Köln – Thomas Assmann ist seit 20 Jahren Chef einer Hausarztpraxis in Lindlar. Die Pandemie stellt ihn vor die größte Herausforderung seiner Berufslaufbahn. „Wir haben täglich bis zu 150 Patienten. Darunter sind pro Woche fünf bis zehn, die an Corona erkrankt sind“, sagt der Allgemeinmediziner. Die Hausärzte würden in vorderster Front gegen die Krise kämpfen. „Durch den Erstkontakt mit den Kranken ist das Team einem hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Aber die Politik ignoriert die Gefahr für die Hausärzte. Wir stehen in der Impfreihenfolge noch hinter den ambulanten Pflegediensten“, kritisiert Assmann.
In NRW gibt es rund 6300 Hausarztpraxen. Viele Patienten, die einen Corona-Verdacht abklären lassen wollen, konsultieren zunächst den ihnen vertrauten Allgemeinmediziner. „Viele Kollegen führen die Abstriche bei den Coronatests selbst durch. Dabei besteht ein erhöhtes Ansteckungsrisiko“, sagt Andreas Assmann. Am Ende seien Schutzmaßnahmen nicht so sicher wie eine Impfung. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn oder NRW-Innenminister Herbert Reul hätten sich bestimmt so gut sie konnten an die Hygieneregeln gehalten haben. „Dennoch sind sie an Corona erkrankt“, erläutert der Mediziner. Es sei „beschämend, dass die Hausärzte darum betteln müssen, von der Politik angemessen behandelt zu werden“.
Behandlung im Zelt
Sabine Pistor-Freyn, seit 30 Jahren Hausärztin aus Hürth, sieht das ähnlich. „Viele ältere Menschen wagen sich nicht in die Praxen aus Angst vor Infektionen. Diese müssen mit zeitaufwendigen Hausbesuchen versorgt werden." Auch bei größter Einhaltung der Hygienemaßnahmen bestehe ein erhöhtes Infektionsrisiko. Bei Praxisterminen müssten Patienten mit Erkältungssymptomen in einem Zelt auf dem Parkplatz behandelt werden. „Bei Minustemperaturen ist das weder für die Patienten noch für die Ärzte ein Vergnügen“, sagt Pistor-Freyn. Die Reihenfolge der Impfungen wird in Deutschland durch eine Verordnung der Ständigen Impfkommission festgeschrieben. Die sei Bundessache – „und natürlich mit den Ärzteverbänden besprochen, erklärt Peter Preuß, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU im Landtag: „Die Linie war und ist, Menschen zuerst zu impfen, für die Corona besonders schwere Folgen haben könnte.“
Auch Erzieher, Lehrer und Busfahrer beschweren sich
Dennoch steht die Verordnung massiv in der Kritik. „Ich bekomme pro Tag zahlreiche Anrufe von Leuten, sie sich benachteiligt fühlen“, sagt Josef Neumann, Gesundheitsexperte der NRW-im Landtag. „Das sind Erzieher, Lehrer oder Busfahrer. Ich kann verstehen, dass viele Berufsgruppen in Sorge sind. Die Impfstoffknappheit heizt den Streit über vermeintliche Benachteiligungen weiter an.
Aber wir sollten uns an die Reihenfolge der Impfkommission halten. Sonst öffnen wir die Büchse der Pandora.“Der Hausärzteverband NRW sieht das naturgemäß anders. „Die niedergelassenen Ärzte tragen maßgeblich dazu bei, dass das Gesundheitssystem in der Pandemie nicht überlastet wird“, sagt der Landesvorsitzende Oliver Funken.
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Während zum Beispiel Krankentransport und Pflegedienste vollständig geimpft würden, blieben den Hausärzte außen vor. Es sei ein Schlag ins Gesicht, dass die Landesregierung unter anderem auch Verwaltungsmitarbeitern in Krankenhäusern eine höhere Priorität einräumt als den unmittelbar mit der Versorgung der Patienten beschäftigten Medizinern. „Hier erwarten wir von der Politik schnellstmöglich eine Anpassung“, so Funken.
NRW-Regierung sieht sich gebunden
Doch darauf dürften die Hausärzte wohl vergeblich warten. Ein Sprecher von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann erklärte, die vom Bund festgelegte Impfreihenfolge sei „bindend“ für NRW. Nur das Personal in Schwerpunktpraxen zur Behandlung von COVID-19 Patienten und Ärzte, die regelmäßig in Alten- und Pflegeheime tätig sind, würden mit höchster Priorität geimpft.
Expertenrat ohne Hausärzte
Dass die Hausärzte zu wenig gehört würden, spiegelt sich nach Ansicht des Hausarzt Thomas Assmann auch im Beraterstab der NRW-Landesregierung. Im Expertenrat der Landesregierung seien zwar alle möglichen Disziplinen vertreten, aber kein einziger aktiver Allgemeinmediziner: „Dabei wäre es aber dringend erforderlich, dass in dem Gremium auch die Fachleute vertreten wären, die beim Kampf gegen die Pandemie im Maschinenraum arbeiten.“