Le MoissonnierOrangenlutscher zur Rechnung

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Vincent und Liliane Moissonnier in ihrem Restaurant Le Moissonnier (Bild: Stefan Worring)

Vincent und Liliane Moissonnier in ihrem Restaurant Le Moissonnier (Bild: Stefan Worring)

Innenstadt – Vor 30 Jahren ist Vincent Moissonnier aus Berlin nach Köln gekommen. Er eröffnete 1987 „Le Moissonnier“ in der Krefelderstraße als Brasserie – heute hat es zwei Sterne. Trotz des Erfolgs ist der Restaurantchef auf dem Teppich geblieben. Isabella Neven DuMont und Stefan Worring sprachen mit ihm.

Herr Moissonnier, wann sind Sie nach Köln gekommen und warum?

Vincent Moissonnier: Ende 1982 war ich in Berlin in einem sehr guten Restaurant, das zugemacht hat, und mein Chef hat mich zu Franz Keller junior vermittelt. Der war damals auf der Aachener Straße und der Liebling der Szene. Die legendäre Tomate.

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Moissonnier: Die war Teil eines Konzepts. Es gab Kellers Restaurant, Kellers Keller, Lüders Bar und die Tomate. Und ich war 23 und hatte die große Chance, als Oberkellner für diese vier kleinen Unternehmen zu arbeiten, was für mich natürlich großartig war. Meine heutige Frau Liliane und ich sind an einem Samstag bei schönstem Wetter am Hauptbahnhof angekommen. Wirhaben einen alten kölschen Taxifahrer erwischt, der uns durch die Altstadt gefahren hat und erst dann zur Aachener Straße. Wir waren von dieser Stadt direkt begeistert.

1987 haben Sie sich selbstständig gemacht. Warum ausgerechnet in der Krefelder Straße?

Moissonnier: Wir haben gar nicht überlegt, wir haben gesucht. Wir hatten eine Idee. Das war kein Konzept, nur eine Idee. Dieses Ladenlokal war im „Stadt-Anzeiger“ annonciert. Wir sindhingegangen, Gott sei Dank spät abends. Man hat den Zustand der Straße nicht gesehen. Wir sind von hinten gekommen, durch die Küche, und wir haben die beiden Pendeltüren aufgemacht, die es heute noch gibt. Der Raum war komplett blank, mit Spanplatten statt Fenstern. Es war alles ruiniert. Man konnte durch die Decke bis in die dritte Etage durchgucken. Aber diese beiden Bögen mitten in diesem Raum! Das hört sich jetzt doof an, aber ich wusste von vornherein: Dieser Raum hat auf uns gewartet, und ich habe auf diesen Raum gewartet. Mir war klar: Das ist mein Restaurant.

Aber nicht alle waren begeistert?

Moissonnier: Alle Leute einschließlich Franz Keller haben mich gewarnt oder für bekloppt erklärt. Hans Schäfer, der ehemalige Fußballer, war Stammgast beim Franz. Er hat mich angerufen und gesagt: „Was willst du in Chinatown, bist du verrückt?“

Sie haben den Raum wie ein Pariser Bistro gestaltet.

Moissonnier: Wir wollten unbedingt eine Edel-Brasserie machen. Wir wollten die Qualität der Küche, ohne dass der Gast das Gefühl bekommt: Da muss ich eine Krawatte anziehen, gerade sitzen und leise sprechen. Wir wollten diesen ganzen Zwang weghaben. Wir wollten ein Restaurant, in dem die Leute einfach leben. Und es passte irgendwie: hohe Decken, komische Gegend. Es war wunderbar und in Köln einmalig.

1987 war das Jahr, in dem Trude Herr „Niemals geht man so ganz“ aufnahm, Lady Di war da, Kardinal Höffner ist gestorben. Es gab gefühlt zwei Biergärten in der Stadt, der FC hatte einen Zuschauerschnitt von 16 000. Wie hat damals die Kölner Gastro-Szene ausgesehen?

Moissonnier: Überschaubarer, es gab sehr wenig. Als wir aufgemacht haben, war Franz Kelleram Ende seiner Kölner Zeit. Rino Casati am Ebertplatz hatte finanzielle Probleme, Rachel Silberstein vom „Chez Alex“ überlegte aufzuhören. Roland Bado war gestorben, sein Sohn Jean-Claude, der heute das „Pôele d’Or“ hat, wusste nicht, ob er weitermachen soll. Wir waren wirklich ganz unten auf dieser Leiter, aber oben gab es kein Vorzeigerestaurant. Der „Goldene Pflug“ verlor seinen dritten Stern, Herbert Schönberner hatte keine Lust mehr. Es gab einfach diese Qualität vor 25 Jahren nicht – weder in der Spitze, noch in der Breite.

