ProzessauftaktDas Rätsel um den Amokfahrer von Trier

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Menschen stehen bei einer Schweigeminute zum Gedenken der Opfer nach der Amokfahrt von Trier.

Es ist 9.20 Uhr am Donnerstagmorgen, als er den Schwurgerichtsaal durch einen Seiteneingang betritt. Etliche Justizwachtmeister begleiten Bernd W., den mutmaßlichen Amokfahrer von Trier. Die Sicherheitsvorkehrungen sind hoch.  Die Polizei sperrt Teile des Gerichtsgebäudes weiträumig ab, die wenigen Zuschauer und Pressevertreter müssen gleich mehrfach ihre Ausweise vorzeigen. Im Gerichtssaal trennen Corona bedingt Scheiben die Plätze voneinander ab

Einige Überlebende und Angehörige der fünf Todesopfer verfolgen aufmerksam den Auftritt des mutmaßlichen Mörders. Monate haben sie auf diesen Augenblick gewartet, monatelang haben sie nach dem Warum gefragt, nach dem Motiv einer Tat, die eine ganze Stadt unter Schock versetzt hat.

Gericht muss Frage der Schuldfähigkeit klären

Bisher blieben die Antworten hinter den Erwartungen zurück. In den Vernehmungen hat sich der Angeklagte eher widersprüchlich geäußert. Zudem hat ein psychiatrischer Gutachter in einer vorläufigen Expertise bei dem Todesfahrer eine Psychose festgestellt. Über die Frage der Schuldfähigkeit zur Tatzeit wird die Schwurgerichtskammer unter dem Vorsitz von Petra Schmitz letztlich befinden müssen.

Fügsam lässt sich Bernd W. die Handschellen abnehmen, ehe er in einem besonders gesicherten mobilen Glasbunker neben seinen beiden Verteidigern Platz nimmt. Der glatzköpfige, großgewachsene Angeklagte trägt ein weißes Hemd, die Corona-Schutzmaske verbirgt sein Minenspiel. Die Hände ruhig gefaltet, beantwortet der 51-jährige gelernte Elektromonteur die Fragen zu Alter und seiner alten Meldeanschrift.

Bernd W. lebte zur Tatzeit in einem geliehenen Landrover

Dann ist es an Oberstaatsanwalt Eric Samel, den tödlichen Amoklauf vom 1. Dezember 2020 in all seinen furchtbaren Details in der Anklageschrift zu schildern. Bernd W. hat zu jener Zeit keinen Job und keine Wohnung mehr. Er lebte in einem geliehenen schweren Landrover. Von Rechtsanwälten und Notaren fühlte er sich missverstanden. „Offenkundig frustriert über seine Situation, entwickelte er einen Gesellschaftshass“, so der Ankläger.

Trier_Trauer

In Trier herrscht große Trauer über die Amok-Fahrt

Deshalb entschloss Bernd W. sich an jenem frühen Donnerstagnachmittag zu seiner Amokfahrt. „Dabei benutzte er den schweren Landrover als gefährliches Tatmittel, um so viele Menschen wie möglich zu töten“, führt der Oberstaatsanwalt aus. Fünffacher Mord und Mordversuch in 18 Fällen wirft die Staatsanwaltschaft dem ehemaligen Handwerker unter anderem vor.

Horrorfahrt traumatisierte 300 Augenzeugen

Viereinhalb Minuten währt die Horrorfahrt, die 300 Augenzeugen traumatisiert hat. Passanten in der Trierer Einkaufsmeile können sich vor dem herannahenden Todeswagen gerade noch durch einen Sprung retten. Manche aber schaffen es nicht. Da ist etwa jene junge Frau, die gar nicht mitbekommt, wie das tonnenschwere Gefährt sich hinter ihrem Rücken nähert. Durch die Motorhaube erfasst, schleudert sie über den Wagen hinweg 50 Meter weit auf den Asphalt. Wie durch ein Wunder überlebt das Opfer mit schwersten Verletzungen, die bis heute nicht verheilt sind.

