Streit der WocheSind Gottesdienste in der Corona-Krise wirklich nötig?

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Der Kölner Dom ist derzeit fast gespenstisch leer – nur Beten ist wegen der Corona-Pandemie erlaubt.

  • Bund und Länder haben nach Interventionen der Katholischen Kirche am Freitag eine Lockerung des Gottesdienstverbots in Aussicht gestellt – obwohl viele Kirchgänger im Seniorenalter sind.
  • Gegen die Vernunft, findet Sarah Brasack. Denn um die ältere Risikogruppe zu schützen, nähmen andere weitreichende Opfer in Kauf.
  • Christ sein ohne Gemeinde, entgegnet der Katholik Joachim Frank, ist wie Fußballspielen ohne Mannschaft.
  • Unser Streit der Woche.

Contra: „Jeder kann zu Gott sprechen – in den eigenen vier Wänden”

von Sarah Brasack

Stellen Sie sich vor, der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga gäbe in einer Pressemitteilung bekannt, die Schließung von Restaurants sei für alle Menschen, die gerne essen gehen, nur schwer zu ertragen – darum müssten sie trotz der Corona-Pandemie schnellstmöglich wieder ihre Türen öffnen. Würden Sie dieses Argument akzeptieren? Wohl kaum.

Auch wenn der eine oder andere den Vergleich empörend finden mag: Die katholische Kirche argumentiert ähnlich – und das gegen die gebotene Vernunft. „Das Verbot öffentlicher gemeinsamer Gottesdienste greift tief in das Recht der freien Religionsausübung ein und war insbesondere während der Kar- und Ostergottesdienste für viele Gläubige nur schwer zu ertragen“, heißt es vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Kardinal Rainer Woelki intervenierte sogleich, als Bund und Lände die Kirchen nicht in ihre Pandemie-Lockerungs-Pläne einschlossen.

Alles zum Thema Rainer Maria Woelki

Mit Verlaub: Woher weiß die Kirche eigentlich so genau, dass viele Gläubige die Absage von Gottesdiensten „nur schwer ertragen“ konnten und können? Wäre nicht eher anzunehmen, dass die allermeisten großes Verständnis für diese vorübergehende Schutz-Maßnahme haben? 

Einspruch auch in anderer Sache: Das Recht auf freie Religionsausübung bleibt niemandem verwehrt. Glauben und Beten sind ja nicht verboten. Der Kölner Dom und andere Kirchen bleiben geöffnet zum Gebet. Fakt ist aber nun mal, dass vor allem ältere Menschen, die zur Risikogruppe gehören, in Gottesdienste gehen. Sie zu schützen ist derzeit oberstes Gebot. Es ist nicht nachvollziehbar, dass Eltern unter Aufbringung großer persönlicher und auch wirtschaftlicher Opfer wegen der Kinderbetreuung zu Hause bleiben müssen, Restaurant-, Laden- und Clubbesitzer schlaflose Nächte haben, für die Kirche aber Ausnahmen gemacht werden. Ihre wirtschaftliche Existenz hängt nicht von Gottesdiensten ab, die Steuern sprudeln weiter. Vor allem aber, und dieses Argument wiegt deutlich schwerer, haben die Seelsorger viele andere Möglichkeiten, ihren Gemeinden nahe zu sein.

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Damit sind längst nicht nur Übertragungen von Gottesdiensten im Internet gemeint, sondern auch andere Formen spiritueller Betreuung, etwa am Telefon, sowie karitative Angebote, die derzeit möglichst ausgebaut werden sollten. Gottesdienste aus Anlass von Beerdigungen sind die einzigen, die sich nicht aufschieben lassen: Für sie sollten, wenn überhaupt, strenge Ausnahmen erlaubt sein. Der Sonntagsgottesdienst kann warten.

Die katholischen Bischöfe hätten besser daran getan, sich an der evangelischen Kirche zu orientieren. Die hat mit ihrer Zurückhaltung auch ein Signal des Verständnisses für die Sorgen gegeben, die für die Politiker an erster Stelle stehen. Sie müssen Schutzanzüge für Krankenhäuser besorgen, Nothilfeprogramme für die Wirtschaft stricken, Angebote für Opfer häuslicher Gewalt schaffen, den Schulunterricht in Gang bringen. Einstweilen kann jeder zu Gott sprechen, wenn es ihm hilft. In den eigenen vier Wänden oder in der Kirche. Nur nicht im Gottesdienst.

