Entwicklungsminister Gerd Müller„Wir brauchen hier einen neuen Politikansatz“

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Gerd Müller

Gerd Müller (CSU), Entwicklungsminister

Berlin – Der Tisch im Ministerbüro ist schon eingedeckt, ein reich verzierter Bierkrug als Geschenk steht bereit. Gerd Müller (CSU) erwartet einen bekannten und vor allem sehr finanzkräftigen Besucher: Gleich empfängt der Entwicklungsminister den früheren Microsoft-Chef Bill Gates, der mit seiner Stiftung Milliarden in die Entwicklungshilfe steckt. Zunächst nimmt sich Müller aber eine Stunde Zeit, um seine Vorhaben für die Wahlperiode zu erklären.

Herr Müller, Sie und Ursula von der Leyen sind die einzigen Minister der neuen Regierung, die ihre Ressorts weiter führen. Warum gerade Sie beide? Was haben Sie, was andere nicht haben?

Gerd Müller: Den vernetzten Ansatz. Wie halten zusammen gehen gemeinsam nach vorn.

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Aha. Von einem Müller-von-der-Leyen-Pakt haben wir bisher noch gar nichts gemerkt.

Tja (lacht). Aber im Ernst: Bei beiden Ressorts geht es um lange Linien, weshalb es besonders auf Erfahrung und Beharrungsvermögen ankommt. Ich freue mich jedenfalls sehr, dass ich weiter machen kann.

Welche Schwerpunkte setzen Sie in der neuen Wahlperiode?

Schwerpunkt Nummer eins ist die Stabilisierung der Länder rund um Syrien. Wir müssen den Menschen in den Flüchtlingscamps weiter unterstützen, Schule und Ausbildung für Kinder und Jugendliche schaffen und massiv in Beschäftigung investieren. Mit unserem „Cash for Work“-Programm haben wir im letzten Jahr fast 90.000 Jobs geschaffen. Darauf bauen wir auf. Afrika ist ein weiterer Schwerpunkt. Es darf kein Weiter-so in der Afrikapolitik geben. Der „Marshallplan mit Afrika“ ist unser Konzept der nächsten Jahre für Reformen, Beschäftigung und wirtschaftliche Entwicklung. Dazu habe ich auch das Ministerium umstrukturiert. Wir haben jetzt eine gesonderte Afrika-Abteilung und ein neues Schwerpunktreferat Digitalisierung.

Anders als erwartet haben Sie jetzt die arg strapazierte Formulierung „Fluchtursachen bekämpfen“ gar nicht benutzt.

Es geht doch nicht darum, etwas zu bekämpfen. Wir wollen den Menschen neue Chancen in ihren Heimatländern geben. Deshalb werden wir zum Beispiel deutlich mehr Geld für Bildung und Ausbildung investieren. Ich kann es nicht oft genug sagen: In Afrika kommen jedes Jahr 20 Millionen Jugendliche neu auf den Arbeitsmarkt. Tragen wir nicht vor Ort zur Lösung der Probleme bei, kommen die Menschen zu uns. Das muss auch die EU-Kommission endlich begreifen.

Tut sie das nicht?

Schauen Sie auf die mittelfristige Finanzplanung, die gerade erarbeitet wird: Der vergleichsweise überschaubare Brexit ist berücksichtigt, aber auf die Herausforderungen durch das massive Bevölkerungswachstum in Afrika und die Fluchtbewegungen wird nicht reagiert. Voraussichtlich werden wieder um die 400 Milliarden Euro für die europäische Landwirtschaft bereitgestellt werden, lediglich ein Zehntel davon geben die EU-Staaten für Afrika aus. Das ist ein krasses Missverhältnis. Wir brauchen hier einen neuen Politikansatz.

Wie muss der aussehen?

Es geht auch um mehr Geld, aber vor allem um eine neue Handelspolitik. Wir brauchen in einem ersten Schritt eine vollständige Marktöffnung für landwirtschaftliche Produkte der nordafrikanischen Staaten. In einem weiteren Schritt sollten wir die Maghreb-Staaten und Ägypten beim Handel in den Europäischen Binnenmarkt integrieren. Es ist doch Irrsinn, dass wir afrikanische Produkte, insbesondere in der Landwirtschaft, noch ausbremsen und gleichzeitig die Länder mit Entwicklungsgeldern unterstützen. Lasst die afrikanischen Länder wirtschaftlich prosperieren! Dann entstehen dort Jobs und neue Zukunftsperspektiven.

Woher nehmen Sie mehr Geld?

Dafür gäbe es eine sprudelnde Quelle: Die Finanztransaktionssteuer. 0,01 Prozent auf den Handel mit spekulativen Finanzprodukten brächten 60 Milliarden Euro im Jahr, die wir in die Entwicklung Afrikas stecken könnten. Die Finanzmärkte laufen ohnehin aus dem Ruder.

Pardon, aber diese Steuer gilt doch als tot.

Zehn EU-Staaten wollen sie weiterhin und sie könnten die Abgabe nach EU-Recht auch zusammen einführen, ohne auf andere warten zu müssen. Worauf warten wir noch?

