Kettenreaktion auf der Szenemeile

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Ehrenstraße und Breite Straße haben auf der Beliebtheitsskala mächtig aufgeholt.

Ehrenstraße und Breite Straße haben auf der Beliebtheitsskala mächtig aufgeholt.

In der ersten Etage spurten Menschen in Fitnesskleidung auf Laufbändern. Im Erdgeschoss residiert American Apparel, die US-Bekleidungsmarke mit der Gutes-Gewissen-Garantie und dem Öko-Touch. Gegenüber: Auf zwei Etagen hinter viel Glas Sisley und die Luxus-Leder-Warenmarke Coccinelle. Feine Läden. Daneben, fast ein Relikt aus anderer Zeit: Der Buchladen Zweitausendeins.

Die Kneipe "Spitz", die einst in den frühen achtziger Jahren zu den Pionieren des Wandels vom Rotlichtmilieu zum Szeneviertel gehörte, hat schon lange geschlossen - will aber demnächst um die Ecke wieder eröffnen. Der Nachfolger heißt Hammersteins, ihn nobel zu nennen, ist nicht untertrieben. Früher, konnte man da, wo heute Sisley mit seinen Frühlingsfähnchen lockt, in einem inhabergeführten Lederfachgeschäft Geldbörsen kaufen und Koffer-Reißverschlüsse reparieren lassen, daneben betrieb ein Traditionsunternehmen ein Geschäft für Heimtextilien. Vorbei.

Die Ehrenstraße boomt - und sie ist jetzt der Platz für die Global Player. Inhabergeführte Geschäfte mit eigenem Gepräge sorgen allenfalls noch für das "Lokalkolorit", von dem Immobilienmanager so gerne sprechen, wen sie ihren internationalen Kunden das Sträßchen anpreisen. Große Glasscheiben, große Namen, große Konzerne. Und: große Ähnlichkeit zu anderen Straßen dieser Art überall auf der Welt.

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Chabrol kam ins Broadway

Kaum zu glauben, dass hier mal das legendäre Programmkino Broadway als Nachfolger eines Schmuddelkinos die Hauptattraktion bildete. 1982 mit einem Besuch des französischen Regisseurs Claude Chabrol eröffnet, war es so etwas wie der Kristallisationspunkt für die erste Metamorphose für diese magischen 500 Meter Straße. Mit dem Kino kam die modische Avantgarde, entdeckte die kleine verschlafene Gasse, pflanzte sich zwischen Läden, die zum Beispiel "Haushaltswaren Rosie" hießen und in denen man Pfeffermühlen mit 25 Jahren Garantie kaufen konnte. Esoterikläden folgten, das Scarface, das Kaufhaus Kilo. Das "Studio 59" gfehörte auch dazu. Die verrücktesten Schuhe aus England, zwei Jahre, bevor das erste deutsche Modemagazin sie zeigte.

Jetzt, im März 2008, gehen im Studio 59 die Lampen aus. "Das ist einfach nicht mehr unsere Straße, sagen die Eheleute Greif beim Kistenpacken. Es zieht demnächst Crocs ein - das ist der Hersteller jener kunterbunten Clogs, die im letzten Sommer erstmalig Furore machten. Crocs besitzt erst einen Laden an edler Adresse im Hamburg, die Ehrenstraße stand auf Platz zwei der Wunschliste in Deutschland. Nicht Düsseldorf oder München; Immobilienmakler denken hinter solchen Aussagen immer ein Ausrufungszeichen. Die Greifs, denen das Haus mit dem Laden gehört, tendieren trotz der zu erwartenden, vor zehn Jahren in der Ehrenstraße noch undenkbaren Mieteinnahmen eher zu bitter-süßen Gedanken. Und verlagern ihr Geschäft ins Internet.

Ihren eigentlichen Höhepunkt - zumindest aus Sicht der Eingeborenen - erlebte die Ehrenstraße 1996, 1997. Trendscouts tobten enthusiasmiert durch die Läden, die nicht gut ausgeleuchtet, aber modisch extrem helle waren, kleideten Viva-Moderatoren dort ein - und sprachen auch gerne auf dem Sender darüber. So viel Werbung wirkte. Die Ehrenstraße, das war die Bühne der Szene, von der jene Designer die Ideen klauen, die jetzt dort ihre ambitionierten Filialen eröffnen.

Flucht vor den "Puffpreisen"

Als das Broadway 2001 schloss, war das wieder eine Zeitenwende. Für umsatzorientierte Makler mit dem Sinn für Trends und Hypes ging „von da an die Post ab, das war der Durchbruch“. Das Kino starb, mit Esprit zog der erste große Filialist ein, viele weitere folgten: Zara und H & M, Mandarina Duck, Replay und Adidas, jüngst eröffnete Tommy Hilfiger. Eine ganze Straße wurde inzwischen an die Kette gelegt - Filialisten dominieren. Sehr schick, sehr neu. Sehr cool. Thomas Meisterknecht, der in der Kleinen Brinkgasse (da wo bis 1979 die Kölner Bordelle standen) das Geschäft „Pattevugel“ führt, sieht 2001 ebenfalls ein Wende. Aber eine andere: Von da an hat die Straße ihre Seele verloren, und die Investoren gewannen die Oberhand.

