Psychoterror im JobWie sich Mobbing-Opfer wehren können
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Bis hin zum Herzinfarkt: Mobbing-Opfer leiden unter Dauerstress und werden häufig schwer krank.
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Die Kollegen grüßen nicht, setzen böse Gerüchte in die Welt, manipulieren Arbeitsergebnisse oder schwärzen einen beim Chef an: Mobbing am Arbeitsplatz hat viele Gesichter. Laut einer Studie war jeder neunte während seines Arbeitslebens schon einmal davon betroffen.
Wer unter Psychoterror im Büro leidet, wird häufig schwer krank. Der Dauerstress löst zum Beispiel Unruhe, Angstgefühle und Depressionen aus. Auch psychosomatische Probleme wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Tinnitus oder Herzrasen können auftreten - als Langzeitfolgen drohen sogar Herzinfarkte und Suchterkrankungen.
Doch wo fängt Mobbing an, und wann ist es nur ein normaler Streit unter Mitarbeitern? Eine wichtige Rolle spielen dabei der Zeitraum und vor allem die Systematik hinter dem Verhalten. Wird etwa eine Kollegin wochenlang nicht gegrüßt, wird sie stärker darunter leiden, als wenn es nur einmal vorkommt. „Aber auch eine einmalige massive Belästigung, zum Beispiel sexuelle oder körperliche Gewalt, stellt Mobbing dar“, erklärt Hans-Otto Morgenthaler, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Ludwigshafen. Morgenthaler hat gemeinsam mit anderen Experten das Netzwerk mobbing-hilfe.de ins Leben gerufen.
In seine Kanzlei kommen viele Mobbing-Opfer, leider meistens erst dann, wenn es ihnen körperlich und psychisch bereits sehr schlecht geht. Gemeinsam suchen Anwalt und Betroffene nach Lösungen. „Häufig höre ich den Satz: ‚In den Laden setze ich keinen Fuß mehr‘. Die Mehrheit der Opfer möchte so schnell wie möglich aussteigen“, so Morgenthaler. Andere hätten große Panik, demnächst gekündigt zu werden. Diese Angst kann Morgenthaler ihnen nehmen, denn der Arbeitgeber hat gegenüber seinen Beschäftigten eine Fürsorgepflicht.
Allerdings empfiehlt der Anwalt, nach Möglichkeit nicht selbst zu kündigen. „Dann gibt es nämlich weder eine Abfindung noch ein gutes Zeugnis – und die Arbeitsagentur kann das Arbeitslosengeld für drei Monate sperren.“ Besser sei es, wenn der Arbeitgeber kündige. „Wenn die Fronten nicht völlig verhärtet sind, biete ich ihm ein Gespräch an“, sagt Morgenthaler. Werden sich beide Seiten einig, lässt sich der Gang vor das Arbeitsgericht womöglich noch verhindern. Bei sehr schweren Übergriffen haben Opfer auch Anspruch auf Schmerzensgeld.
Sammeln Sie Beweise, sonst steht schnell Wort gegen Wort. Dokumentieren Sie die einzelnen Vorfälle detailliert mit Ort, Datum und möglichen Zeugen. Notieren Sie dabei den möglichst genauen Wortlaut der Täter.
Auch wenn der Leidensdruck nicht übermäßig hoch ist und es Ihnen noch verhältnismäßig gut mit der Situation geht: Schließen Sie sich einer Selbsthilfegruppe an! Leiden Sie bereits stark unter dem Mobbing (Symptome sind u.a. Schlafstörungen, Gereiztheit, Depressionen und Konzentrationsschwäche), sollten Sie umgehend professionelle Hilfe suchen.
Gehen Sie zu einem Psychotherapeuten und holen Sie zudem auch rechtlichen Rat bei einem Fachanwalt ein. Weitere Anlaufstellen sind etwa der Betriebsrat oder die Gewerkschaft. Sind Sie Gewerkschaftsmitglied oder besitzen Sie eine Rechtsschutzversicherung, können Sie auch auf rechtliche und finanzielle Unterstützung im Prozess hoffen.
Ansonsten gibt es die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe. Das heißt, der Rechtsanwalt bekommt sein Geld vom Staat. Allerdings kann dies möglicherweise später zurückgefordert werden. Besprechen Sie dies mit Ihrem Anwalt.
Wollen Sie Ihren Job trotz allem behalten oder lieber den Arbeitsplatz wechseln? Ein Anwalt kann bei der Entscheidung helfen. In der Regel empfiehlt sich eine Kündigung seitens des Arbeitgebers, da so beispielsweise noch Anspruch auf eine Abfindung besteht und die Arbeitsagentur keine Sperrfrist für das Arbeitslosengeld verhängen kann.
