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Verhandlungen beim EU-GipfelDie Türkei als Europas Flüchtlingscamp

Lesezeit 3 Minuten
Flüchtlingscamp Türkei

Das Oncupinar-Kilis-Flüchtlingscamp in Kilis (Türkei) nahe der syrischen Grenze.

  1. Der türkische Premier Davutoglu überrascht den EU-Gipfel mit einem umfassendem Plan zur Flüchtlingspolitik.
  2. Sein Land will alle Migranten zurückholen, die illegal nach Griechenland reisen.
  3. Bundeskanzlerin Merkel streitet sich währenddessen über die Balkan-Route.

Brüssel – Die Türkei hat den Europäern völlig überraschend einen neuen Pakt zum Entschärfen der zugespitzten Flüchtlingskrise vorgeschlagen. Für ein Entgegenkommen bei der Rücknahme von Flüchtlingen verlangte das EU-Beitrittskandidatenland am Montag beim EU-Sondergipfel in Brüssel zusätzlich zu den bereits vereinbarten drei Milliarden Euro noch einmal die gleiche Summe.

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagte, das Ziel des neuen Vorschlags sei, „Leben von Flüchtlingen zu retten und diejenigen zu entmutigen, die die verzweifelte Lage der Flüchtlingen missbrauchen und ausnutzen wollen“. Im Gegenzug könnte die EU künftig alle illegal einreisenden Migranten wieder in die Türkei zurückschicken –  also nicht nur Wirtschaftsflüchtlinge, sondern auch Syrer.

Flüchtlingen soll so der Anreiz genommen werden, sich Schlepperbanden anzuvertrauen. Damit die Türkei mit der Last nicht alleine bleibt, will sie aber für jeden zurückgebrachten Migranten einen auf legalem Weg in die EU schicken. Diplomaten sprachen von der „Eins-zu-eins“-Formel.

2,7 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei

Bei den Visa-Erleichterungen war ein Inkrafttreten im Juni im Gespräch. Sie sollten eigentlich frühestens im Oktober kommen. Und Ankara drängt zudem auf die Eröffnung weiterer Kapitel in den Beitrittsverhandlungen, was der EU mit Blick auf Ankaras hartes Durchgreifen gegen unliebsame Medien und Journalisten gerade besonders schwer fällt. Die EU hatte der Türkei bereits im November drei Milliarden Euro zur besseren Versorgung syrischer Flüchtlinge im Land zugesagt. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen leben heute 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei – und es werden monatlich mehr.Über Vereinbarungen mit der Regierung in Ankara will die EU den unkontrollierten Zustrom von Flüchtlingen in Richtung Westeuropa eindämmen.

Über die Türkei kommen derzeit die meisten Flüchtlinge nach Griechenland und von dort aus über die Balkan-Staaten in Länder wie Deutschland. Wegen Grenzkontrollen, unter anderem in Mazedonien, passierten zuletzt jedoch weniger Menschen diesen Weg.In Griechenland strandeten Zehntausende Menschen. Offen blieb zunächst, ob sich einige EU-Staaten bereiterklären, der Türkei eine bestimmte Zahl an Flüchtlingen abzunehmen. Ankara poche auf eine solche Kontingentlösung, hieß es.

Selten erhielt Merkel so viel Widerspruch

Kanzlerin Angela Merkel hatte zuvor eine Sache deutlich dargestellt:   „Bei der Frage, wie können wir erreichen, dass sich die Zahl der Flüchtlinge nicht nur für einige wenige Länder verringert, sondern für alle – inklusive Griechenland – kann es nicht darum gehen, dass irgendwas geschlossen wird.“ Kurz darauf fuhr Österreichs Kanzler Werner Faymann in Brüssel vor.  Er erklärte kategorisch: „Diese Route bleibt geschlossen.“

Die Route, von der Faymann sprach, ist der Weg der Flüchtlinge über den Westbalkan nach Norden. Österreich hatte die Route auf einer Konferenz mit neun Balkanstaaten im Februar im Alleingang dicht gemacht. Zum Missfallen der Kanzlerin. Am Montag ergänzte Merkel: Die EU müsse „für alle Länder Fortschritte erreichen, nicht nur für einige durch unilaterale Maßnahmen“. Selten hatte die Kanzlerin auf der Brüsseler Bühne offen so konfrontativ Stellung bezogen. Und selten erhielt sie so offen Widerspruch. Von Faymann. Und auch von Frankreichs Präsident Hollande. „Die Route ist geschlossen“, sagte Hollande. So ähnlich stand es auch im Entwurf zur Gipfelerklärung.Aber Kanzlerin Angela Merkel wollte diesen Satz streichen. Ebenso wie Kommissionschef Jean-Claude Juncker, Merkels letzter Verbündeter. (mit dpa, afp)

Die türkischen Forderungen im Überblick

Die auf dem EU-Gipfel unterbreiteten türkischen Vorschläge in Stichpunkten:
Geld: Die Türkei verlangt von der EU zusätzliche drei Milliarden Euro für die Versorgung von Flüchtlingen. Die ersten drei Milliarden Euro hat die EU der Türkei bereits bis Ende 2017 in Aussicht gestellt.
Reiseerleichterungen: Türkische Bürger sollen ab Ende Juni ohne Visum in die Staaten des Schengen-Raums reisen können. Bisher ist dies für Oktober vorgesehen.
EU-Beitrittsverhandlungen: Die EU soll die Eröffnung neuer „Kapitel“ in den Beitrittsgesprächen mit der Türkei vorbereiten. Während der Verhandlungen müssen EU-Kandidaten sich in allen Kapiteln an europäische Standards annähern. Die Türkei ist seit 1997 ein Kandidatenland. (dpa)