gut durch eine Zeit gekommen sind, die ziemlich drastisch war. Eine Zeit, in der wir alle gelitten haben und Angst hatten. Trotzdem hat über die gesamte Zeit immer ein Großteil der Bevölkerung den Umgang mit der Pandemie unterstützt. Man hat gesagt: Wir machen das jetzt gemeinsam! Es ist eine tolle Leistung, auf die wir auch stolz sein können. Ich habe während Corona ständig Leute zu Höchstleistungen auflaufen sehen. In allen Berufsfeldern, in den Familien, im Freundeskreis, überall. Es ist so schade, dass darüber so wenig geredet wird. Sie sind einer der ganz wenigen, die mich in einem Interview danach gefragt haben.
teleschau: Ihr Thema der ersten Sendung ist Künstliche Intelligenz, die große Revolution unserer Zeit. Wovor haben Sie am meisten Angst, und was ist Ihre größte Hoffnung in Sachen KI?
Alena Buyx: Meine größte Hoffnung ist eher eine Tatsache. Nämlich die, dass wir in der EU leben. Europa bemüht sich ernsthaft darum, die neue Technologie verantwortungsvoll einzusetzen. Es gibt Riesenpotenziale abzuholen, aber man muss gleichzeitig auf die Schattenseiten blicken. Ich möchte nicht in China leben, wo KI schon länger und immer intensiver eingesetzt wird, um die Bevölkerung zu überwachen. Ich will auch nicht in den USA leben, wo nun sämtliche Regeln für KI abgeschafft werden.
„Beziehungs-KIs werden uns noch sehr viele Probleme bereiten“
teleschau: Worauf hoffen Sie?
Alena Buyx: KI bietet fantastische Möglichkeiten, gerade in der Wissenschaft und auf meinem eigenen Gebiet, der Medizin. Neben einer rasant beschleunigten Forschung wird sie uns beim Dienst am Menschen unterstützen. Wir haben den Fachkräftemangel, immer mehr Versorgungsbedarf, eine alternde Gesellschaft und stetig weniger Geld. Wir brauchen die KI, um menschliche Arbeit zu unterstützen. Das kann die Technik in vielen Bereichen auch leisten.
teleschau: Was macht Ihnen in Sachen KI Sorge - abseits des Überwachungsthemas?
Alena Buyx: Beziehungs-KIs werden uns noch sehr viele Probleme bereiten. Der Erfinder von ChatGPT, also jener Mensch, der tatsächlich für das Produkt verantwortlich ist, sagte vor kurzem, der häufigste Einsatz von ChatGPT ist inzwischen als Beziehungs-Partner. Freundschaftlich, romantisch und therapeutisch. Das ist bemerkenswert und auch problematisch - auch darüber reden wir in der Sendung.
teleschau: Wenn revolutionäre Technologien wie KI die Welt auf den Kopf stellen, wird immer nach Regulierung geschrien. Aber haben die Bedenken irgendwann in der Geschichte der Menschheit mal dazu geführt, dass eine gefährliche neue Technik nicht eingesetzt wurde?
Alena Buyx: Natürlich. Die Atomkraft ist das beste Beispiel. Wäre die ohne Regulierung eingesetzt worden, wären wir alle nicht mehr am Leben. Es gibt viele Beispiele für erfolgreiche Regulierung von Technologien, die Risiken haben. Selbst in einer zerrissenen Weltgemeinschaft wie der jetzigen ist Regulierung möglich. Zerstörerische, gefährliche Technologien müssen eingehegt werden. Selbst die Macher der KI sagen, dass ihre Technik ein enormes zerstörerisches Potenzial in sich trägt. Künstliche Intelligenz kann uns helfen, Krebs zu heilen oder die toxischsten Biokampfstoffe zu entwickeln, die wir uns vorstellen können. Wir sollten uns also dringend darum kümmern, die Kontrolle über KI zu behalten. (tsch)