Heute ist die Konkurrenz ungleich größer. Ist das nicht schwieriger?

Vincent Moissonnier: Nein. Ich finde, wenn viele gute Restaurants da sind, planen die Leute anders. Wir haben Hans Horberth, wir haben natürlich Joachim Wissler und Nils Henkel. Und das ist nur die Spitze. Die Leute kommen nicht irgendwie nach Köln, machen irgendwas und sagen dann: „Lass uns mal zum Moissonnier gehen.“ Die planen ein richtiges Gourmetwochenende: erst Schloss Bensberg, dann Lerbach, Wasserturm oder Moissonnier. Man kann vielseitig essen, und das ist sehr wichtig. Wir haben etwa 90 Prozent Stammgäste, unter der Woche viele Geschäftsleute. Aber am Wochenende kommen Menschen aus Deutschland ganz gezielt, um in Köln zu essen.

Weiß die Stadt das zu würdigen?

Vincent Moissonnier: Die Kommunalpolitik übersieht komplett, dass der Kulturstandort Köln extrem wichtig ist für unsere Wirtschaft. Wir sind ein Teil dieses Kulturstandorts. Wir ziehen viele Leute in die Stadt. Wir leben davon sehr gut. Aber andere auch. Die Gäste gehen beim „Päffgen“ ein Bier trinken, beim „Apropos“ gucken und kaufen, die gehen zum Dom oder ins Museum Ludwig, die fahren Taxi und kehren mittags beim „Alfredo“ ein. Davon profitiert Köln. Das wird viel zu wenig ernst genommen von der Politik, das ist indiskutabel. Wir bräuchten Leute, die sich mit der Thematik beschäftigen und uns einbeziehen.

Was könnte man ändern?

Vincent Moissonnier: Nur ein Beispiel: Wir haben in Frankreich im Zentrum jeder großen Stadt eine Beschilderung für Hotels oder Restaurants, die qualitativ gut arbeiten. In Köln rufen Leute aus der Südstadt an und fragen: „Wo sind Sie? Wir finden Sie nicht.“

Kaufen Sie Ihre Produkte in Köln?

Vincent Moissonnier: Das ist sehr unterschiedlich. Für die Grundprodukte bin ich auf dem Großmarkt. Auf dem Schlachthof bekomme ich Zutaten für Fonds und den ganzen Kram. Der Fisch kommt zu 30 Prozent aus Island, zu 70 Prozent aus Frankreich, wird täglich geliefert. Da hat sich auch viel getan: Ich bestelle heute Fisch, der landet nachts am Flughafen und ist morgen früh bei mir.

Gibt es denn Fleisch aus der Region, das man kaufen könnte?

Vincent Moissonnier: Es gibt sehr gutes Fleisch, aber die Menge, die wir brauchen, können wir hier nicht beziehen. Wir müssten einen Bauern nur für uns beauftragen. Wir haben viel Fleisch aus Frankreich, aber auch sehr gutes von einem Bio-Metzger aus Holland.

„Isländische Scampi à la plancha, dazu grüner Spargel mit Räucherlachs-Coulis, Makrelenfilet in Zitrone-Ingwer-Soja-Marinade auf Basmati-Reis-Creme, Büffelricotta Campana Teneri mit Pistazie und Gurken-Gelee“ – das ist nur eine Vorspeise Ihrer aktuellen Karte. Was stand auf der ersten Karte?

Vincent Moissonnier: Wir hatten gar nichts. Wir hatten einen Tomatensalat, eine Quiche Lorraine, einen Salat mit gebratenen Pilzen, Entrecote, Buf Bourguignon, und Cassoulet. Als Dessert gab es Apfeltarte und Crème Caramel.

Klingt auch lecker.

Vincent Moissonnier: Das Problem war nur, dass ich einen jungen Koch aus Frankreich hatte, der nachts durch die Kneipen gezogen ist. Der war immer völlig betrunken. Nach drei Monaten war das Restaurant schon ziemlich gut besucht. Wir hatten ein Gericht mit Poulardenkeule. Das Ding war so zäh! Eine Kundin ist aufgestanden, hat mich beschimpft. Ich werde das nie vergessen: Die hat mir diese Keule hinterhergeschmissen, so sauer war sie. Es warkatastrophal.

Die Leute sind am Anfang also eher wegen des schönen Restaurants gekommen?

Vincent Moissonnier: Wegen der Weine und wegen eines begeisterten Artikels von Joachim Römer in der Industrie- und Handelskammerzeitung über uns. Von dem Moment an hatten wir eine Schlange von 50 Metern vor unserer Tür – das war für uns absolut schleierhaft.