Frauen und Männer fliehen in Panik, während Bernd W. wie ein Wahnsinniger durch die Einkaufszone rast. Sobald W. jemanden sieht, steuert er erbarmungslos auf ihn zu. Eine 14-jährige Jugendliche erkennt die Gefahr zu spät, bis heute leidet sie körperlich wie seelisch unter den Folgen.

Vater und Baby sterben

Da ist die vierköpfige Familie, die ein paar Tage in Trier verbringt. Der Vater schiebt den Kinderwagen seines drei Monate alten Babys, als der Landrover von hinten heransteuert. Instinktiv macht seine Frau einen Schritt zur Seite. „Das rettete ihr das Leben“, berichtet Ankläger Samel. Der Mann und der Kinderwagen wurden erfasst. Der Vater starb ebenso wie seine kleine Tochter, die durch Luft in einen Brunnen geschleudert wurde.

Eine 25-jährige Radfahrerin hat keine Überlebenschance, ebenso zwei weitere Frauen im Alter von 52 und 73 Jahren.

Bernd W. lauscht, als ging ihn das alles nichts an

Jeder Fall, den der Strafverfolger vorträgt, birgt seine eigene, tragische Geschichte. Amokläufer Bernd W. hingegen nimmt die schweren Vorwürfe regungslos auf. Seine Hand hat er auf dem Tisch über einander gelegt. Beinahe stoisch lauscht er den Ausführungen des Anklägers, so als ginge ihn das alles nichts an.

Sein Verhalten erinnert an die bizarren Umstände seiner Festnahme. Kurz nach der mörderischen Tour, stoppt er sein Auto, stellt sich draußen hin und raucht erst einmal eine Zigarette. Zivilbeamte, die zufällig in der Nähe sind, überwältigten kurz darauf den mutmaßlichen Killer.

Täter machen oft frühzeitig Andeutungen

Seine Tat erinnert an jene psychisch auffälligen Amokläufer aus Bottrop, Münster, Hamburg oder Köln, durch die Menschen starben oder schwerverletzt wurden. NRW-Innenminister Herbert Reul hat inzwischen im Landeskriminalamt (LKA) eine Projektgruppe ins Leben gerufen, die potenzielle Täter frühzeitig erkennen und stoppen soll. Insbesondere bei Amoktaten sei bekannt, dass die „Täter regelmäßig Andeutungen zu ihren - zumeist langfristig geplanten - Taten machen oder Informationen bewusst oder unbewusst an verschiedenen Stellen streuen“, betont der CDU-Politiker.

Von dem Mann, der in Trier wahllos tötete, sind bisher keine sonderlichen Warnsignale über seine Absichten bekannt geworden.

Nach 35 Minuten nähert sich der Prozessauftakt bereits dem Ende. Die Vorsitzende Richterin erkundigt sich beim Angeklagten, ob er in den kommenden Verhandlungstagen beabsichtige auzusagen. Er verneint. Seine beiden Verteidiger kündigen an, weder Angaben zur Person noch zur Sache machen zu wollen.

Alles läuft auf einen langwierigen Prozess hinaus. 26 Verhandlungstage hat das Gericht angesetzt. 291 Zeugen sollen gehört werden.

Enttäuschte Angehörige

Frustriert verlassen die Angehörigen den Sitzungsaal. „Ich bin echt enttäuscht“, sagt Walter P. (Name geändert), der seine Schwester verloren hat. Er hatte so gehofft, dass Bernd W. reinen Tisch machen und seine Beweggründe erklären würde. Aber nichts dergleichen. Walter P. kann dann auch nicht weiter reden, die Gefühle übermannen ihn. Sein Anwalt Ottmar Schaffarczyk macht klar, dass für ihn und seinen Mandanten nur ein harter Schuldspruch in Frage kommt. Der Jurist fordert „lebenslang und Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, so dass der Angeklagte nicht früher als nach 20 Jahren wieder rauskommen kann“.

Eine andere Nebenklägerin zeigt sich wenig überrascht, dass der Angeklagte schweigt. „Bei den schweren Vorwürfen habe ich das erwartet.“ Nun müsse man sehen, was der Prozess noch bringt. Die Hoffnung nach Antworten auf die entscheidende Frage nach dem Warum klingt anders. 

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