Säure-Anschlag auf ManagerFestnahme erfolgte bei Kölner Ringerwettkampf

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Innogy-Finanzvorstand Bernhard Günther im März 2019 während der Bilanz-Pressekonferenz.

Innogy-Finanzvorstand Bernhard Günther im März 2019 während der Bilanz-Pressekonferenz.

  • Im Fall des Angriffs auf Innogy-Manager Bernhard Günther führten die Spuren zu einem Mann aus Serbien mit Kontakten in die Rocker-Szene.
  • Die Festnahme übernahm ein Spezialeinsatzkommando während eines Ringerwettkampfes in Köln, da der Tatverdächtige Mirco L. als höchst gefährlich eingestuft wird.
  • Ein weiterer Täter wird noch gesucht.

Köln – Der Tipp kam aus dem Ausland. Mirco L. (Name geändert), 32, fand sich am 18. Oktober bei einem Ringer-Event in Köln-Mülheim ein. Auf diesen Moment hatten die Ermittler in Düsseldorf und der Staatsanwaltschaft Wuppertal monatelang zugearbeitet.

Denn der bullige Schwergewichtler, der sich häufig in seiner serbischen Heimat aufhielt, soll für die Rocker-Organisation Hells Angels spezielle Aufträge durchgeführt haben. Im März 2018 soll er mit einem türkischen Komplizen das Säureattentat auf Bernhard Günther, 52, Finanzvorstand des Innogy-Energiekonzerns verübt haben.

Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus Polizeikreisen sollte der Anschlag dem Top-Manager der RWE-Tochter das Augenlicht nehmen. Zum Glück konnte sich Günther bei dem Angriff so wegdrehen, dass seine Sehkraft unbeschadet blieb; Teile seines Gesichts wurden verätzt.

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Blick auf den Fußweg, an dem Bernhard Günther am 4. März 2018 mit Säure übergossen und schwer verletzt worden war.

Blick auf den Fußweg, an dem Bernhard Günther am 4. März 2018 mit Säure übergossen und schwer verletzt worden war.

Da der Tatverdächtige Mirco L. als höchst gefährlich eingestuft wurde, übernahm ein Spezialeinsatzkommando die Festnahme nach dem verlorenen Ringkampf.  Seither sitzt der Beschuldigte in Untersuchungshaft und schweigt. Laut Staatsanwaltschaft sind tagelange weitere Durchsuchungsmaßnahmen erfolgt. Die Behörden fahnden nach weiteren Komplizen.

Steckt ein Rivale hinter dem Überfall?

Der Plot, der dahinterstecken soll, erinnert an eine TV-Soap voller Rachegefühle und Konkurrenzkämpfe in den Spitzen-Etagen der deutschen Wirtschaft. Wie das Nachrichtenmagazin Focus berichtet, soll ein Rivale aus der Strombranche den Auftrag für den Säure-Überfall erteilt haben. Sollten sich die Ermittlungen erhärten, so wäre es wohl der erste Fall in der deutschen Nachkriegsgeschichte, bei dem Neid unter Spitzenmanagern in brutale Gewalt gemündet wäre. Es ist der Morgen des 4. März 2018. Hinter Bernhard Günther liegen aufreibende zwei Jahre. Einst Finanzchef des Energie-Riesen RWE, baut der gelernte Volkswirt die grüne Strom-Sparte über die Marke Innogy auf. Gefördert wird der innovative Vordenker durch den RWE-Chef Peter Terium. Letzterer zieht erkennbar den gebürtigen Leverkusener anderen Spitzenkräften im Unternehmen vor. Das sorgt anscheinend für Unmut.

In kürzester Zeit bündelt Günther mit Innogy die Sparten erneuerbarer Energien, Vertrieb und Netze unter seinem Dach. Im Oktober 2016 bringt er das Unternehmen an die Börse. Mit großem Erfolg, die Aktien werden zu Höchstpreisen gehandelt. Terium und Günther entscheiden sich nach dem Börsengang, die Leitung des neuen Unternehmens zu übernehmen.

Mitte Dezember 2017 aber verprellt die Ökostromtochter mit einer Gewinnwarnung die Anleger. Die Aktie bricht um fast 20 Prozent ein, der Niederländer Terium muss gehen. Günther versucht das schlingernde Schiff wieder auf Kurs zu bringen.

