„Er ist nur ein guter Patriarch, kein neuer Mann“Zehn-Jahres-Bilanz von Papst Franziskus zwiespältig

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Papst Franziskus (Mitte) auf einem Archivfoto am Abend seiner Wahl am 13. März. Er steht mit zwei Kardinälen an seiner Seite auf dem Balkon des Petersdoms in Rom.

Papst Franziskus (Mitte) auf einem Archivfoto am Abend seiner Wahl am 13. März 2013.

Eine Zehn-Jahres-Bilanz des Pontifikats von Papst Franziskus aus ökumenischer Sicht fällt zwiespältig aus. Hoffnungen auf Reformen haben sich kaum erfüllt.

Die Vorstellung, der Papst in Rom tue verbindlich, unfehlbar gar die Wahrheit kund, sobald er den Mund aufmacht, war schon immer falsch. Aber keiner widerlegt sie so schlagend wie Papst Franziskus mit seinen oft spontanen, unbedarft und improvisiert wirkenden Äußerungen. Das Doktrinäre, die autoritative Rede seien Franziskus nicht wichtig, schlussfolgert Nikolaus Schneider, ehemaliger EKD-Ratsvorsitzender.

Als höchster Repräsentanten der evangelischen Kirche war er im April 2013 der erste Deutsche, den der neugewählte Papst in Privataudienz empfing. Schneider erinnert sich an eine „brüderliche Begegnung“, die ihn auf offene Fenster und Türen in der katholischen Kirche und in den evangelisch-katholischen Beziehungen hoffen ließ – auf eine „Ökumene des Respekts“, der gegenseitigen Anerkennung.

Charmant-schroffe Botschaft des früheren EKD-Ratsvorsitzenden Schneider

Davon ist zehn Jahre später wenig übriggeblieben. Franziskus habe allenfalls die Hand an den Fensterriegel gelegt, diesen vielleicht auch ein bisschen bewegt, „aber mehr nicht“, sagt Schneider in einer Diskussionsrunde der Karl-Rahner-Akademie und der Melanchthon-Akademie in Köln zur Zehn-Jahres-Bilanz des Pontifikats aus ökumenischer Perspektive. Franziskus sei ihm „nach wie vor sympathisch“, sagt Schneider in der von Norbert Bauer und Martin Bock geleiteten Runde. Aber den Wahrheitsanspruch des römischen Lehramts, „den akzeptieren wir überhaupt nicht“.

Schneiders charmant-schroffe Botschaft wirkt wie die Replik auf ein Franziskus-Wort in seiner typischen Mischung aus Plauderei, Unverblümtheit und (Ab-)Kanzelton: „In Deutschland gibt es eine sehr gute evangelische Kirche. Wir brauchen nicht zwei davon.“ Was der Papst da vor knapp einem Jahr in einem Interview mit der Jesuiten-Zeitschrift „La civiltà cattolica“ fallen ließ, war der erste Versuch, seine Absage an den „Synodalen Weg“ der deutschen katholischen Kirche so zu formulieren, dass sie nördlich der Alpen von den reformeifrigen Bischöfen und Gläubigen auch wirklich als solche verstanden würde.

Die uralte, plumpe Warnung vor einer „Protestantisierung“ 

Es ist die uralte, plumpe, brachial anti-ökumenische Warnung vor der „Protestantisierung“ der katholischen Kirche, die Franziskus hier in ein Lob für die evangelische verpackt hat. Ein vergiftetes Lob allerdings. Denn so, wie Franziskus es formuliert, kann die evangelische Kirche eine noch so gute sein. Als Vorbild taugt sie deshalb noch lange nicht – im Gegenteil, analysiert die Erfurter Dogmatik-Professorin Julia Knop. „Aus den Gaben der anderen wächst hier keine eigene Erneuerung.“

Aber bezeichnet der Papst in seiner bissigen Reformschelte die Protestanten denn nicht als „Kirche“ und erkennt ihnen damit immerhin jenen Status zu, den ihnen sein Vorgänger Benedikt XVI. noch brüsk verweigert hat? Vorsicht vor dem Schönreden, warnt die Katholikin Knop. „Franziskus hat nicht im Kopf, dass das, was er sagt, dogmatisch für bare Münze genommen wird.“ Deshalb könne man ihn auf dieser Ebene auch nicht für mehr verhaften als für das, was „in seiner sympathisch-symbolträchtigen Art rüberkommt“.

