Gazelle Sharmahd„Mein Vater ist im Iran einen Schritt vom Galgen entfernt“

Lesezeit 4 Minuten
ARCHIV - 27.03.2023, Berlin: Gazelle Sharmahd, Tochter des im Iran zum Tode verurteilten Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd, geht nach ihrem Gespräch mit dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Merz, durch den Deutschen Bundestag.

Gazelle Sharmahd, Tochter des im Iran zum Tode verurteilten Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd.

Die Tochter von Jamshid Sharmahd sagt, die Bundesregierung habe „von Tag eins an alles falsch gemacht“.

Die Tochter des im Iran zu Tode verurteilten iranisch-stämmigen Deutschen Jamshid Sharmahd hat der Bundesregierung mangelnden Einsatz zur Rettung ihres Vaters vorgeworfen. „Die Bundesregierung fordert nicht einmal seine Freilassung“, kritisierte Gazelle Sharmahd, die in Los Angeles lebt, im Telefonat mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

„Wenn Außenministerin Annalena Baerbock und Kanzler Olaf Scholz sich überhaupt äußern, dann fordern sie bessere Haftbedingungen für ihren entführten deutschen Staatsbürger, der ermordet werden soll, oder dass das Urteil rückgängig gemacht wird. Ein Urteil, das absolut politisch motiviert ist, wird nicht rückgängig gemacht, weil man darum bittet. Druck ist das einzige Mittel, das das Regime im Iran versteht.“ Aus dem Auswärtigen Amt hieß es am Donnerstag auf Anfrage, der Fall von Jamshid Sharmahd habe höchste Priorität.

Auswärtiges Amt: „Setzen uns mit größter Anstrengung aktiv für Herrn Sharmahd ein“

„Wir setzen uns mit größter Anstrengung aktiv für Herrn Sharmahd ein - hochrangig, auf allen zur Verfügung stehenden Kanälen und bei buchstäblich jeder Gelegenheit. Dabei verdeutlichen wir der iranischen Seite, dass die Vollstreckung des Todesurteils schwerwiegende Folgen hätte. Die Verhinderung einer Urteilsvollstreckung hat für uns höchste Bedeutung. Um den Erfolg dieser Anstrengungen nicht zu gefährden, können wir keine weiteren Details mitteilen.“

Jamshid Sharmahd war nach Angaben seiner Familie Ende Juli 2020 auf dem Weg ins indische Mumbai bei einem Zwischenstopp in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten von iranischen Agenten entführt worden.

Gazelle Sharmahd sagte, ihr Vater habe zuletzt am 28. Juli 2020 mit ihrer Mutter telefoniert und danach eine Tracker-Funktion in seinem Handy aktiviert, mittels derer die Familie seinen Aufenthaltsort nachverfolgen konnte. „Danach haben wir gesehen, dass er sich nicht nach Indien bewegt, sondern in Richtung Süden, über die Grenze in den Oman und dann an die Küste. Dort hörte der Tracker auf. Am nächsten Tag hat das Regime ein Video mit meinem Vater veröffentlicht mit einem erzwungenen Geständnis. Da wussten wir, die haben ihn entführt.“

Ein Revolutionsgericht in Teheran hatte Jamshid Sharmahd im Februar in einem umstrittenen Prozess zum Tode verurteilt. Die Bundesregierung hatte das „inakzeptabel“ genannt und als Reaktion zwei iranische Diplomaten ausgewiesen. Im April hatte der Oberste Gerichtshof das Urteil bestätigt. Gazelle Sharmahd (41) sagte, zwar habe das Regime fabrizierte Terrorvorwürfe gegen ihren 68 Jahre alten Vater erhoben.

Jamshid Sharmahd: Website für iranische Dissidenten gestaltet

Er sei aber entgegen Medienberichten nicht deswegen verurteilt worden. „Der Prozess war nicht in einem Strafgericht, sondern in einem Revolutionsgericht. Das ist für Verfahren gegen Regimekritiker zuständig. Verurteilt wurde er wegen angeblicher Korruption auf Erden. Das ist ein Todesurteil, das man allen Dissidenten gibt. Das heißt, du hast dich gegen das Regime ausgesprochen, du hast gegen das Regime geschrieben oder auch nur gegen das Regime gedacht.“ Jamshid Sharmahd lebte zuletzt als Software-Ingenieur in Kalifornien.

Gazelle Sharmahd sagte, er habe für iranische Dissidenten eine Webseite zur sicheren Kommunikation gestaltet. Gazelle Sharmahd warf dem Auswärtigen Amt vor, „von Tag eins an alles falsch gemacht“ zu haben. „Und das Leben meines Vaters steht jetzt auf dem Spiel.“ Der Familie sei von Anfang an gesagt worden, sie sollten nicht an die Öffentlichkeit gehen, während das iranische Regime selbst die Entführung öffentlich gemacht habe.

Gazelle Sharmahd fordert Hilfe von Olaf Scholz

„Uns wurde immer gesagt, wir tun alles, was wir können. Wir stehen an Ihrer Seite. Ihr Vater ist ein deutscher Staatsbürger. Als er entführt wurde, als wir kein Lebenszeichen von ihm bekamen, als er in Isolationshaft war, als er gefoltert wurde, als ihm die Zähne ausgeschlagen wurden, als er das Todesurteil bekam, als das Urteil bestätigt wurde – immer haben sie uns gesagt, wir setzen uns hochrangig ein. Jetzt ist er einen Schritt vom Galgen entfernt.“ Gazelle Sharmahd forderte, der Bundeskanzler selbst müsse sich der Sache annehmen. „Das muss Chefsache sein.“

Außerdem müsse die Regierung umgehend eine Taskforce zur Freilassung ihres Vaters einsetzen. Sie kritisierte, aus dem Auswärtigen Amt habe sie immer wieder dieselbe Botschaft bekommen. „Jedes Mal höre ich, die Iraner haben es jetzt verstanden. Und ich sage ihnen jedes Mal, nein, die haben das nicht verstanden. Ihr müsst viel mehr Druck machen. Man kann mit dem Regime nicht diplomatisch reden, weil es keine normale Regierung ist. Das sind Kriminelle, die Menschen entführen. Das sind Terroristen. Die lassen sich nicht ermahnen.“

Laut Amnesty International sitzen im Iran - neben weiteren europäischen Staatsbürgern - mindestens zwei iranisch-stämmige Deutsche in Haft: Jamshid Sharmahd und Nahid Taghavi. Der Iran entlässt Staatsbürger prinzipiell nicht aus der Staatsbürgerschaft. Jamshid Sharmahd hat nach Angaben seiner Familie nur einen deutschen Pass.

Jamshid Sharmahd ist im Alter von sieben Jahren nach Deutschland gekommen und dort aufgewachsen. Vor der Revolution im Iran 1979 kehrte er in sein Ursprungsland zurück, wo er heiratete. Kurz nach der Geburt von Gazelle Sharmahd floh die Familie dann nach Deutschland. Gazelle Sharmahd wuchs in Hannover auf, lebt inzwischen aber in Los Angeles. Sie arbeitete als Krankenschwester, widmet sich jetzt aber ausschließlich der Freilassung ihres Vaters und ihrer zweieinhalb Jahre alten Tochter – die Jamshid Sharmahd noch nie gesehen hat.

KStA abonnieren