Mithilfe des Anwalts kann man mit dem Arbeitgeber die Bedingungen der Kündigung aushandeln, zum Beispiel eine Freistellung zum Ende des Arbeitsverhältnisses. Ein Auflösungsvertrag ist nicht vorteilhaft, denn er hat ebenfalls eine Sperre der Arbeitsagentur zur Folge.
Alle Branchen sind betroffen
Ärzte und Sekretärinnen, Abteilungsleiter und Arbeiter: Die Opfer kommen aus allen Branchen und Abteilungen. „Mobbing kann jeden treffen. Es sind keinesfalls nur schüchterne graue Mäuse, die betroffen sind, sondern auch starke und erfolgreiche Menschen“, weiß Mobbing-Expertin Claudia Feldner aus Bonn. Als Beraterin und Coach hilft sie nicht nur Betroffenen, sondern schult auch Personal in Unternehmen. So lernen etwa Betriebsräte, mit dem Problem umzugehen und Mobbing gezielt vorzubeugen.
Nach Feldners Erfahrung entwickelt sich Mobbing oft schleichend aus ungelösten Konflikten. „Manchmal arbeiten die Opfer bereits mehrere Jahre im Betrieb und hatten vorher nie Probleme“, sagt Feldner. Sie rät Betroffenen, sich frühzeitig professionelle Hilfe zu holen, zum Beispiel bei einem Arzt mit Mobbingexpertise.
Alleine gegen das Team
In ihrer Beratung sei es vor allem wichtig, die Betroffenen zu stärken und ihnen ihr Selbstwertgefühl zurückzugeben. Denn in der Regel haben sie ein ganzes Team von Kollegen gegen sich, die alle Vorwürfe bestreiten. „Oft heißt es dann: ‚Die ist ja hysterisch‘ oder ‚Der spinnt doch‘“, beschreibt die Beraterin die Situation. Auch für Kollegen, die Mitleid empfinden sei es leichter, sich auf die Seite der Mobber zu schlagen. „Denn sie fürchten sonst – und das zu Recht – ebenfalls ausgegrenzt zu werden.“
Zunehmender Stress und destruktive Kommunikationsstrukturen - Feldner macht die Kultur und die Strukturen in den Unternehmen mitverantwortlich für die unheilvolle Entwicklung. „Nach meinem Empfinden nimmt die Solidarität zwischen den Mitarbeitern vielfach ab. Konflikte werden solange ignoriert oder unter den Tisch gekehrt bis sie eskalieren“, sagt sie.
Umso vorbildlicher sei es, wenn sich Konzerne wie Ford oder VW mit Anti-Mobbing-Programmen für einen fairen Umgang im Betrieb einsetzten. Für die Unternehmen hat der Psychoterror auch finanzielle Folgen: Der Deutsche Gewerkschaftsbund schätzt den mobbingbedingten volkswirtschaftlichen Schaden auf 15 bis 25 Milliarden Euro – jedes Jahr.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), oft auch Antidiskriminierungsgesetz genannt, wurde 2006 im Bundestag beschlossen. Mit dem Beschluss wurden vier EU-Richtlinien zur Gleichbehandlung aus den Jahren 2000 bis 2004 in einem einheitlichen Gesetz zusammengeführt und umgesetzt. Breite Zustimmung erhielt das Gesetz von CDU, SPD und den Grünen. Abgelehnt wurde das AGG von der FDP und der Linkspartei.
Das AGG verbietet Benachteiligungen nur, soweit sie an eines der folgenden personenbezogenen Merkmale anknüpfen: Rasse und ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion und Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität. Eine Mehrfachdiskriminierung liegt vor, sobald mehrere Diskriminierungen auf dieselbe Person einwirken. Betroffen können zum Beispiel Frauen sein, die aufgrund ihres muslimischen Glaubens ein Kopftuch tragen.
Die im Antidiskriminierungsgesetz verankerten Rechte sind von Arbeitnehmern vor dem Arbeitsgericht einklagbar. Beschäftigte können sich in Betrieben mit mehr als fünf Mitarbeitern auch an den Betriebsrat wenden. Dabei gilt eine Frist von zwei Monaten. Das Opfer muss zunächst selbst beweisen, dass es gegenüber einer anderen Person ungünstig behandelt worden ist.
Das AGG gilt natürlich nicht nur für den Bereich Arbeit oder Aus- und Weiterbildung - auch im Sozial- und Gesundheitswesen (zum Beispiel bei verweigerten Versicherungen) können diskriminierte Menschen ihre Ansprüche durchsetzen. Vom Antidiskriminierungsgesetz werden nur Geschäfte erfasst, die generell mit jedermann abgeschlossen werden (etwa Verträge mit Hotels, Gaststätten oder Kaufhäusern). Ausgenommen vom Diskriminierungsschutz ist der gesamte private Lebensbereich.