Die alte Heimat wird nicht vergessen

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Am Friedenring trifft man sich auch schon mal zu einem Plausch.

Am Friedenring trifft man sich auch schon mal zu einem Plausch.

Kerpen-Mödrath - „Hier war die Bergstraße, hier der Sportplatz und hier mein Elternhaus.“ Jakob Krüll zeigt mit dem Finger auf einer alten Luftaufnahme die Stätten seiner Jugend. Der 71-Jährige ist in Alt-Mödrath aufgewachsen und vor rund 45 Jahren mit umgesiedelt, als das Dorf dem Tagebau Frechen weichen musste. Jetzt macht er in einem Arbeitskreis mit, der die Erinnerung an die alte Heimat wachhalten soll.

Das ist nicht einfach: Denn da, wo einst Mödrath stand, liegt heute das Naherholungsgebiet rund um den Boisdorfer See, der nach dem Willen Krülls und seiner Mitstreiter aber eigentlich Mödrather See heißen müsste.

„Ich habe mir alte Katasteraufzeichnungen aus dem Jahr 1958 besorgt und sie auf Luftaufnahmen des Landesvermessungsamtes von 2002 im gleichen Maßstab gelegt und dann mit Nadeln bestimmte Punkte durchstochen“, erzählt Krüll. So könne man jetzt genau sehen, wo im rekultivierten Tagebau einstmals etwa die Mödrather Kirche, die Schule und andere Einrichtungen gestanden haben: „Die wollen wir jetzt alle mit Hinweistafeln markieren, damit der Wiedererkennungswert steigt.“ Gerade erst habe er von dem Bergbau-Unternehmen RWE-Power zugesagt bekommen, die Lage der ehemaligen Haupt-Straßenkreuzung im alten Dorf mit Findlingen und vier hochwachsenden Bäumen kenntlich machen zu wollen.

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Krülls Kampf gegen das Vergessen kann die alten Wunden etwas lindern, die die Umsiedlung des Ortes aufgerissen hatte: Zwar war es nicht die erste Umsiedlung eines Dorfes im Braunkohlerevier gewesen. Doch Mödrath war mit seinen damals rund 2800 Einwohnern viel größer als andere Umsiedlungsorte gewesen, zählt heute aber nur noch rund 900 Bewohner. Obwohl sich die Bevölkerung für einen Umsiedlungsstandort im nahen Feld ausgesprochen hatte, wurde das Dorf direkt neben Kerpen neu gebaut. „Mödrath wurde so zu einem Teil von Kerpen.“ Darunter seien viele Nachbarschaften und Vereine zerbrochen. „Elf Jahre klang hatten wir keinen neuen Schützenkönig mehr.“ Erst im Laufe der Zeit habe sich wieder ein eigenständiges Dorfleben entwicklet.

Kolping-Wandertag

Dazu gehört beispielsweise der VfL Mödrath, der erst 1965 gegründet wurde, mit dem Kolping-Wandertag aber alljährlich die größte Veranstaltung im Ort organisiert: „Wir haben jedes Jahr rund 4000 bis 5000 Teilnehmer“, berichtet Vorsitzender Karl-Josef Weisweiler und zeigt die „Adolph Kolping - Theodor Wollersheim-Plakette“. Damit ehren wir jedes Jahr einen Preisträger, der sich besonders um die Ideale Kolpings verdient gemacht hat. Wollersheim, 1839 bis 1843 Rektor in Mödrath, war ein Förderer des in Kerpen geborenen Kolping, der später als „Gesellenvater“ weltberühmt wurde.

Zum neuen Mödrath gehören auch die rund 40 Mitglieder der Pfadfinderschaft St. Georg, die der Pfarrgemeinde St. Quirinus angegliedert ist: Freitagnachmittag sind sie an der Kirche gerade beim Packen eines großen Lastwagens anzutreffen: Es geht übers Wochenende ins Zeltlager in den Hürtgenwald, erzählt Leiter Markus Groß. Spiele und Schatzsuche nach dem Vorbild der „Fünf-Freunde-Bücher“ stünden auf dem Programm: Zuerst muss aber tüchtig mitangepackt werden. Großkochtöpfe stapeln sich auf dem Boden, Nudeln, Cornflakes und andere Lebensmittel werden gleich kiloweise mitgenommen: „Wir freuen uns alle, das Zeltlager wird wieder lustig“, sagen die 16-jährigen Tatjana Nesgen, Kimberly Tiedke und Simon Isbanner: „Egal bei welchem Wetter, wir haben immer Spaß.“ Pfadfinder zu sein, finden sie gut. „Hier gewinnt man neue Freunde, lernt Feuermachen und Zeltaufbauen.“

