Streit der Woche zu HomeofficeHört auf, Leistung anhand abgesessener Zeit zu messen!

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„Long Homid“ – Homeoffice als Dauerzustand wird für viele zur Belastung.

  • Das Coronavirus zwingt uns zu etwas, das für viele Firmen lange als unmöglich galt: Büroarbeit von zu Hause erledigen.
  • Sollten wir auch nach der Krise daran festhalten? Oder macht das alles doch zu kompliziert?
  • Claudia Lehnen, 41, ist Ressortleiterin NRW und Wochenende, und während sie diesen Text schrieb, kam alle fünf Minuten ein Kind rein. Dennoch ist sie eine Befürworterin.
  • Jonah Lemm, 23, Redakteur im Ressort NRW/Story, braucht einen klar abgegrenzten Raum für seine Arbeit. Und der ist nicht zuhause.

Unser Streit der Woche: Ist Homeoffice auch nach Corona sinnvoll?

Pro: Wir sollten aufhören, Arbeitsleistung anhand abgesessener Zeit zu messen

von Claudia Lehnen

Haben Sie schonmal ein paar Petunien in Ihren Balkonkasten gepflanzt und dabei darüber nachgedacht, wie Sie die neue Software in Ihrer Firma am besten ans Laufen kriegen? Oder kam Ihnen mit den Händen im Apfelkuchenteig ganz plötzlich die Lösung für ein logistisches Problem beim Anliefern Ihrer Waren in den Sinn? Ich bin fast sicher, Sie kennen das. Denn: Unser Gehirn hält sich nicht an Arbeitszeiten. Im Gegenteil. Die kreativsten Einfälle hat es immer dann, wenn es gerade in anderen Erlebnissen steckt. Weil Kreativität eigentlich immer dann entsteht, wenn man den Blick weitet, vom Problem weggeht, woanders hinguckt, Ideen von dem einen auf den anderen Lebensbereich überträgt.

Erwerbsarbeit und privates Leben zu verknüpfen, fördert deshalb die Effizienz – das hat zuletzt eine Forbes-Studie ergeben. Die Sorgen von Arbeitgebern, ihre Mitarbeiter könnten im Homeoffice nur spazieren gehen und sich die Fußnägel lackieren, ist unbegründet. Vielleicht tun sie das. Es macht ihre Arbeitsergebnisse aber nicht schlechter. Im Gegenteil. Wer die Möglichkeit hat, zu Hause zu arbeiten, saugt vielleicht mittags mal die Wohnung oder backt den Kindern ein paar Pfannkuchen. Dafür arbeitet er den Rest der Zeit aber auch effektiver und hängt abends auch noch einmal die ein oder andere Stunde kreative Arbeit dran – und sei es beim Apfelkuchenbacken.

Weltwirtschaft bricht nicht zusammen

Das nur zur Beruhigung für diejenigen, die meinen, die Weltwirtschaft würde zusammenbrechen, wenn Arbeitgeber nicht jeden Arbeitsschritt ihrer Mitarbeiter überwachen können. Jetzt aber zu einer viel wichtigeren Sache: Erwerbsarbeit nimmt einen großen Teil unseres Lebens ein. Sie sollte deshalb auch ein wirklicher Teil unseres Lebens sein, verwoben werden mit und nicht abgeschottet werden von dem, was uns als Individuen wirklich ausmacht.

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Natürlich können wir nicht gleichzeitig vier Kleinkinder betreuen und konzentriert sagen wir als Architektin an der Planung eines Mehrfamilienhauses arbeiten. Das führt gerade in diesen Tagen der Coronakrise viele Familien an die Grenze der Belastbarkeit. Aber wenn die Kitas und Schulen irgendwann wieder geöffnet haben, was spricht dagegen, mit den Kindern zu essen, wenn sie aus der Schule kommen? Sich einmal erzählen lassen, warum Mathe das schrecklichste Fach der Welt ist. Der Tochter nachmittags zu erklären, was der Unterschied zwischen Steuerschuldner und Steuerträger ist. Eine Runde Yoga zu turnen. Dabei auf neue Gedanken zu kommen. Wir sollten überhaupt aufhören, Arbeitsleistung anhand abgesessener Zeit zu messen. Sondern an erbrachten Ergebnissen.

Für Eltern wäre regelmäßiges Homeoffice zudem eine gute Gelegenheit, sich Erwerbs-, Erziehungs- und Hausarbeit endlich wirklich partnerschaftlich zu teilen und ungerechte Rollenmuster mal geradezurücken. Dann wäre für Kinderfragen wie: „Hast du meine Jeans gewaschen“ oder „Wo ist mein Glätteisen?“ und das Einräumen der Spülmaschine eben immer derjenige zuständig, der gerade zu Hause arbeitet.

