EigelsteinEin buntes Viertel kippt

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Die Anlieger in der Weidengasse fürchten um die Zukunft ihres Viertels. (Bild: Schwarz)

Die Anlieger in der Weidengasse fürchten um die Zukunft ihres Viertels. (Bild: Schwarz)

Köln – Das Viertel hat es in Liedtexte, Bücher und wissenschaftliche Abhandlungen geschafft: Stadtplaner wie Integrationspolitiker, aber auch Kölner führten ihre Besucher durch das Veedel hinterm Bahnhof zwischen düsteren Bahnbögen und dem vielleicht schönsten Platz der Stadt an der Eigelsteintorburg - sie zeigten ein Stück buntes Köln, für die Bewohner saniert, nicht für Großinvestoren. Nun kippt es - und die Stadt scheint zuzuschauen.

Bewohner und Geschäftsleute sehen sich einer immer aggressiver werdenden Prostitutions- und Drogenszene ausgesetzt. „Die Leute resignieren“, sagt die Besitzerin eines Ladens am Eigelstein, die aus Angst ihren Namen nicht in der Zeitung sehen will. Sie habe Polizisten gebeten, nicht mehr in Uniform in ihren Laden zu kommen - „auch nicht zum Quatschen“. Man hat ihr mit einem Molotow-Cocktail gedroht.

Im Viertel spricht man von „bulgarischer Mafia“, die schalten und walten könne, wie sie will. Dort, wo nur Kneipenprostitution erlaubt ist, hakten sich Prostituierte mitten auf der Straße bei potenziellen Freiern unter, Anwohner werden angepöbelt und sind gezwungen, Schlägereien und kriminellen Geschäften zuzusehen. Die Folge: „Es kommen immer weniger Kunden in unsere Geschäfte“, sagt Özüak Ozan, Chef im „Fisch-Paradies“. „Die Gegend war nie vornehm, immer eine bunte Mischung“, sagt Barbara Pekel vom „Bücherparadies“. Sie erinnert sich an Prostituierte, die vom „Lohn“ Bücher gekauft hätten. Diese Zeit sei nun vorbei. „So schlimm wie jetzt war es in 30 Jahren nicht“, meint Yasemin Balaban, Ehefrau von „Bosporus“-Chef Ali Balaban. Über die jüngste Aussage des zuständigen Polizeioberrats, das Viertel würde nicht „absaufen“, können die Anwohner nur staunen.

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Die Entwicklung an Eigelstein und Weidengasse wird umso dramatischer, weil zeitgleich die Anlaufstationen für ein jüngeres, alternatives Publikum wegbrechen. Die belebende Mischung geht verloren. Ein Symbol für den „Strukturwandel“: Dort, wo vor kurzem noch die Cafébar „La Pop“ zuhause war, ist ein Verkäufer von Nahrungsergänzungsmitteln für Bodybuilder eingezogen. „Die Idee einer urbanen Clubgemeinschaft“ sei gescheitert, meint der Chef des Theaters „Raketenklub“, Thomas Krutmann. Ein Netzwerk aufzubauen, das Musik- und Theaterkultur mit Kneipenkultur verbinden wollte, ist hier zur Zeit wohl nicht möglich. Nach einem entnervendem Streit mit der städtischen Bürokratie und seinem Vermieter gibt das Hinterhoftheater nun auf. Auch der „Raketenklub“ wird schließen.

„Es gibt eine unheilvolle Allianz gewissenloser Hausbesitzer, desinteressierter Geschäftsleute und städtischer Planer.“ Krutmann kritisiert Vermieter, die als „egoistische kleine Gutsherren Ordnungsbehörden instrumentalisieren“ und so den Absturz des Quartiers befördern. Und er kritisiert genau wie andere Anwohner die Stadt, die ihre Ordnungsbehörden Jagd auf die Falschen machen lässt, anstatt positive Entwicklungen für Viertel zu befördern. Der „Raketenklub“ - zuletzt wenigstens geduldet - wird bis zuletzt mit den städtischen Ordnungshütern verbunden bleiben. Nach dem Dauerstreit über Toilettengrößen und Fluchtwege soll sich Krutmann nun dafür rechtfertigen, dass er bei Theateraufführungen Getränke verkauft hat und einem gemeinnützigen Verein erlaubt hat, fair gehandelte Produkte aus Entwicklungsländern anzubieten.

Auch Fischverkäufer Özüak Ozan hatte kürzlich Besuch vom Ordnungsamt: Während vor seinem Laden Zuhälter und Dealer demonstrativ und unbehelligt die Straße in Besitz nehmen, schreiben ihm städtische Beamte eine Knolle über 45 Euro. „Mein Inhaberschild hing nicht im Fenster.“

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