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Angriffe, Drohungen, FluchtversucheNRW-Behörden verzweifeln an 13-jähriger Islamistin

5 min
17.08.2025, Nordrhein-Westfalen, Paderborn: Ein Schild weist auf die kinder- und jugendpsychiatrische Klinik hin. In der Klinik soll eine 13-jährige Patientin eine Betreuerin mit einem spitzen Gegenstand angegriffen haben. Foto: Christian Müller/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Ein Schild weist auf die kinder- und jugendpsychiatrische Klinik in Paderborn hin. (Archivbild)

Eine 13-jährige Schülerin gilt als hochgefährlich. Nach Messerattacken und Fluchtversuchen arbeiten Jugendamt, Polizei und Justiz an einem Sicherheitskonzept.

Anna M. wirkt eher zierlich, niemand würde in der 13-jährigen Teenagerin ein Hochsicherheitsrisiko vermuten. Dabei macht die Islamistin keinen Hehl aus ihrem Ziel: Anna M. (Name geändert) will Menschen töten. Am besten nach eigener Aussage noch im strafunmündigen Alter. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ wird die Schülerin am 8. November 14 und kann dann für ihre Taten belangt werden.

Bis dahin arbeiten die zuständigen Jugend- und Polizeibehörden an einem Schutzkonzept, das seinesgleichen sucht. Zumal die Extremistin bereits einen Polizisten bei einem Ausbruchsversuch aus einem eigens für sie bereitgestellten Ferienbungalow verletzt hatte.

13-jährige verletzte Betreuerin schwer

In der psychiatrischen LWL-Klinik Marsberg stach sie einer Betreuerin in den Rücken. Die Ärzte hatten der Patientin im Zuge von Lockerungsmaßnahmen den Zugang zur Küche erlaubt - trotz der Warnungen durch Staatsschützer der Polizei Bielefeld. Als der für sie zuständige Wachmann die Toilette aufsuchen wollte, nutzte die Jugendliche die Gelegenheit und verletzte die Betreuerin schwer.

Sicherheitskreise in NRW stufen Anna M. als „hochgefährlich und höchst gewaltbereit“ ein. „Sollte sie nochmal die Gelegenheit erhalten, an eine Waffe zu kommen, wird sie es wieder versuchen“, heißt es.

Jugendliche lud Gräuel-Videos des IS herunter

So sehr die Vita der Islamistin Rätsel aufgibt, so sehr beschäftigt sie die staatlichen Behörden. Seit Februar 2024 ist sie ein Fall fürs Jugendamt Paderborn. Das Mädchen stammt aus schwierigen Verhältnissen, ist aggressiv und eine Einzelgängerin. Hilfsangebote der Familien- und Jugendhilfe verfingen nicht. Auch die Unterbringung in etlichen Einrichtungen scheiterte.

Anfang 2025 stufte die Polizei in Niedersachsen die Extremistin als Gefährderin ein. Heißt: Die Ermittler fürchteten, dass der Teenager schwere politisch motivierte Straftaten begehen könnte. In diesem Fall Mord. In jener Phase saugte Anna M. vor allem Telegram-Chats der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) auf, lud sich Gräuel-Videos herunter. Diese Hinweise fanden die Ermittler auf ihrem Handy. Die Polizei erstellte eine alarmierende Sicherheitsprognose.

Die NRW-Behörden wurden zuständig, als die 13-Jährige nach Paderborn zog. Hier lebte ihr Vater, der sich aber nicht sonderlich um seine Tochter gekümmert haben soll. Und so landete Anna M. erneut in einer Jugendeinrichtung. Was aber tun mit einem Mädchen, das offensichtlich einen Anschlag plant? „So einen Fall hatten wir noch nie“, berichtet ein Insider, der in die Angelegenheit eingebunden ist.

Minister Herbert Reul machte Druck

Viele Dinge wurden ausprobiert. NRW-Innenminister Herbert Reul drängte seine Amtskollegen auf eine Lösung, machte gehörigen Druck. Immer wieder kamen die involvierten Ämter und Ministerien zusammen, um die Maßnahmen zu koordinieren. Und das für ein Mädchen im Alter von 13 Jahren. „Wir standen häufig vor dem Gau, wenn die Schülerin kurz vor der Entlassung stand“, sagt der Insider.