Ich bin sehr zuversichtlich: Genauso wie die erfolgreiche Managerin hätte auch der erfolgreiche Manager an Homeofficetagen Zeit genug, um Bolognese für die Kinder zu kochen oder die Wäsche aufzuhängen. An wichtigen Manager-Aufgaben knobeln könnte er ja parallel zum Möhrenschnippeln und Betttücherfalten.

Contra: Arbeit ist woanders und nicht zuhause!

von Jonah Lemm

Dass Sie diesen Satz hier lesen können, liegt daran, dass ich, während ich  ihn schreibe, an meinem Schreibtisch in der Redaktion sitze, auch in diesen Krisenzeiten. Säße ich  zu Hause, wie der Großteil der Kollegen in diesen Tagen vernünftigerweise, diese Zeitungsspalte wäre wahrscheinlich weiß und leer. Stattdessen könnte ich Ihnen dann aber die „Cuna“ von Frederic Mompou vorspielen, die ich   im Moment auf dem Klavier übe. Ich könnte Ihnen wohl auch sagen, wie das Buch ausgeht, das  ich gestern anfing zu lesen. Danach würden wir uns auf  meinen gekehrten Balkon setzen  und eine Tasse Kaffee trinken, für mich wäre es in etwa die achte an diesem Tag. Ach, Sie brauchen Milch dazu? Kein Problem, habe ich noch da, gerade beim Kühlschrankputzen gesehen.  Oh, schon 15 Uhr. Ich zieh’ dann auch mal eben schnell den Pyjama aus. 

Es ist eigentlich absurd, denke ich in diesen Tagen, dass in dem Wort „Betrieb“ der „Trieb“ steckt, ist doch das tatsächliche, das physische zur Arbeit-Gehen für mich gerade das Gegenteil davon, nämlich  die Überwindung meiner  natürlichen Grundbedürfnisse  nach Aufschieben und Faulenzen.

Ich brauche für alles länger

Immer wieder bin ich gar verblüfft, wenn Menschen mir erzählen, sie schafften zu Hause viel  mehr als im Büro. An einem Ort, der mir weder Struktur noch Anreiz zur Arbeit gibt, an dem jedes Sitzpolster und jede Zeitungsseite mir entgegen schreit: „Vertrödel deine Zeit mit mir!“ Ein Ort, an dem ich darauf konditioniert bin, mich wohlzufühlen. Jetzt nicht falsch verstehen: Natürlich fühle ich mich auch in meinem Job wohl, ich mache ihn sehr gern. Nur eben nicht 24/7 und eben nur dort, wo die perfekte  Infrastruktur dafür – und nur die –   zur Verfügung steht: Ein PC, ein Stuhl, ein Telefon. Sonst nichts. Auf das Wesentliche, davon bin ich überzeugt, kann sich nur der konzentrieren, der  auch sein Umfeld darauf reduziert. Sonst wird es chaotisch und zäh, für einen selbst und für alle anderen auch.

So brauche nicht nur ich für meine Aufgaben zu Hause länger. Auch Absprachen, die  in einem Meeting im Not-at-Home-Office 30 Sekunden bräuchten,  dauern nun drei Mails, eine Nachricht von allen im WhatsApp-Chat und eine Telefonkonferenz lang – bei der von jedem Teilnehmer mindestens einmal der Satz fällt: „Sorry, kannst du das noch mal wiederholen, ich war  hier gerade woanders.“

Nicht nur bei Zeitungen muss es oft schnell gehen. Da  hat es schon einen Sinn, dass der Kollege nicht drei Kilometer Luftlinie, sondern nur einen ergonomischen Bürostuhl entfernt sitzt.

Und eigentlich kann er da gern auch bleiben, ich will ihn gar nicht  unbedingt  mit nach Hause nehmen, genauso wenig  wie meine To-do-Listen und mein Mailpostfach. Wer Privatleben und Job räumlich vermischt, das legen Studien nahe, ist gestresster, leidet häufiger unter Schlafstörungen, macht mehr Überstunden.  Weil man beim Apfelkuchenbacken und vor dem Schlafengehen noch mal die Nachrichten checkt. Weil die Hemmschwelle, sich jetzt doch noch mal an den Laptop zu setzen, zu niedrig ist. Gerade für Menschen, die disziplinierter sind, als ich es bin. 

Nein, Zuhause, das ist Pyjama, Klavier, Bücher.

Arbeit ist woanders.

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