Hendrik Streeck polarisierte als Corona-Erklärer während der Pandemie. Nun will er vereinen. Und strebt für die CDU in den Bundestag.
Hendrik Streeck kandidiert in BonnEin Virologe strebt in den Bundestag
Sam interessiert sich für die Richtungsvorgaben seiner Leitfigur nur bedingt. Viel spannender ist ja auch der Kinderwagen, der den Weg entlang rollert. Außerdem: Der fröhlich galoppierende Labrador gegenüber. Die Leine spannt sich, Hendrik Streeck lehnt sich dagegen, lacht entschuldigend. „Ich glaube, Sam hat einen Hund entdeckt.“ Und lauter: „Sammy! Ach Sam, jetzt!“ Mit ein paar Schritten hat er den Golden Retriever eingeholt. Kurze Streicheleinheit im Karamellfell. „Man muss etwas aufpassen, weil er gerne andere Menschen begrüßt.“
Streeck wurde vorgeworfen, das Virus zu verharmlosen
Hendrik Streeck ist Direktor des Instituts für Virologie an der Uni Bonn, wurde vor allem durch seine wissenschaftlichen Beiträge zu Aids bekannt, während der Pandemie hat er sich als Corona-Erklärer einen Namen gemacht und schaffte es in den Expertenrat der Bundesregierung. Er forschte im Kreis Heinsberg, einem der ersten Corona-Hotspots Deutschlands, und polarisierte als Lockerungs-Verfechter. Ihm wurde vorgeworfen, das Virus zu verharmlosen. Zudem ließ er seine Heinsberg-Studie von Storymachine, einer PR-Agentur um Ex-„Bild“-Chef Kai Diekmann, exklusiv begleiten, worauf man ihm vorwarf, er arbeite nicht unabhängig.
Streeck sagt, er habe es damals als wichtig empfunden, „dass die Welt von dieser Beobachtung erfährt“. Heute betrachtet er sein damaliges Vorgehen differenzierter. „Sicherlich würde ich dies aus heutiger Sicht anders machen.“ Der Gegenwind war enorm. Aus der öffentlichen Debatte vertreiben ließ sich Streeck dadurch nicht. Im Gegenteil. Er sucht die politische Bühne.
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Der 46-Jährige hat sich entschieden, an seinem Wohnort Bonn für den Bundestag zu kandidieren. Seine Partei ist die CDU. Eingetreten ist er nach eigenen Angaben schon 2017. Zunächst bewirbt sich Streeck im parteiinternen Aufstellungsverfahren, denn auch der Kreisvorsitzende der CDU Bonn, Christoph Jansen, möchte gerne in den Bundestag. Auf Anfrage gibt sich der ob der Konkurrenz gelassen. Dass es mehrere Bewerber gebe, sei „in der Bonner CDU gute Tradition“ und ein Beweis für die Lebendigkeit der Partei. Zu Streeck selbst habe er „einen guten Draht“. Wen die Parteimitglieder favorisieren, wird sich Ende August entscheiden. Seit März sitzt Streeck unter Jansens Vorsitz als einer von 16 Beisitzern im Vorstand des CDU-Kreisverbands.
Hendrik Streeck glaubt, in der Krise gelte: „All hands on deck“
Streeck will sich einbringen, die Leine nicht aus der Hand geben. „Krieg, Krisen und Konflikte – die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein.“ Gerade in der jetzigen Situation seien alle Kräfte gefordert: „All hands on deck“, nennt Streeck das. „Wir brauchen eine Verständigung auf einen gesellschaftlichen Konsens und wie wir in Zukunft zusammenleben möchten.“ Der Mensch auf der Suche nach etwas Leitendem, einem Licht, das den Weg leuchtet, auf das alle zugehen können. Streeck ist bereit, leuchtend voranzugehen.
Zunächst ein paar Schritte mit Hund Sam im Grünstreifen vor dem Poppelsdorfer Schloss. Sam hat sich an einer Laterne verheddert. Der Medizinprofessor, schwarzer Anorak der Marke Canada-Goose und grauer Schal, Lieblingsgericht Spaghetti Bolognese, Lieblingsurlaubsziel Sonne, ein Liebhaber von Jazz-Musicals, eilt zur Befreiung des Vierjährigen. „Man wird hier abgelenkt.“ Aber Streeck knüpft an seinen Gedanken an. „Dazu gehört für mich der christliche Grundgedanke. Die Werte, die daraus erwachsen: Toleranz, Nächstenliebe, individuelle Freiheit.“ Was nicht bedeute, dass jeder Christ sein müsse. „Gar nicht.“
Während die Parteienlandschaft in Deutschland immer mehr zersplittert, träumt Streeck den Traum der großen Mutter Volkspartei neu. Die all ihre Kinder zu Hause an ihrem Tisch versammeln kann. Und seien sie auch noch so unterschiedlich. Streeck will auch diejenigen einladen, die derzeit aus Trotz zumindest vorübergehend mit der AfD abhängen. „Viele AfD-Wähler sind keine Nazis oder Demokratiefeinde, aber ihre Protestwahl spielt den Nazis in die Hände. Das ist gefährlich für unser Land.“
In Streecks Gehirn quietschen bei einem Thema die Bremsen
Auch für Protestwähler müsse die CDU „ein inhaltliches Angebot machen, dass die CDU für eine neue Politik stehen kann“. Denn laut Streeck steht viel auf dem Spiel: „Die CDU hat noch einmal die Chance, das Ruder rumzureißen, um die Demokratie zu stabilisieren. Wenn das nicht gelingt, haben wir eine AfD-Regierung.“ „Politik aus der Mehrheit, die aber inklusiv ist für alle Minderheiten, Lebensweisen und Identitäten“, nennt Streeck sein Angebot.
