Terror-GefährderWie der Kölner Hakan S. einst zum Bombenbauer wurde
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Beim SEK-Einsatz 2016 wurde der junge Syrer in einem Kölner Flüchtlingsheim festgenommen.
Copyright: Thomas Banneyer
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Köln – Wenn in Nordrhein-Westfalen jemand als Gefährder eingestuft wird, dann ist eine Abschiebung oft gar nicht so einfach. Stattdessen muss er aufwendig und rund um die Uhr bewacht werden. Manchmal wendet sich das Blatt in der Zwischenzeit aber auch zum Guten. So wie bei Hakan S. aus Köln. Der 16-Jährige sammelte Teile zum Bauen einer Bombe. Nach einer Haftstrafe half ihm eine Therapie, sich vom Extremismus zu lösen.
Der Sprengstoffinstrukteur beginnt seinen Vortrag blumig: Über gefüllte Körper werde man sprechen, um den Gotteskriegern der Mudschaheddin zu helfen. Ganz direkt wird seine Rede aber am 19. August 2016 im Chat bei Telegram: An diesem Tag gehe es um „die Personenbombe und Bomben gegen Personen“, schreibt der Lehrer. Der gefüllte Körper müsse aus einem Metallzylinder bestehen. „Die Welle der Explosion laufe immer in die Gegenrichtung des Zünders“, deswegen werde dieser hinten angebracht. Es folgt die Beschreibung zum Bau einer selbstgebastelten Bombe bis hin zum Sprengstoff und einer Füllung „aus metallischen Spänen/Nägeln oder aus metallischen Kugeln.“
Zu den Schülern in dem geschlossenen Dschihadisten-Forum zählte der 16 Jahre alte syrische Kriegsflüchtling Hakan S. (Name geändert) in Köln. Innerhalb weniger Monate radikalisierten ihn IS-Agitatoren über soziale Netzwerke. Am 18. September schließlich soll ihm ein Mentor namens „Bilal“ den Auftrag erteilt haben: „Stelle Bomben her und lass sie bei Euch explodieren... Wirf sie in den Müll in ihren Versammlungshäusern.“ Hakan S. gehorchte. Er trug Teile für den Bombenbau zusammen; dann wurde er von einem Spezialeinsatzkommando in einem Flüchtlingsheim festgenommen.
Ermittler: Ersten islamistischen Anschlag in Köln verhindert
Das Jugendschöffengericht verurteilte S. im April 2017 zu zwei Jahren ohne Bewährung. Das Landgericht ging davon aus, dass die Anschlagspläne noch nicht weit gediehen waren. Was sich als Irrtum herausstellen sollte. Im Gefängnis offenbarte der junge Mann seine wahren Absichten. Sinngemäß gestand der Häftling: Hättet ihr mich nicht geschnappt, hätte ich es getan. Die Staatsschützer sind davon überzeugt, den ersten islamistischen Anschlag in Köln vereitelt zu haben.
Hakan S. musste die volle Haftstrafe verbüßen. Im Gefängnis hatte er Wärter angegriffen, außerdem entdeckte man radikal-islamistische Sprüche an den Wänden seiner Zelle. 2019 sollte er entlassen werden. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Kölner Polizei den Fanatiker längst als „Gefährder“ eingestuft. Das heißt: Von Hakan S. könnte eine potenzielle terroristische Bedrohung ausgehen. So wie bei etwa weiteren islamistischen Extremisten im Kölner Polizeisprengel, der vom oberbergischen Kreis bis nach Aachen reicht. Ihre Zahl liegt im mittleren zweistelligen Bereich, heißt es aus Ermittlerkreisen.
Gefährder wie Hakan S. werden engmaschig überwacht: Elektronische Fußfessel, Telefon- und Videoüberwachung, Aufenthaltsbeschränkung auf einen Bezirk in Köln. Nachdem der 18-Jährige Syrer freikam, wurde er also durchgehend beobachtet. Im Fachjargon spricht man von einer 24/7 – einer Rund-um-die-Uhr-Observation. Der Staatschutz will im Auge haben, ob die Zielperson erneut in die radikal-islamische Salafisten-Szene abdriftet. Ein hoher Aufwand, für den 20 bis 30 speziell geschulte Einsatzkräfte erforderlich sind.