„Pro: Kirchen sind Zufluchtsorte für Menschen”

von Joachim Frank

In der Corona-Krise kamen Kirchenleute auf allerlei seltsame Gedanken: Auf Ein-Mann-Prozessionen wurde der „Leib Christi“, die geweihte Hostie, in einer Monstranz durch die Straßen getragen. In Bonn ersann der stets smarte Stadtdechant Wolfgang Picken eine „Seelenspeisung“, bei der er die Kommunion „To Go“ austeilen wollte. Redliche Hirten brannten Predigten auf CDs, um sie unter die Leute zu bringen. All das sind untaugliche Versuche, eine gähnende Leerstelle zu überspielen: den Ausfall aller Gottesdienste mit Gemeindebeteiligung.

Dass es damit sogar am Hochfest Ostern verhältnismäßig gut ging, lässt sich auf zweierlei Weise interpretieren: Den Katholiken und Protestanten selber ist es überwiegend egal, ob in den Kirchen Gottesdienste gefeiert werden oder nicht. Die andere: Auch diejenigen, denen an der gemeinsamen Feier ihres Glaubens liegt, haben die Notwendigkeit der weitgehenden Kontaktverbote anerkannt. Kirchenfasten als Ausdruck mitbürgerlicher Solidarität, in christlicher Terminologie: Nächstenliebe.

Wenn Kirchenvertreter nun, für die Phase des gelockerten Lockdown, die Zulassung öffentlicher Gottesdienste reklamieren, dann haben sie die Nächstenliebe nicht etwa vergessen. Vielmehr erinnern sie den Staat an sein Versprechen, Grundrechte nur so weit und so lange zu beschränken, wie unbedingt nötig. Die Versammlung zum Gottesdienst ist Teil der Freiheit zur Religionsausübung. Deren Beschränkung hat das Bundesverfassungsgericht in einem Eilurteil vom Karsamstag unter doppelten Vorbehalt gestellt: die Befristung und die Verhältnismäßigkeit. Diese ist nicht mehr gegeben, wenn nicht nur Ladenlokale, sondern auch eine Reihe kultureller Einrichtungen wieder für den Publikumsverkehr geöffnet werden. Der Staat mag heute Kirchen als Museen ansehen, als eine spezielle Art von Archiven oder – vollends despektierlich – als zoologische Gärten des lieben Gottes. Er darf sie aber nicht anders behandeln. Besonders deutlich wird das Missverhältnis, wenn man bedenkt, dass selbst Trauergottesdienste untersagt sind, obwohl sie Angehörigen gerade jetzt die Möglichkeit gäben, ihrer Klage eine Fassung und dem Abschied eine Form zu geben.

Laut einer Umfrage der Zeitung „Tagespost“ wünschen sich zwar nur zwölf Prozent aller Deutschen die sofortige Wiederaufnahme der öffentlichen Gottesdienste. Unter den Katholiken liegt der Anteil bei 15 Prozent. Das klingt wenig – aber es entspricht recht genau der Gruppe derjenigen, die auch sonst regelmäßig oder gelegentlich zur Kirche gehen. In einer Stadt wie Münster können sie zwar samstags auf dem zentral gelegenen Domplatz den Wochenmarkt besuchen, vom Ordnungsamt immer wieder zur Einhaltung der Abstandsregeln gemahnt. Tags darauf aber sollen sie die Kathedrale daneben nicht betreten dürfen, um dort einen Gottesdienst mitzufeiern. Dass Hygiene und Virenschutz streng zu gewährleisten sind, ist eine selbstverständliche Voraussetzung. Die Bischöfe haben dafür aber bereits einen peniblen und praktikablen Maßnahmenkatalog zusammengestellt.

Kirchen waren und sind Zufluchtsorte für Menschen in ihren Ängsten und Nöten. Die Feier des Gottesdienstes in der Kirche ist – in Krisenzeiten zumal – eine Vergewisserung, „gemeinsam einsam“ und damit nicht allein zu sein. Dies sollte denen, die danach suchen, nicht länger genommen werden.

Joachim Frank

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