Überhaupt Minderheiten. Gendern, Gleichstellung, Selbstbestimmungsgesetz. Streeck, der selbst mit einem Mann verheiratet ist, bezeichnet sich gesellschaftspolitisch als liberal. Stichwort „individuelle Freiheit“. Beim Thema Selbstbestimmungsgesetz quietschen jedoch irgendwo in Streecks Gehirn die Bremsen. „Wir nehmen in Kauf, dass viele Menschen abgehängt werden und das nicht mehr verstehen. Die Mehrheit kann bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen nicht mehr nachvollziehen. Das kann zu Politikverdrossenheit führen und zum Gegenteil von dem, was man eigentlich bewirken möchte.“
„Sammy, da ist es aber ganz schön matschig da drüben“, ruft Streeck. Die Enthüllungen über die AfD und deren Treffen mit bekennenden Rechtsextremisten in Potsdam haben auch Streeck erschreckt. Also machte er sich selbst auf, um in Bonn zu demonstrieren. „Ich weiß gar nicht, ob ich sagen kann, dass ich dann letztlich dabei war. Da waren so viele Menschen auf den Straßen, 30.000, irgendwann waren ja alle Zugangsstraßen zur Demo zu. Aber: Ich habe mich auf den Weg gemacht.“ Nicht mit allen Demonstranten sei er einer Meinung, das will er auch betonen. „Gegen rechts schließt wiederum Teile des demokratischen Spektrums aus.“ Dabei müssten doch alle Demokraten weiter am selben Tisch sitzen können. „Gegen Rechtsextremismus, gegen völkisches Denken, Antisemitismus und Verschwörungsmythen ist die bessere Wortwahl.“
Eine weitere Spaltung verhindere eine produktive Debattenkultur, die Streeck aus der Wissenschaft kennt und die er nach eigenen Angaben wieder zurück in die Politik bringen will.
Als Kind radelte Hendrik vom Dorf außerhalb Göttingens zur Schule in die Stadt. Über den Berg rüber, jeden Tag. Auch heute quält sich der 46-Jährige gerne beim Sport. Ziele in den Blick nehmen, einen Weg finden, Lösungen benennen, sie ansteuern. So scheint Streeck sich in seinem Leben am liebsten zu sehen. Notfalls wählt er einen Trampelpfad und geht nochmal zurück, wenn sich der als Sackgasse entpuppt. Hauptsache, man ist mal losgegangen, hat die Diskussion eröffnet. „Es ist doch so: Jeder hat eine Meinung, darüber offen diskutiert wird aber in den seltensten Fällen. Das muss sich wieder ändern.“
Streecks Meinung zu Bonn: Wohnraummangel, Verkehrslage katastrophal, schlechte Anbindung an den Flughafen, der ICE hält zu selten in der ehemaligen Bundeshauptstadt, dafür im Nachbarstädtchen Siegburg. Die Idee der Bonner Oberbürgermeisterin Katja Dörner (Grüne) den Autoverkehr der Adenauerallee auf eine Fahrspur zu Gunsten von Fahrradfahrern zu beschränken, bezeichnet Streeck als „ideologisches Experiment“, ihm fehle hier der Masterplan.
Woran das Gesundheitssystem kranke: Bürokratie, Redundanzen
Aber nicht nur für seine Heimatstadt will der Wissenschaftler sich stark machen, auch für seine Spezialgebiete Gesundheit und Wissenschaft. „Aus der Praxis die tägliche Erdung und meinen Erfahrungsschatz einbringen.“ Einige Ideen hat er schon ausbaldowert. Einige Malaisen erkannt, an welchen das deutsche Gesundheitssystem seiner Meinung nach krankt.
„Bürokratie, mangelnde Ambulantisierung, Redundanzen“, sind die Stichworte. „Wir wiederholen zu häufig Untersuchungen und Diagnostiken.“ Das liege auch an den Abrechnungsmodalitäten, die keinen Anreiz zur Sparsamkeit böten. Statt beim Hausarzt anzurufen und dort die Informationen einzuholen, neigten Fachärzte und Kliniken dazu, die Untersuchung einfach nochmal durchzuführen. „Denn einen Anruf darf der Arzt pro Patient gerade einmal im Quartal abrechnen – und zwar mit 6,99 Euro. Da untersucht er lieber selbst nochmal, statt ein Gespräch zu führen oder einen digitalen Datenaustausch zu nutzen.“ Streecks Lösung: Ein Primärarztsystem, das den Hausarzt zum Gesundheitslokführer des einzelnen Patienten macht. Er ist alleiniger Ansprechpartner und Kümmerer, wird ein Facharztbesuch nötig, fließen alle Informationen sofort an den Hausarzt zurück. Entscheidungen über weitere Therapien werden in seiner Praxis getroffen, nicht auf dem Weg von Facharzt zu Facharzt.
Beim Versuch, Streeck bei der Frage nach dem Lieblings-Kanzlerkandidaten für die Union dem Team Merz oder Wüst oder gar Söder zuzuschlagen, leistet Streeck Widerstand. Er kenne alle drei persönlich und schätze jeden auf seine Art und Weise. Und auch was mögliche Koalitionspartner angeht, behauptet Streeck, keineswegs festgelegt zu sein. „Das Wesen der Demokratie ist doch, dass alle demokratischen Parteien miteinander den Diskurs suchen, natürlich gibt es aber mit einigen mehr Schnittmengen als mit anderen.“ Für Streeck ist jedoch klar, dass sich eine Zusammenarbeit sowohl mit der AfD als auch der Linken ausschließt. Seine Erklärung: „Da bin ich ein Verfechter der klassischen Hufeisentheorie und lehne alle extremistischen Strömungen konsequent ab.“