Nikolaus Schneider nimmt Papst Franziskus beim Wort

Schneider seinerseits hat den Papst zunächst einmal – teils treuherzig, teils trotzig – beim Wort genommen: Eine sehr gute evangelische Kirche? Gewiss doch! „Franziskus hat ja recht. Wir haben ein paar Sachen erkannt, die brauchen bei euch Katholiken noch ein paar hundert Jahre, die sind aber richtig.“ Die Möglichkeit zur Heirat für die Geistlichen. Frauen in den Ämtern. Dass der Papst den Einsatz von Katholikinnen und Katholiken für solche Reformen als falsche konfessionelle Gleichmacherei abqualifiziert, das habe ihn dann doch empört, sagt Schneider. „So geht man nicht mit Menschen und ihrem Engagement um. Das ist Missbrauch.“

Theologin Verena Hammes spricht von einer „Ökumene des Blutes“

Die katholische Theologin Verena Hammes, Geschäftsführerin der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), erinnert daran, dass der Papst das Reformationsjubiläum 2017 gemeinsam mit den Repräsentanten des Lutherischen Weltbunds im schwedischen Lund eröffnet hat. Das sei „ein historischer Moment, ein starkes Zeichen“ gewesen. Die Stärke des Papstes im ökumenischen Kontext liege in seinem Angebot zu gemeinsamem Handeln. „Insieme“, zusammen, das sei ein Programm für die christliche Praxis im Alltag.

Die Dringlichkeit zur Überwindung konfessioneller Grenzen werde aus Sicht des Papstes an einem besonders dramatischen Punkt deutlich, erklärt Hammes: der weltweiten Christenverfolgung, die keine Konfessionen kenne. „Wenn unsere Verfolger uns schon einen, warum trennen wir uns dann?“, das – so erklärt Hammes – ist für Franziskus der Impuls für eine „Ökumene des Blutes“.

Weniger fixiert auf die Sexualität als Johannes Paul II. und Benedikt XVI.

Knop sieht bei Franziskus eine „Entdoktrinalisierung“ der Glaubens- und Sittenlehre am Werk mit dem Ansetzen bei den „realen Möglichkeiten der Menschen“ statt bei Maximalforderungen. Franziskus sei auch weniger fixiert auf Sexualität als die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Doch seine Versuche, die „Pathologien der Vorgängerpontifikate zu überwinden oder wenigstens zu bearbeiten“, zielten nur auf einen entspannteren Umgang mit einem System, „das nicht mehr lebbar und praktizierbar ist“, nicht aber auf einen Systemwechsel. Auch an den Bruch mit der vormodernen Sexualmoral und dem Verhältnis der Geschlechter gehe Franziskus nicht heran. „Er ist nur ein guter Patriarch, aber kein neuer Mann.“

Schneider zieht die Linie einer produktiven Symbolpolitik aus: Im festgefügten Rahmen eines klerikalen Systems habe der Papst „Mut zum Ausprobieren“ gemacht. Bischöfe und auch die Gläubigen in den Gemeinden täten heute vieles, was sie sich noch vor zehn Jahren nicht getraut hätten. Schneider nennt die Kommunion konfessionsverschiedener Paare oder – wie selbstverständlich – gemeinsame Abendmahlfeiern. „Da hat sich schon ein bisschen was bewegt. Aber es hat nicht jeder Freude an der Grauzone.“

Und immer dann, wenn aus den Lockerungsübungen echte Bewegungsprogramme für die Kirche mit entsprechenden neuen Regeln und Strukturen werden könnten, „holt Franziskus am Ende doch den General heraus“, sagt Julia Knop – in Anspielung auf die Herkunft des Papstes aus dem Jesuitenorden. Dessen Tradition kennt einerseits eine straffe Organisationsstruktur mit einem „Pater General“ an der Spitze, andererseits aber auch das Führungsprinzip, in strittigen Fragen die Entscheidung nicht von oben herab, unter Druck und womöglich verfrüht zu fällen, sondern sie im Für und Wider reifen zu lassen.

Die Grenzen zwischen dieser jesuitischen Kunst der „Unterscheidung der Geister“ und lähmendem Zaudern oder auch ganz banal dem Aussitzen von Konflikten sind fließend. Im Erzbistum Köln, dem der Papst seit mehr als einem Jahr eine Antwort auf Kardinal Rainer Woelkis Rücktrittsangebot schuldet, sind die bisweilen fatalen Folgen der Führung à la Franz beispielhaft zu besichtigen. Doch dazu hüllt sich der Protestant Schneider in nobles ökumenisches Schweigen.

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