„Früher, länger, stärker“Klimawandel begünstigt Pollenflug – Allergierisiko steigt

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Eine Frau mit einer Allergie steht mit einem Taschentuch an einer Korkenzieherweide, die in voller Blüte steht. Durch die milden Temperaturen blühen viele Pflanzen schon sehr zeitig.

Viele Sträucher blühen immer früher - für Allergiker ein Problem.

In Nordrhein-Westfalen beginnt der Pollenflug zudem früher als in anderen Regionen. Warum es dennoch Hoffnung für Allergiker gibt.

Die Natur hält sich nicht an den Kalender. Der Frühling beginnt für Meteorologen am 1. März, astronomisch gesehen ist am 20. März Frühlingsbeginn. Anzeichen für wärmere Tage sind aber schon lange sichtbar, besonders bei den Pflanzen. Hasel und Erle blühten in einigen Gegenden schon Ende Dezember. Heuschnupfen ist bereits seit Beginn des Jahres eine Belastung für viele Menschen. Experten warnen, dass die Klimakrise diese Situation noch verschärfen könnte. Woran liegt das?

„Durch den Klimawandel ist der Pollenflug früher, länger und stärker“, sagt Norbert Mülleneisen, Leiter des Asthma und Allergie Zentrums Leverkusen. Mit einer früheren Entspannung durch einen früheren Start der Pollenphase ist laut dem Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde aber nicht zu rechnen.

Er gehe sogar davon aus, dass in Zukunft ein Pollenflug den nächsten jagen werde. Experten haben Steigerungen bereits dokumentiert. Die Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst schreibt in ihrem aktuellen Bericht, dass das Jahr 2022 das stärkste Gräserpollenjahr seit 2001 war, 2023 das zweitstärkste.

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Norbert Mülleneisen, Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde und Gründer des Asthma- und Allergiezentrums Leverkusen ist im Porträt zu sehen.

Norbert Mülleneisen, Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde, geht davon aus, dass Pollenflug in der Zukunft noch zunehmen wird.

Klimawandel und seine Auswirkungen: Frühere Blütezeiten durch milde Winter

Im Schnitt sind Frühlingsboten wie die Hasel eine Woche früher dran, als es noch im Mittel zwischen 1992 und 2023 der Fall war. Das zeigt die bundesweite Meldestatistik des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Die genaue Zeit des Pflanzenwachstums hängt hauptsächlich von der Temperatur ab, erklärt Bianca Plückhahn, Agrarmeteorologin beim DWD. Sie merkt an, dass es über den Jahreswechsel und Ende Januar sehr milde Phasen gab, meist mit frostfreien Nächten. Das führte zu verfrühten Blütezeiten.

Betrachtet man Langzeitdaten, wird der Einfluss des Klimawandels noch deutlicher. Plückhahn erklärt: „Durch die eher milden Winter beginnt die Vegetationsentwicklung insgesamt früher.“ Über die Jahrzehnte hinweg lassen sich signifikante Veränderungen bemerken. Beispielsweise hat sich der Beginn der Haselblüte seit 1951 um rund einen Monat verfrüht, hält das Robert Koch-Institut (RKI) in seinem „Journal of Health Monitoring“ (2023) fest.

Klimawandel und Allergien: pollenfreie Zeit verkürzt sich

Die Zeit, in der kaum Pollen unterwegs sind und die normalerweise von September bis Januar dauere, werde immer kürzer. „Heutzutage haben Menschen bis Oktober oder November mit Allergien zu kämpfen und bereits Mitte Dezember beginnen dann schon die Haselbäume wieder zu blühen. Das Problem, das auf uns zukommt, ist, dass der pollenarme Zeitraum immer weiter schrumpft“, sagt Mülleneisen.

Das liege unter anderem am Klimawandel, auch wenn es gewöhnliche, saisonale Schwankungen bei Gräserpollen gebe, sagt Mülleneisen. Bei der Birke zum Beispiel seien die geraden Jahre als sogenannte Mastjahre bekannt, in denen die Baumart enorm viele Samen produziere und ein dementsprechend starker Pollenflug auftrete. In den ungeraden Jahren sei der Pollenflug dagegen etwas weniger stark.