„Wir arbeiten am Grünen Knopf als Siegel für faire Kleidung“

Gerd Müller (CSU)

Gerd Müller (CSU) bei einer Rede im Bundestag

Vor genau fünf Jahren starben bei der Rana-Plaza-Katastrophe in Bangladesch über 1000 Näherinnen. In Reaktion darauf haben Sie ein Textilbündnis mit der Industrie initiiert mit dem Ziel, soziale und ökologische Standards im gesamten Produktionsprozess zu setzen. Halten Sie daran fest?

Natürlich. Ich mache hier weiter Druck. Das Thema faire Lieferketten ist weit mehr als Symbolik. Es geht darum, die Globalisierung gerecht zu gestalten. Wir alle sind es den Millionen von Menschen, die in der Textilproduktion arbeiten schuldig, von Hungerlöhnen zu lebenssichernden Löhnen zu kommen. Mit dem Textilbündnis zeigen wir, dass das tatsächlich funktioniert.

Immer wieder gibt es Differenzen im Bündnis, mehrere Unternehmen sind ausgetreten. Derzeit decken die Teilnehmer nur etwa die Hälfte des deutschen Textilmarktes ab. Wie geht es dort weiter?

Wir haben mit 34 Mitgliedern, einem Prozent Marktabdeckung und viel Gegenwind angefangen. Heute engagieren sich bereits rund 150 Mitglieder mit 50 Prozent Marktabdeckung für Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen im weltweit größten Bündnis seiner Art. Dazu gehören ja auch Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen, die mit dafür sorgen, dass die Ziele ambitioniert sind. Die Mitglieder setzten rund 1.500 Maßnahmen pro Jahr in den Bereichen Brandschutz, Gewerkschaftsrechte, Abwässer und nachhaltiger Baumwolle um, die es ohne das Bündnis nicht gäbe. Jetzt konzentrieren wir uns auf die Verbraucher. Sie sollen künftig auf einen Blick sehen, ob sie Kleidung ruhigen Gewissens kaufen können.

Sie sprechen doch nicht etwa von Ihrer viel belächelten Idee eines Grünen-Knopf-Siegels?

Ja, genau davon. Einige in der Branche dachten ja: Lass den Müller reden, wenn er weg ist, kräht kein Hahn mehr nach dem Grünen Knopf. Aber ich bin noch da und lasse nicht locker.

Wie ist der Plan?

Wir arbeiten daran, den Grünen Knopf als Siegel für faire Kleidung nächstes Jahr gemeinsam mit der Textilwirtschaft umzusetzen. Er wird das erste staatliche Siegel dieser Art sein. Wer Kleidung mit dem Grünen Knopf kauft, kann sich zu 100 Prozent sicher sein, dass sie fair und nachhaltig produziert wurde. Das garantiert unser Ministerium. Und nur wer dem Textilbündnis angehört und sich dessen Regeln unterwirft, wird dieses Siegel nutzen dürfen.

Was passiert mit den diversen anderen Siegeln, die heute schon existieren?

Sie wird es weiter geben. Jedem Anbieter steht es frei, bei einzelnen Kriterien auch höhere Standards zu erfüllen und diese entsprechend zu kennzeichnen. Diese könnten dann zusätzlich zum Grünen Knopf an der Kleidung angebracht werden.

Kritiker beklagen immer wieder die Freiwilligkeit und fordern eine gesetzliche Regelung.

Das Bündnis hat bereits jetzt zu vielen konkreten Verbesserungen geführt. In Deutschland ist Bewegung in die Branche gekommen und das freut mich. Mit einer gesetzlichen Regelung würden wir heute nicht weiter sein. Und auch beim Grünen Knopf werden die Ansprüche schrittweise steigen. Die Verbraucher legen immer stärker darauf Wert, dass ihre Kleidung unter menschenwürdigen Bedingungen produziert wurde. Faire Kleidung wird den Bio-Boom noch überholen, da bin ich ganz sicher. Fair ist schick. Die Hersteller werden es sich gar nicht leisten können, Produkte ohne Grünen Knopf anzubieten.

Also keine gesetzliche Regelung?

Doch. Allerdings dauert das Jahre und wegen der unterschiedlichsten Interessen in Brüssel werden wir eine Verordnung bekommen, die nicht so gut ist wie unser Bündnis. Wir waren also gut beraten, erst einmal auf Freiwilligkeit zu setzen. Damit haben wir jetzt auch eine Blaupause für faire Lieferketten in anderen Branchen, etwa in der Leder- und Schuhproduktion. Ich habe in Marokko Gerbereien gesehen, wo Kinder barfuß in den Säuren standen. Lebenserwartung 25 Jahre!

Wenn die Gesetzgebung in Brüssel so schwierig ist, warum regeln Sie das nicht national?

Im Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte ist festgelegt, dass es zu gesetzlichen Maßnahmen in den verschiedenen Branchen kommen muss, wenn Freiwilligkeit nicht zum Ziel führt. Sie können sicher sein, dass wir uns das sehr genau anschauen werden.

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