Einflussnahme der AfDWarum Regierung und Union das Verfassungsgericht besser schützen wollen

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Sieben Verfassungsrichterinnen und -richter in roten Umhängen sitzen in Karlsruhe während einer Verhandlung nebeneinander und blicken in den Saal.

Verfassungsrichterinnen und -richter in Karlsruhe.

Die Ampel-Koalition und CDU/CSU prüfen eine Stärkung obersten deutschen Gerichts. Der Grund: Das Erstarken der AfD und Beobachtungen im Ausland.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag gab sich am Dienstag zur Debatte um eine verstärkte Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts zurückhaltend. „Ich warne einfach vor wie auch immer gearteten Schnellschüssen“, sagte der CDU-Politiker Thorsten Frei. Für „eine hysterische Debatte“ bestehe kein Anlass. Dabei hatte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andrea Lindholz von der CSU vorher der Funke-Mediengruppe gesagt: „Wir teilen die Sorge der parteipolitischen Einflussnahme auf die Justiz und insbesondere das Bundesverfassungsgericht. Dieses wichtige Thema sollte auf breiter Basis diskutiert werden.“

Tatsächlich erfuhr das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) bereits am Montag, dass CDU und CSU im Prinzip bereit sind, den Ampelfraktionen zu folgen und das Grundgesetz so zu ändern, dass das höchste deutsche Gericht im Ernstfall vor Angriffen der AfD geschützt werden kann. Dies wäre auch nur gemeinsam möglich, weil es dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat braucht.

Rechtspopulisten haben im Ausland die Justiz vereinnahmt

Das Vorhaben ist eine Reaktion auf das Erstarken der teilweise rechtsextremistischen Partei und die zuletzt bekannt gewordenen Pläne zur „Remigration“. Es ist aber ebenso eine Reaktion auf Entwicklungen in Polen, Israel oder den USA, wo Rechtspopulisten auf die Justiz teilweise erfolgreich Einfluss genommen haben. Das soll in Deutschland verhindert werden.

Laut Grundgesetz kann das Bundesverfassungsgerichtsgesetz bisher mit einfacher Mehrheit geändert werden. Daraus soll eine Zweidrittel-Mehrheit werden. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Stephan Thomae, hat die Gründe zuletzt erläutert. So wären die Aufteilung des Gerichts in zwei Senate, die Festschreibung der zwölfjährigen Amtszeit von Richtern und die Festlegung, dass das Gericht über seine Geschäftsverteilung und seine Arbeitsweise selbst entscheide, effektiver gewährleistet.

Sein SPD-Kollege Johannes Fechner sagte, dass man in Polen erlebt habe, wie schnell ein Verfassungsgericht lahmgelegt werden könne. Schon vermeintlich unproblematische Änderungen ermöglichten dies: etwa die Vorgabe, alle Anträge nach Eingangsdatum abzuarbeiten, oder die Vorgabe, alle Entscheidungen ausführlich zu begründen. „Das kann dazu führen, dass das Verfassungsgericht nicht mehr dazu kommt, verfassungswidrige Gesetze aufzuheben.“ Lange schienen derlei Korrekturen bei uns nicht nötig – weil die AfD zu schwach wirkte und manche der Partei trotz voranschreitender Radikalisierung Angriffe auf den Rechtsstaat nicht zutrauten. Das ist vorüber.

Der „Verfassungsblog“ befasst sich seit einiger Zeit systematisch mit der Frage: Was wäre wenn? Dessen Leiter Maximilian Steinbeis warnte kürzlich in der „Süddeutschen Zeitung“: „Die deutsche Neigung, sich auf Recht und Gesetz zu verlassen und zu glauben, unsere starken Institutionen würden uns schon irgendwie beschützen, weil wir bessere Demokraten seien oder eine klügere Verfassung hätten als andere Länder: Für diese Überheblichkeit, die wir uns in den vergangenen Jahren vielfach geleistet haben, besteht immer weniger Anlass.“ Nora Markard, Professorin für Verfassungsrecht an der Universität Münster, erklärte im Juli demselben Blatt: „Mir scheint, wir unterschätzen manchmal, wie viel in unserem politischen System bislang nur deshalb so gut funktioniert, weil die Akteure sich demokratischen Umgangsformen verpflichtet fühlen.“ Dazu gehört, die Neutralität zentraler Institutionen zu respektieren.

Justizministerin fürchtet: „Unabhängige Justiz als erstes Angriffsziel“

Die Vorsitzende der Justizministerkonferenz, Niedersachsens Ressortchefin Kathrin Wahlmann (SPD), sagte dem RND entsprechend: „Wenn Antidemokraten an die Macht kommen, ist die unabhängige Justiz oft ihr erstes Angriffsziel – das zeigen Erfahrungen in anderen Ländern immer wieder. Ohne eine unabhängige Justiz als Garantin des Rechtsstaates ist aber auch die Demokratie in akuter Gefahr, einen schnellen Tod zu sterben. Das dürfen wir in Deutschland nicht zulassen.“ Sie betonte: „Das Bundesverfassungsgericht als höchstes deutsches Gericht und Hüter des Grundgesetzes repräsentiert den Rechtsstaat in besonderer Weise. Deshalb unterstütze ich den parteiübergreifenden Vorschlag, die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts stärker zu schützen und es immuner gegen Angriffe zu machen.“ In der niedersächsischen Verfassung seien die Zahl und die Amtszeit der Richterinnen und Richter abgesichert.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte: „Als Demokraten haben wir die Verpflichtung, wachsam zu bleiben. Dazu gehören auch Überlegungen, wie wir unser Grundgesetz und seine Institutionen bestmöglich vor verfassungsfeindlichen Einflüssen schützen können. Das Bundesverfassungsgericht als Hüterin der Verfassung hat da natürlich eine ganz besondere Stellung.“ Es würden bereits Gespräche geführt, wie dies wirksam gelingen könne, sagte Buschmann weiter. „Wir brauchen eine sorgfältig geführte und breit angelegte Debatte.“

Wann es zu der Grundgesetzänderung kommen wird, ist unklar. Doch auch in der Union, die die Sache wohl nicht zu hoch hängen und der AfD damit keine Angriffsfläche bieten will, heißt es: bald.

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