Sonnenbrille und Stirnband

An jenem Märzmorgen startet der Manager seine übliche Joggingrunde von seiner Villa in Haan nahe Wuppertal aus. Auf dem Rückweg attackieren ihn zwei Männer. Einer wirft ihn zu Boden, ein zweiter schüttet ihm einen Liter hochkonzentrierte Schwefelsäure ins Gesicht. Günther überlebt schwerst verletzt. Er braucht zwei Monate, um wieder an die Arbeit gehen zu können. In der Zwischenzeit liegt ein Übernahmeangebot für Innogy durch den Energie-Wettbewerber Eon vor.

Zum ersten Mal tritt Günther im März 2019 – rund ein Jahr nach dem Angriff – bei einer Bilanzpressekonferenz wieder öffentlich auf. Die Folgen des brutalen Angriffs sind ihm noch anzusehen. Eine getönte Sonnenbrille und ein schwarzes Band um die Stirn verdecken die Anschlagsspuren. „Ich freue mich hier zu sein“, bekennt der 52-jährige Finanzchef. Das sei vor einem Jahr alles andere als klar gewesen.

Derweil suchen Kripo und Staatsanwaltschaft erfolglos nach den Tätern. Sogar einen Suchhund setzen sie ein, um die Spur der Gangster vom Tatort aufzunehmen. Zudem durchleuchtet die Sonderkommission alle möglichen Motivlagen. Das reicht von den persönlichen Verhältnissen bis hin zu Vermutungen, dass Braunkohlegegner aus dem Hambacher Forst den Anschlag verübt haben könnten. Im September 2018 wird die Akte vorerst geschlossen.

Derweil aber engagiert der Innogy-Konzern eine Privat-Detektei. Die Berliner Agentur, der Ex-Kriminalisten aus dem BKA und dem LKA angehören, rollen den Fall ganz von vorne auf. Auch lobt der Konzern im März 2019 80000 Euro für entscheidende Hinweise auf den Täter aus. Daraufhin meldet sich ein Informant, der die Fährte zu Mirco L. und einem türkischen Komplizen legt. Monatelang spüren die Privatermittler hinter den Verdächtigen her.

Privatdetektive ermitteln

Laut Focus arbeitet man hierbei eng mit serbischen Behörden zusammen. Die Nachforschungen führen unter anderem zu Rocker-Größen der Hells-Angels auf dem Balkan und in die Türkei. Demnach soll sich auf europäischer Ebene eine Führungsriege der Höllenengel zusammengefunden haben, die für derart heikle „Hits“ ihre Männer zur Verfügung stellen. Mirco L. soll einer jener Leute sein, die für diese Ebene Operationen übernimmt. In Köln hat der muskelbepackte 100-Kilo-Athlet zeitweilig auch als Türsteher gearbeitet. Die hiesigen Ermittlungsbehörden werden über die neuen Erkenntnisse informiert, die Ermittlungsakte öffnet sich erneut.

Die Jagd nach den Tatverdächtigen gleicht einem Katz-und-Maus-Spiel. Angreifer Nummer 2, ein Türke, der die Säure auf den Innogy-Manager geschüttet haben soll, bleibt bis heute unauffindbar. Mirco L., der das Opfer an jenem Märztag 2018 mit seinen Bärenkräften mühelos zu Boden gebracht haben soll, reist oft in seine serbische Heimat. Dort ist es schwer an ihn heranzukommen, ohne dass er durch Zuträger aus Sicherheitsbehörden gewarnt würde. Zugleich erreichen die deutschen Behörden alarmierende Nachrichten, dass die Zielperson sich womöglich endgültig absetzen wolle.

In Köln verhaftet

Umso mehr konzentrieren sich die Strafverfolger auf L.s Kontakte ins Rheinland. Hier gilt er als erfolgreicher Punktelieferant für einen Kölner Ringerklub. Auch seine Familie lebt in Deutschland. Am Ende taucht der Beschuldigte dann doch wieder bei einem Ringer-Event auf. Eigentlich hätte Mirco L. an jenem 18. Oktober für seinen Klub in der Schwergewichtsklasse einen Sieg herausholen sollen. Nicht nur dass der Kämpfer seine Niederlage verschmerzen musste, anschließend wanderte er in Untersuchungshaft. Seine Ringer-Karriere scheint damit vorerst beendet.

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