ErfahrungsberichtPlötzlich alles wie weggeblasen

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Janinas Angst vor der Blamage: „Wenn auch nur zwei Personen zuhören, während ich Klavier spiele, werde ich nervös und steigere mich derart hinein, dass ich mich absolut nicht mehr konzentrieren kann.“ (Bild: Konietzny)

Janinas Angst vor der Blamage: „Wenn auch nur zwei Personen zuhören, während ich Klavier spiele, werde ich nervös und steigere mich derart hinein, dass ich mich absolut nicht mehr konzentrieren kann.“ (Bild: Konietzny)

Kreis Euskirchen – Ein verbreitetes Sprichwort sagt: „Schlechte Generalprobe - Gutes Konzert.“ Zu dumm, dass es bei mir genau umgekehrt gelaufen ist. Während die Testspiele hervorragend funktionierten, steuerte ich mit meinem unumgänglichen Klaviervorspiel im Konzert nach und nach auf eine Katastrophe zu.

Da der Notentext bei dem Vortrag dieses schwierigen Werkes eher hinderlich gewesen wäre, musste ich das Stück auswendig spielen, was eigentlich nichts Ungewöhnliches ist. Leider lässt ein auswendiger Vortrag (in allen Bereichen des Lebens) viel Raum zum Verzetteln und für den berühmten Blackout. Und genau dieser überkam mich mitten im Konzert. Plötzlich und aus heiterem Himmel sahen für mich die Tasten des Flügels alle gleich aus - was unweigerlich darauf hinauslief, dass ich die Akkorde nicht mehr traf, ihre Positionen wollten mir partout nicht mehr einfallen.

Hinzu kamen körperliche Symptome, die mich massiv behinderten, bis ich das Gefühl hatte, die Kontrolle über meine Hände mehr oder weniger verloren zu haben. Meine Finger waren eiskalt und zitterten dermaßen, dass es mir unmöglich war, die technisch anspruchsvollste Stelle gleichmäßig und im richtigen Tempo auszuführen. Spätestens an diesem Punkt war dann alles zu spät. Mein Körper verkrampfte sich nur noch mehr. Als ich die Bühne schließlich beschämt und traurig verließ, sah ich aus wie jemand, der gerade ein Gespenst gesehen hatte.

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Vorspielvermeidungstaktik

An dieser dramatischen Situation hat nur eines Schuld: meine Vorspielangst. Wenn auch nur zwei Personen dabeisitzen und zuhören, während ich Klavier spiele, werde ich nervös und steigere mich derart hinein, dass ich mich absolut nicht mehr konzentrieren kann. Hinter alledem steht sicherlich die Angst vor der Blamage. Nicht umsonst war ich entgegen aller Ratschläge jahrelang Meisterin in der „Vorspielvermeidungstaktik“ gewesen. Nun aber war ich gezwungen mich meiner Angst zu stellen - denn ich möchte ein Musikstudium aufnehmen, was ein Vorspiel an der Hochschule voraussetzt.

Ich fing also an zu üben, studierte meine Stücke ein, gab zwei Testkonzerte, die entgegen meiner Erwartungen sogar wirklich gut waren. Da es fast keinen Menschen gab, dem ich nichts von meiner Vorspielangst vorgejammert hatte, war schließlich jemand so gut, mir einen Ratgeber zu überlassen, der mich mit Autosuggestionen und Entspannungstechniken auch mental auf die Situation vorbereiten sollte. So hoffte ich, zumindest das Zittern meiner Finger loszuwerden, das mich nirgendwo so sehr störte wie beim Klavierspielen. Auch vor meiner mündlichen Abiturprüfung war ich schrecklich nervös, ebenfalls beim Vorsingen. Doch diese Situationen hatten alle ein Happyend. Warum? Weil man zum Singen und Sprechen die Hände nicht braucht.

Ich las also besagtes Buch, dessen Geheimnis im Wesentlichen auf einer Yoga-Entspannungsübung basierte, bei der man die Akupunkturpunkte klopft, während man sich ganz auf die Angst konzentriert. So wird im optimalen Fall die Angst „weggeklopft“.

Selbsterzeugte Horrorszenarien

Nach fleißigem Klopfen und einem intensiven Studium der „8 Schritte des emotionalen Selbstmanagements“ war ich ein paar Tage vor dem Auftritt wirklich zuversichtlich. Auch die Selbstakzeptanzübungen halfen, mein demoliertes Selbstbewusstsein etwas zu stärken. Denn wie mir der Ratgeber verriet, ist die unrealistische Einschätzung der Vorspielsituation das eigentliche Problem bei der ganzen Geschichte. Diese resultieren aus einem mangelnden Selbstbewusstsein, quasi der bereits vorgefertigten Meinung, dass sowieso alles katastrophal enden und am Ende wegen einiger falscher Akkorde die Welt untergehen wird.

Mir diese Überbewertung bewusst zu machen, war ein wichtiger Schritt in meiner „Selbsttherapie“. So begann ich gegen diese Horrorszenarien anzureden. Doch selbst das Buch versprach keinen sofortigen Erfolg, und obwohl ich dazu neige, doch noch an Wunder zu glauben, ging der Auftritt gehörig in die Hose. Unmittelbar vorher konnte ich einfach nicht ruhig atmen. Es ist viel mehr Übung nötig, damit der Körper die „Gewohnheit“, sich zu fürchten, ablegt. Die Entspannungen müssen automatisiert werden.

Mein Fazit lautete: Mit der Vorspiel- und der Prüfungsangst ist es wie mit allen schlechten Gewohnheiten. Es ist sehr schwierig, sie abzulegen, und um es zu schaffen, ist hartes Training nötig. Man kann es jedoch schaffen und darf sich von anfänglichen Pleiten nicht entmutigen lassen.

Flucht nach vorne

Obwohl ich das Stück, das ich an jenem unheilvollen Tag vortragen musste, wahrscheinlich nie wieder vorspielen werde, hat mich doch der Ehrgeiz gepackt. Mittels weiterer Selbsthilfebücher versuche ich aktiv, gegen meine Angst vorzugehen. Und ich rate jedem, der ernsthaft damit zu tun hat, sich nicht vor den Situationen zu drücken, sondern die Flucht nach vorne anzutreten - mit Hilfe guter Anleitung.

Ein wenig Lampenfieber ist nicht verkehrt, weil es unsere Konzentrationsfähigkeit schärft. Doch sobald das Lampenfieber zur Angst wird und die Prüfungssituation negativ beeinflusst, muss etwas dagegen unternommen werden.

Es ist nun mal so, dass man sich in dieser Welt ständig irgendwo beweisen muss. Deswegen ist es beinahe unmöglich, immer nur vor diesen Situationen zu fliehen. Man sollte seiner Angst mutig und offensiv begegnen. Ich selbst habe viel zu lange damit gewartet. Doch nun ist es auch für mich an der Zeit!

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