Viele Islamisten kommen frei
Mit Sorge beobachtet Kölns Kriminaldirektor Michael Esser, dass „die Zahl der Haftentlassungen verurteilter islamistischer Terroristen zunimmt“. Bereits vor der Freilassung prüfen die Beamten in Fallkonferenzen, wie sich der Delinquent im Gefängnis verhalten hat. Radikalisierte er sich weiter oder nahm der Häftling an einem Aussteigerprogramm teil? Wurden gewaltsame oder anderweitige Zwischenfälle aktenkundig? „Wenn diese Personen dann rauskommen, müssen wir überprüfen, ob es sich weiterhin um Menschen handelt, von denen eine terroristische Gefahr ausgeht“, erläutert Esser.
Hakan S. ist das typische Beispiel für den enormen Aufwand, den die deutschen Staatsschützer betreiben müssen, um bundesweit 531 Gefährder im Auge zu behalten. Nahezu jeder dritte stammt aus NRW. Für jeden Einzelnen finden turnusmäßig Sicherheitskonferenzen mit Verfassungsschützern, JVA-Beamten, Sozialarbeitern oder Bewährungshelfern statt, um ihre Entwicklung eng zu begleiten.
Abschiebung oft nicht möglich
Der Aufwand ist enorm und kostenintensiv. Die Sicherheits-Behörden nehmen das in Kauf, um eine weitere Terrorattacke wie die des tunesischen Islamisten Anis Amri 2016 in Berlin mit elf Toten zu verhindern. Illusionen wollen sich die Experten etwa im Kölner Präsidium allerdings nicht hingeben: „Wir können die Leute noch so gut überwachen, das heißt aber noch nicht, dass wir jeden Anschlag verhindern werden.“
Den Gefährder abzuschieben, um die Gefahr zu bannen, ist oft nicht möglich. Auch für Hakan S. als Syrer. Seit 2018 hat NRW 80 Islamisten aus dem Land gebracht. „Aktuell bestehen allerdings für einen großen Anteil des zur Abschiebung in Frage kommenden Personenkreises aufgrund der Herkunft aus Syrien, Afghanistan und der Russischen Föderation Abschiebehindernisse“, teilt das NRW-Innenministerium auf Anfrage dieser Zeitung mit.
Zeitliche Verzögerungen wegen vermeintlicher Kleinigkeiten
Außerdem scheitert das Unterfangen demnach oft an vermeintlichen Kleinigkeiten, nämlich „fehlenden Reisedokumenten aus dem Herkunftsland“. Auch sei es äußerst schwierig, bei den entsprechenden Botschaften Passersatzpapieren zu erlangen. „Aufgrund dieser Problematik entstehen insbesondere zeitliche Verzögerungen, die dazu führen können, dass der Betroffene seinen Aufenthaltsstatus in Deutschland sozial verfestigt und seine familiären Bindungen vertieft.“ In diesen Fällen bestehe immer die Möglichkeit, dass sich „die Gefahrenlage hinsichtlich terroristischer Handlungen durch den Gefährder erhöht und Straftaten in diesem Bereich unmittelbar bevorstehen können“.
Der Fall von Hakan S. scheint sich indes zum Guten zu wenden. In einem neuen Projekt mit der Stadt Köln haben die Staatsschützer für den jungen Syrer ein spezielles Hilfspaket entwickelt. In der JVA hatte sich gezeigt, dass er unter einer Psychose litt, S. erhielt therapeutische Hilfe, aber auch Unterstützung für einen Neuanfang, die Stadt organisierte ihm eine Wohnung.
„Wir arbeiten an einem Konzept, um auch bei anderen Gefährdern mit Hilfe der Stadt Köln und anderen Kommunen ähnliche, erfolgversprechende Maßnahmen durchzuführen“, sagt Kriminaldirektor Esser. Kontakte in die Islamistenszene oder das Chatten auf entsprechenden Seiten habe Hakan S. nach Aussage seiner Überwacher eingestellt. Bleibt Hakan S. weiter auf diesem Weg, dürfte er über kurz oder lang aus der Gefährder-Datei fallen.