Aus rechtlicher Sicht gibt es keine Handhabe, die Islamistin einfach so festzusetzen. Die Möglichkeit, sie in eine geschlossene Psychiatrie zu schicken, unterliegt hohen rechtlichen Hürden, die meist alle zwei Monate verlängert werden müssen. Der Befund zu ihrem Geisteszustand erschwert denn auch die Unterbringung. Wie zu erfahren war, leidet die Dschihadistin weder unter einer Psychose noch unter anderen seelischen Krankheiten. Offenbar will sie nur ihre Gewaltfantasien umsetzen. Auch entspricht ihr Profil nicht jenem eines tiefgläubigen Fundamentalisten. Weder ist das Mädchen zum Islam konvertiert, noch betet es zu Allah. Genauso wenig finden sich irgendwelche Bekenntnisse zum IS oder anderen islamistischen Terror-Organisationen. „Wenn sie zuerst auf die rechtsextremistische Propaganda gestoßen wäre, dann würde sie dieser Ideologie folgen, um ihre Ziele zu verfolgen“, so ein Kenner des Vorgangs.

Flucht aus dem Schlafzimmerfenster

Seit dem 15. April ist Anna M. ein Fall für den Staatsschutz. Zunächst landete sie in einer Klinik. Bei Freigängen etwa in die City von Paderborn versuchte der Teenager seinen Begleitern zu entwischen. Die Polizei musste sie wieder in die Klinik zurückbringen. Am 16. Juni wurde das Mädchen aus der Psychiatrie entlassen. Eine längere Zwangsmaßnahme wäre rechtlich kompliziert gewesen. Ein Amtsrichter ordnete jedoch an, der Schülerin eine elektronische Fußfessel anzulegen. Zugleich wurde eine eng gefasste „Gebotszone“ für Tag und Nacht festgelegt, in der sich Anna M. aufhalten durfte.

Ferner übernahm ein Verein aus der freien Jugendhilfe die Aufsicht. Das Mädchen wurde von einer Betreuerin in einem Ferienhaus im Teutoburger Wald untergebracht. Der Jugendlichen gelang die Flucht aus einem geöffneten Schlafzimmerfenster. Als die Polizei sie in der Nähe stellte, überzog Anna M. die Beamten mit dschihadistischen Todesdrohungen. Am 23. Juni entwich die Gefährderin erneut. Die Polizei hatte erhebliche Mühe, die Teenagerin festzusetzen. Anna M. wehrte sich mit Händen und Füßen, trat eine Glastür ein und ging mit einer großen Scherbe auf die Beamten los. Erneut kam sie in die geschlossene Jugendpsychiatrie in Marsberg. Am 16. August stach sie in der Küche hinterrücks auf eine Betreuerin ein. Die Frau überlebte nach einer Notoperation.

Eine neue Lösung für die Tatverdächtige musste her. Womöglich auch eine neue forensische Klinik. Aber niemand wollte den Risikofall übernehmen. Laut einem Bericht des Ministeriums für Kinder und Jugend hatten die örtlichen Behörden 50 Einrichtungen abgefragt, um Anna M. aufzunehmen. Alle winkten ab. Und so verblieb das Mädchen weiterhin in der LWL-Klinik Marsberg. Zwar hatte die Leitung dagegen geklagt, war aber gescheitert.

Neues Sicherheitspaket für jugendliche Islamistin

Folglich musste man ein neues Sicherheitspaket schnüren. Nach Recherchen dieser Zeitung zahlt nun das Jugendamt die Räume der Islamistin in der Klinik. Anna M. wird in einem Zimmer abgeschottet und darf zunächst nicht raus. Diese Art von Isolationsgewahrsam kann nicht von Dauer sein. Den Ausgang – etwa eine Stunde lang auf einem Sportplatz – soll künftig ein Wachschutz und die Polizei überwachen. Der Aufwand ist enorm, die Kosten sind es auch.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf hat das Verfahren rund um die Attacke auf die Betreuerin zwar übernommen, wird es aber wohl wegen des strafunmündigen Alters der mutmaßlichen Messerstecherin einstellen. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Paderborn auch gegen drei Mitarbeiter der Klinik Marsberg. „Es werden die Umstände untersucht, unter denen das 13-jährige Mädchen innerhalb der Klinikräumlichkeiten an ein Messer gelangen konnten“, so der zuständige Staatsanwalt. „Gegenstand der Ermittlungen ist insbesondere, wer der 13-jährigen den Aufenthalt in der Küche gestattete und warum am Tattag nur ein Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes zugegen gewesen ist.“