Derweil zieht die Karawane der Individualisten weiter. Freaks können sich die Mieten längst nicht mehr leisten, „Puffpreise“ nennen sie das, „Puffpreise wie sie nur noch Starbucks und Konsorten hinblättern können.“ Und sie wandern in die Nebenstraßen ab, in die Benesisstraße, die Pfeilstraße, die Gertrudenstraße, die Apostelnstraße - ein Gewinn für die Gässchen, in denen es bislang so still war wie im Auge des Orkans. Oder sie ziehen direkt ins Belgische Viertel, jenseits der Ringe. Da wo man suchen muss, um die kleinen Schätze zu finden. Wo es mutig und wild zugeht, auch finanziell gesehen.

Die Nebenstraßen profitieren

Doch auch in den Nebenstraßen, etwa am Friesenwall - sie werden inzwischen als I-b-Lagen gefeiert - steigen die Mieten rasant. Schon so manch einer ist dort gescheitert, nicht wegen einer schlechten Geschäftsidee, sondern weil Vermieter profilaktisch die Preise schon mal so angehoben haben, als wäre der Friesenwall schon eine wirklich arrivierte Adresse.

„Da ist der Preisdruck gnadenlos“, sagt Thorsten Modrau. Er ist mit seinem Schuhladen „Desperado“ von der Ehrenstraße „geflohen“, wie er selbst sagt. „Da hat sich jetzt Tommy Hilfiger eingenistet - für die doppelte Miete - eine, die Modrau in den Ruin getrieben hätte. Am Wochenende war sein Geschäft zwar immer rappelvoll, aber die Kasse nicht:

„Viele sind auch nur in die Ehrenstraße gekommen, um zu gucken.“ Jetzt, 20 Meter weiter, hat er eine niedrigere Passantenfrequenz, aber kaum weniger Umsatz. Die Ketten drum herum sieht er als Mitbewerber: „Wir kleinen können schneller auf die Kunden und die Trends reagieren als ein großer Konzern.“ Halb selbstbewusst, halb trotzig berichtet er davon, dass er wöchentlich Post von Maklern bekommt, die ein Auge auf sein Ladenlokal geworfen und von Traummieten und Renditen schwärmen. Derlei Investorenprosa kennen die Leute von der Ehrenstraße.

Vermieter macht Preis-Hype nicht mit

Auch Helmut Schumachers Briefkasten füllt sich mit solcher Post. Doch der 73 Jahre alte Hausbesitzer der Nummer acht ist anders. Das sieht mach schon an seinen Mietern fernab jeden Glamours: Ein kleines Schmuckgeschäft, eine Metzgerei, ein Tabakwarengeschäft. „Die Metzgerei ist seit den 50er Jahren hier, das sind gute Mieter, warum soll sich die rauswerfen?“ fragt er - und blickt ungerührt auf das Tamtam, das sich rund um das Gebäude vollzieht, in dem er groß geworden ist, und in dem er bis heute wohnt - wie auch seine Tochter. „Ich habe das Haus, damit ich davon leben kann - und ich vermiete so, dass auch meine Mieter leben können.“ So einfach ist das für ihn. Dass die Kauf- und Mietangebote nicht nachlassen, versteht er nicht: „Wo man einmal abgesagt hat, können die sich doch das Papier und das Porto sparen.“

Ansonsten ist er zufrieden mit seiner neuen Straße: „Die ist aufgewertet jetzt. Nur eine gemütliche Kneipe fehlt.“ Nebenan veranstaltet das Traditionsgeschäft für Künstlerbedarf Bruno Wolkenaer den Räumungsverkauf. Das denkmalgeschützte Gebäude, zu dem jahrzehntelang Künstler wegen Pigmenten, Pinseln und Leinwänden pilgerten, ist verkauft worden. Wer dort einzieht, ist ungewiss. Künstler finden von Mai an in der Großen Brinkgasse ihre Waren.

100 Euro pro Quadratmeter

Von Kunst zum Kommerz: Die Mietpreise in den vergangenen fünf Jahren sind in der Ehrenstraße für die teuersten Lagen von 80 auf 100 Euro pro Quadratmeter gestiegen. Damit ist sie die dritt-teuerste Straße Kölns nach Hohe Straße und Schildergasse. „Und preislich ist noch Luft nach oben“, sagt Thoma Nandzik vom Immobilienberatungsunternehmen Kempers, das viele Projekte in der kleinen Straße betreut. „Das ist eine angesagte Adresse“, sagt Nandzik, „das ist trendy, das ist flippig, das strahlt aus.“ Sein Beweis: „H & M wird im Oktober seine neue, teurere, ambitioniertere Designer-Kollektion »Cos« dort anbieten - und ein Sortiment zeigen, das auf der Schildergasse nicht offeriert würde.“

Und wie sehen die Ehrenstraße und ihre kleinen Schwestern in zehn Jahren aus? Werden die alteingesessenen Institutionen - die Bäckereien, das Käsegeschäft, der Filzladen, das Puppenmuseum - dort überleben? „Vielleicht“, sagt Nandzik. „vielleicht aber auch nicht.“

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