Defekte BremsenGeisterzug rollte nach Köln

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Der Zug der RWE sollte Braunkohle und Kohlenstaub von einer Frechener Brikettfabrik nach Zülpich bringen. (Bild: Beissel)

Der Zug der RWE sollte Braunkohle und Kohlenstaub von einer Frechener Brikettfabrik nach Zülpich bringen. (Bild: Beissel)

Frechen/Köln – Seine Spätschicht näherte sich dem Ende, als Lagerarbeiter Franz-Josef Schulze (52) am Montagabend ein dumpfes Grollen hörte. Sein Kollege Johannes Kirchkesner stapelte die letzten Euro-Paletten aufeinander, als es drei Meter hinter ihm knallte. „Ich dachte, das ist ein Erdbeben. Das Tor krachte auf, dann kam auch schon der Zug, alles ist weggeflogen“, erzählt der 21-Jährige am Tag danach. Die Männer sprangen zur Seite, blieben unverletzt. Die Diesellok schob Brombeersträucher, Teile eines Prellblocks und Trümmer vor sich her, bevor sie an einer Brandschutzmauer mitten in der Halle stehen blieb.

Nach dem ersten Schock versuchten die Arbeiter, einen Blick in die Lok zu werfen. „Wir haben auf den Fahrer gewartet, aber da war niemand.“ Kein Wunder: Der Zugführer (44) und sein Kollege (20) waren Minuten vorher in Panik von der Lok gesprungen, weil sich der Zug nicht mehr bremsen ließ.

Die 45 Jahre alte und tausend PS starke Deutz DG 1000 ist eine der ältesten Lokomotiven von RWE-Power. Sie beförderte unzählige Silo- und offene Waggons durch das Braunkohlenrevier. Am Montagabend zog sie 31 Waggons mit Briketts und Braunkohlenstaub. Sie startete um 20.30 Uhr in Frechen vom Gelände der Brikettfabrik Wachtberg. Die Briketts sollten nach Zülpich und Düren gebracht werden, der Braunkohlenstaub war für einen Käufer in Itzehoe bestimmt. Nach Angaben eines RWE-Sprechers merkten der erfahrene Lokführer und sein Rangierer noch auf dem Werksgelände, dass diesmal etwas nicht stimmte. Bei einer Geschwindigkeit von etwa 25 Stundenkilometern wollten sie das Tempo drosseln. Doch die Bremsen funktionierten nicht. Auf dem abschüssigen Gleisstück wurde der etwa 600 Tonnen schwere Zug immer schneller. Bei Tempo 40 sprangen die beiden Männer von der Lok, erlitten dabei Prellungen und Schürfwunden.

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Der Güterzug wurde zum Geisterzug. Sechs Kilometer rollte der etwa 300 Meter lange Stahlkoloss führerlos über die Gleise. Zwei Bahnübergänge, bei denen die Schranken geschlossen gewesen sein sollen, passierte er in Frechen ohne Zwischenfall. Am Bahnhof in Frechen endet das Schienennetz von RWE-Power. Dort muss sich der Lokführer bei der HGK (Häfen- und Güterverkehr Köln) anmelden. Erst wenn von dort grünes Licht gegeben wird, kann der Zug weiterfahren. Aus Sicherheitsgründen sei im Bahnhof Frechen die Weiche allerdings so gestellt, dass die Züge im Notfall auf ein totes Gleis gelenkt würden, erklärte HGK-Sprecher Rolf Küppers.

Der Stellwerksmeister wunderte sich, dass die grünen Lämpchen auf seiner Schienennetztafel in immer kürzeren Abständen aufleuchteten, ein Zeichen dafür, dass der Zug immer schneller wurde - nicht verwunderlich, denn der Höhenunterschied zwischen Frechen-Benzelrath und dem Bahnhof beträgt 33 Meter. Der Zug rollte auf das Nebengleis, passierte die Stadtgrenze zu Köln, steuerte in Marsdorf direkt auf die Halle des Logistikzentrums zu, in dem Schulze und Kirchkesner Paletten stapelten.

Wenige hundert Meter vor der Halle riss die Lok einen Prellbock von den Schienen. „Normalerweise hätte der Bock den Zug stoppen müssen, aber die Waggons waren womöglich zu schnell und zu schwer“, sagte Hermann Oppenberg. Immerhin bremsten die Waggons ab. Sekunden später krachte die DG 1000 durch das Rolltor der Lagerhalle. Früher, als das Gebäude noch zu Grundig gehörte, wurden hier Fernsehgeräte in die Waggons geladen. Jetzt liegen Holzbretter auf den Schienen, auf denen die Firma Logwin Kartons mit Windeln und Krankenhausbedarf lagert. „Seit 15 Jahren ist auf diesen Gleisen kein Zug mehr gefahren“, berichtete Lagerleiter Roland Joepen.

Die genaue Unfallursache ermittelt jetzt die Polizei. Es wurde ein Verfahren wegen Verdachts der Gefährdung des Bahn-, Schiffs- und Luftverkehrs eingeleitet, sagte eine Sprecherin. Den Schaden an der Halle schätzt die Polizei auf einen sechsstelligen Betrag.

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