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Umstrittene KandidatinWahl von Verfassungsrichtern wird zum Krimi

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Frauke Brosius-Gersdorf, Juristin, stellt den Abschlussbericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin vor.

Frauke Brosius-Gersdorf soll neue Richterin am Bundesverfassungsgericht werden. Doch ihre Person gilt als umstritten.

Am Freitag sollen drei neue Richterinnen und Richter für das Bundesverfassungsgericht gewählt werden: Günter Spinner, Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold. Doch ob das gelingt, ist unklar. Vor allem Brosius-Gersorf ist umstritten.

Bei der Union, so viel ist klar, ist Feuer unterm Dach. Die Abgeordneten von CDU und CSU kommen am Freitag, dem letzten Sitzungstag des Bundestages vor der Sommerpause, zu einer Sondersitzung zusammen, morgens um acht Uhr. Der Grund: Die am Vormittag anstehende Wahl von zwei Frauen und einem Mann zu Richtern am Bundesverfassungsgericht. Dort muss eine Entscheidung her.

Kandidat der Union ist der bisherige Richter am Bundesarbeitsgericht, Günter Spinner. Die SPD schlägt die Jura-Professorinnen Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold vor. Dabei gibt es in mindestens zwei Fällen Probleme. Denn sowohl im Fall Spinner als auch im Fall Brosius-Gersdorf ist ungewiss, ob sie mit einer Mehrheit rechnen können – und wenn ja, woher diese Mehrheit kommt.

Mehrheit entweder mit Grünen und Linken – oder mit der AfD

Das kleinere Problem scheint aus Unionssicht noch der Fall Spinner zu sein. Er gilt im Prinzip allen als wählbar – anders als der vorherige Kandidat Robert Seegmüller. Der Richter am Bundesverwaltungsgericht vertritt sehr migrationskritische Positionen – und scheiterte deshalb am Widerstand der Grünen. Freilich braucht Spinner wie alle anderen Kandidaten für das höchste deutsche Gericht im Parlament eine Zweidrittelmehrheit. Die haben CDU, CSU und SPD lediglich gemeinsam mit Grünen und Linken – oder mit der AfD.

Die Linke besteht seit einiger Zeit darauf, dass die Union vor der Abstimmung das Gespräch mit ihr sucht. Die aber lehnt ein solches Gespräch ab. Wenn Spinner am Freitag eine Mehrheit bekommt, dann nach jetzigem Stand also wohl allein mit der AfD, die für ihn votieren möchte. Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Clara Bünger, sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) entsprechend: „Die Union hat hier ein Problem, die Geister, die sie selber rief, wird sie nun nicht mehr los.“ Und sie fügte hinzu: „Ich hoffe, dass sie sich endlich für eine demokratische Mehrheit für alle Kandidatinnen und Kandidaten einsetzen wird und nicht mit den Stimmen der AfD kalkuliert.“

Brosius-Gersdorf koordinierte Kommission zur Reform des Abtreibungsrechts

Das größere Problem haben CDU und CSU mit Brosius-Gersdorf. Sie war in der vergangenen Legislaturperiode stellvertretende Koordinatorin einer von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zur Reform des Abtreibungsrechts und sieht gute Gründe dafür, dass die volle Menschenwürde erst ab der Geburt gilt. Das ruft Kritiker aus katholischen Kreisen und der Union auf den Plan.

Auch die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter-Karp, meldete sich zu Wort. Sie sagte dem RND: „Dass eine Kandidatin für das Amt der Bundesverfassungsrichterin öffentlich erklärt, es gebe ‚gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt‘, beunruhigt mich sehr. Ich würde sie aufgrund dieser Position nicht wählen können.“ Stetter-Karp fuhr fort: „Vor dieser Entscheidung wird mir nochmals bewusst, wie dankbar ich dafür bin, dass der Schutz des menschlichen Lebens in unserem Grundgesetz verankert ist. Denn menschliches Leben ist Leben von Anfang an! Es ist inakzeptabel, ihm in seinen neun Monaten im Mutterleib keine Menschenwürde zuzusprechen. Der Mensch ist Mensch, sobald er lebt – und das tut er bereits vor seiner Geburt.“

CSU-Politiker nennt Brosius-Gersdorf „eine respektable Kandidatin der SPD“

Zwar setzte Kanzler Friedrich Merz (CDU) bis zuletzt darauf, dass es bei der Abstimmung über die drei Kandidaten jeweils eine Mehrheit geben wird. CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann erklärte, Brosius-Gersdorf sei „eine respektable Kandidatin der SPD – und ganz sicher keine linksradikale Aktivistin“. Sie habe in verschiedenen juristischen Schriften klargestellt, dass das Grundrecht auf Leben bereits dem Embryo zustehe. In der Fraktion gebe es jedoch „unterschiedliche Meinungen“ über die Juraprofessorin, verlautet von dort. Das habe man in der regulären Fraktionssitzung am Montag deutlich gesehen.

Die AfD will das offensichtlich ausnutzen, unterstützt von rechtsorientierten Medien wie „Nius“ oder der „Neuen Zürcher Zeitung“. Für die in Teilen rechtsextreme Partei ist die Kandidatin außerdem ein rotes Tuch, weil sie während der Corona-Pandemie eine positive Haltung zu einer Impfpflicht eingenommen hatte. Der AfD hilft jetzt, dass Merz am Mittwoch ein Missgeschick unterlief. So richtete sich die stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Beatrix von Storch, in der Fragestunde des Bundestages an ihn und wollte wissen, „ob Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren können, Frau Brosius- Gersdorf zu wählen, für die die Würde eines Menschen nicht gilt, wenn er nicht geboren ist?“ Der Kanzler antwortete mit einem Wort: „Ja.“ Damit gab er der Lesart der Kritiker ungewollt recht.

CDU und CSU stecken in einer heiklen Zwickmühle

CDU und CSU stecken also in einer äußerst heiklen Zwickmühle. Wird Brosius-Gersorf gewählt, dann zum Verdruss vieler eigener Abgeordneter und Anhänger. Wird sie nicht gewählt, wäre es ein schwerer Affront gegenüber dem Koalitionspartner SPD.

Merz ruderte am Donnerstag ein Stück zurück. Er sagte bei einem Besuch in Rom, man werde über das Thema in der Fraktion nochmal sprechen und versuchen, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Für Brosius-Gersdorf klingt das eher nicht so gut.