Während die Pfadfinder packen, fegt Hans-Dieter Behlen gerade am Friedensring Straße und Bürgersteig mit dem Besen: „Es kommt ja keine Kehrmaschine mehr, wir wollen aber alles sauber haben“, erklärt er. Mödrath findet er gut: „Das ist das ruhigste Städtchen hier, das es gibt.“

Auch Ortsvorsteher Heinz-Werner Schmitz weiß die Vorzüge Mödraths zu preisen: „Wir haben sehr schöne Wälder in der Nähe, etwa den Parrig, der weitgehend zu Mödrath gehört.“ Historische Bauten wie die Burg Mödrath seien vom Tagebau verschont geblieben und könnten deshalb heute noch von der langen Geschichte des Ortes erzählen. Auch das Marienfeld, wo der Weltjugendtag gefeiert wurde, sei altes Mödrather Gebiet. „Deshalb hat sich der Papst ja auch in das Pfarrbuch von St. Quirinus Mödrath eingetragen.“

Viele Geschäfte gibt es allerdings im Ort nicht mehr, bedauert Schmitz: „Erst vor kurzem hat mit einer Bäckerei auch der letzte Lebensmittelladen zugemacht.“ Immerhin gebe es mit dem „Jägerhof“ noch eine Dorfgaststätte, dazu einen Imbiss, eine Filiale der Kreissparkasse und ein paar andere Händler, die die Stellung hielten. Nicht vergessen will Schmitz auch die Nachtbar „Red Rose“ - ein Etablissement, das im Rotlicht-Milieu anzusiedeln ist und sich auch über Mödrath hinaus einiger Beliebtheit erfreut: „Die Bar macht uns am wenigsten Probleme“, sagt Schmitz. „Und was die hinter der Tür treiben, ist mir egal.“

Probefahrt

Stefan Fritsch betreibt die Fahrradhandlung „Rückenwind“ am Friedensring, der Mödrather Hauptstraße, auf der Passanten und Autos eher Mangelware sind. Er gewinnt dem Standort seines Geschäftes gute Seiten ab: „Es ist ruhig und übersichtlich hier, die Mieten sind relativ niedrig, und es gibt genügend Parkplätze“,erzählt Fritsch, während er mit der Ratsche eine Schraube eines Pedals festzieht. Auf Laufkundschaft setze er bei seinem Geschäft mit dem Verkauf und der Reparatur hochwertiger Fahrräder ohnehin nicht. Seine Stammkunden könnten gleich vor der Ladentür eine Probefahrt machen. „Das passt für mich, das ist ok.“ Seit elf Jahren betreibt Fritsch den Laden in Mödrath, wohnt selber zwar Kerpen, hat als Kind aber die Mödrather Grundschule Albertus Magnus besucht - was typisch ist.

Denn die Schule liegt zwar in Mödrath, nimmt zu rund 75 Prozent aber Kinder aus dem nahen Kerpen auf. Das war nicht immer so: „Als wir hier anfingen, war es eine Mödrather Schule“, erzählt Schulleiterin Renate van Eyk. Doch da Kinder in Mödrath nach der Umsiedlung zur Mangelware wurden, habe man immer mehr Schüler aus Kerpen aufnehmen müssen. Über 30 Prozent der Kinder an der Schule hätten heute einen Migrationshintergrund - das ist der höchste Wert bei den Grundschulen in Kerpen.

Pastor und Hodscha

Die katholische Schule hat aus der Not eine Tugend gemacht: „Wir arbeiten gut mit dem Hodscha aus Kerpen zusammen“, berichtet van Eyk. Ziemlich einzigartig sei es für eine katholische Schule beispielsweise, dass jedes Jahr bei der Einschulung der Schulanfänger neben dem Pastor auch ein muslimischer Geistlicher dabei sei. Über den Hodscha laufe oftmals auch der Kontakt zu den Eltern, wenn es einmal Probleme mit einem türkischen Kind gebe. Selbst am katholischen Religionsunterricht würden auch die nichtchristlichen Kinder teilnehmen, wenn es dort etwa um Themen wie „Menschlichkeit“ und „Umweltverschmutzung“ gehe. Beim Schulgottesdienst in der Pfarrkirche dürften diese allerdings fehlen, schließlich wolle man nicht missionieren.

Interkulturelle Konflikte gebe es so an der Schule nicht, versichert van Eyk. Ein Blick auf den Schulhof bestätigt das: Alia und Alicia, die als ihre Heimat „Amerika“ angeben, malen gemeinsam mit Stella aus Italien eine Blumenwiese. Die deutsche Maike (10) klettert mit Tarik (10) und Jasmina (11) aus Marokko auf dem Klettergerüst herum und meint. „Wir kommen hier gut miteinander aus.“

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