NRW: Lage begünstigt Pollenflug – eingeschleppte Pflanzen erhöhen Allergierisiko

Die geografische Lage von Nordrhein-Westfalen spielt im Thema eine besondere Rolle. NRW liegt im Westen Deutschlands und bekommt dementsprechend mildere Temperaturen ab. Dadurch beginne der Pollenflug tendenziell früher als in anderen Regionen Deutschlands, erklärt Mülleneisen. Insbesondere das Rheinische Tiefland, das sich von Bonn bis Kleve erstreckt, sei oft früher und stärker vom Pollenflug betroffen.

Der Allergie-Experte macht auf eine weiteren, durch die Klimakrise bedingten Faktor aufmerksam: eingeschleppte Pflanzen, auf die Menschen allergisch reagieren können. „Die Ambrosie etwa gehört zu den sogenannten Neophyten. Das sind Pflanzen, die bewusst oder unbewusst vom Menschen in Gebiete eingeführt wurden, in denen sie natürlicherweise nicht vorkommen.“

In Australien nenne man sie auch „Asthma-Pflanze“, da sie bereits in sehr geringer Konzentration in der Luft Asthmaanfälle auslösen könne. Durch die globale Erwärmung kann die Pflanze hier mittlerweile gut gedeihen. Der Facharzt blickt sorgenvoll in die Zukunft: „Durch Ambrosien und andere eingeschleppte Pflanzen könnten wir erhebliche allergologische Probleme bekommen.“

Zahl der Allergiker steigt

Mehr als 15 Prozent der Menschen in Deutschland sind Pollenallergiker – Tendenz steigend. Grund dafür sei unter anderem, dass die Empfindlichkeit der Menschen gegenüber Allergenen zunehme. „Obwohl wir die gleichen Gene wie unsere Vorfahren vor hundert Jahren haben, gibt es heute mehr Allergiker“, sagt Mülleneisen.

Neben der erblichen Komponente erhöhen Umweltfaktoren wie eine zunehmende Feinstaubbelastung, ein verändertes Ernährungsverhalten, Tabakrauch und eine übertriebene Hygiene, aber auch psychische Faktoren wie Stress das Allergierisiko.

Wie eine Allergie entsteht

Eine Allergie entsteht, wenn der Körper mehrmals mit einem Allergen in Berührung kommt. Der erste Kontakt bleibt meist unbemerkt, da noch keine Symptome auftreten. In dieser Phase wird der Körper für ein spezifisches Allergen sensibilisiert, erklärt Mülleneisen, das heißt, er entwickelt eine Empfindlichkeit. Diese Sensibilisierungsphase kann von wenigen Tagen bis zu mehreren Jahren reichen, bevor Symptome bei erneutem Kontakt auftreten.

Bei wiederholtem Kontakt mit dem Allergen aktiviert das Immunsystem schnell alle verfügbaren Abwehrmechanismen, da es sich an das Allergen „erinnert“. Dies führt zu einer allergischen Reaktion, deren Ausprägung je nach betroffenem Organ stark variieren kann. Kinder und Jugendliche kämpfen aufgrund ihrer Entwicklung oft häufiger mit Allergien als Erwachsene. Im Laufe der Jahre können diese schwächer oder stärker werden, beides sei möglich, so Mülleneisen. Auch im höheren Alter können Menschen noch eine Allergie entwickeln.

Hyposensibilisierung bei Allergie und Heuschnupfen

Ein Allheilmittel gegen Allergien und Heuschnupfen gibt es nicht. Allerdings können Allergiker durch die Einnahme von Medikamenten, wie beispielsweise Antihistaminika, ihre Symptome mildern, sagt Mülleneisen.

Eine Hypersensibilisierung könne eine langfristige Lösung sein. Sie soll das Immunsystem an die Allergieauslöser, die Allergene, gewöhnen. Eine Behandlung dauere etwa drei Jahre, sagt der Experte. Das Ziel sei es, Symptome mittel- und langfristig zu verringern. „Im besten Fall für immer oder zumindest für die nächsten 10 bis 20 Jahre.“

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