Und die Küche wurde erst besser, als Eric Menchon kam?

Vincent Moissonnier: Die Küche wurde nach und nach besser. Eric ist zu uns gekommen, sechs Monate, nachdem wir aufgemacht haben. Ich hatte in Frankreich in einer Fachzeitung inseriert. Er ist aus Aix-en-Provence direkt aus der Lehre gekommen. Eric hat mit einer jungen Dame in der Küche angefangen. Heute haben wir allein acht Köche.

Und dann sind Sie langsam zusammen groß geworden?

Vincent Moissonnier: Das war unser Glück. Wir haben als Unbekannte ohne großes Pipapo angefangen. Wir wollten überleben. Nach und nach haben wir versucht, uns zu steigern.

Sie kannten die kölsche Prominenz aus Ihrer Zeit bei Keller. Das wurden anfangs auch ihre Gäste.

Vincent Moissonnier: Ich habe von vornherein gegen diese Boulevard-Prominenz gekämpft. Ich wusste genau, die kommen für drei Monate, und dann sehe ich sie nicht mehr. Wenn gewisse Leute zu oft kamen, haben wir einfach die Handwerker, die hier im Restaurant gepinselt haben, daneben gesetzt. Das war das Gegenargument. Dann sind die freiwillig nicht mehr zu uns gekommen, diese Leute. Das war nicht ihre Welt. Wir wollten kein Szenerestaurant sein.

Trotzdem kommen viele Promis.

Vincent Moissonnier: Nicht mehr oder weniger als woanders. Zu uns kommen eher Leute, die ihre Ruhe haben wollen. Wir sind diskret.

Hollywood-Regisseur Ron Howard hat neulich für einen Film über Niki Lauda hier im Restaurant gedreht.

Vincent Moissonnier: Ganz kurz, ja,für eine Szene mit Daniel Brühl. Aber wir machen das ungern, wir wollen keine Location sein. Ich hätte das nicht gemacht, aber Liliane ist wohl verknallt in Daniel Brühl.Ich habe nein, sie hat ja gesagt.

Kommen denn oft Franzosen hierher?

Vincent Moissonnier: Selten. Obwohl rund 8500 Franzosen in Köln leben. Ich bin der Überzeugung, dass der Deutsche eher bereit ist, mehr Geld für ein gutes Essen auszugeben. Der Franzose ist vom Grundsatz – ich meine nicht jeder, aber im Kern – eher sparsam. Der versucht,einen Komplettpreis zu bekommen, inklusive Wein, Wasser, Café.Das ist nur mein bescheidenes Urteil. Mein Gott. Wenn das der Sarkozy liest.

Fühlen Sie sich denn als Franzose?

Vincent Moissonnier: Ja. Alain Ducasse, ein sehr guter Koch, hat einmal gesagt, dass man kein Landsmann werden kann in einem Land, in dem man nicht geboren ist. Natürlich fühle ich mich sehr verbunden mit Köln. Unsere Kinder sind hier geboren, wir haben im Dom geheiratet, wir leben und arbeiten hier. Aber ich bin Gastarbeiter.

Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten – hätte es einen anderen Beruf für Sie gegeben?

Vincent Moissonnier: Ja. Ich verstehe es nicht, weil es überhaupt nicht zu mir passt, aber ich wäre gern Schauspieler geworden. Das hätte mir gelegen.

Müssen Sie im Restaurant nicht jeden Abend Schauspieler sein?

Vincent Moissonnier: Nein. Das ist hier keine Schauspielerei, das ist sehr, sehr ernst. Du darfst hier keinen Fehler machen. Einen Schauspieler kannst du korrigieren, schneiden oder neu drehen. Hier geht das nicht, hier muss alles sitzen. Ab einem gewissen Preisgefüge sind die Leute zu Recht sehr kritisch.

Was ärgert Sie?

Vincent Moissonnier: Was mich tierisch aufregt, sind Leute, die reservieren und nicht kommen.

Es hat sich viel geändert, aber drei Markenzeichen gab es eigentlich immer: das Ambiente, die Fliege des Patrons, dieMarshmallows und Orangenlutscher zur Rechnung. Die Süßigkeiten sind irgendwann vom Tisch verschwunden.

Vincent Moissonnier: Nein, die sind immer noch da.

Ich dachte, nur noch auf Aufforderung. Hieß es nicht, als Sie den Stern bekommen haben, Marshmallows seien nicht mehr fein genug?

Vincent Moissonnier: Grundsätzlich würden wir uns von keinem sagen lassen, was wir dürfen und was nicht. Auch nicht von Gastrokritikern. Lassen Sie mich kurz etwas zum Guide Michelin sagen: Die würden sich niemals in unsere Sachen einmischen. Deshalb ist bei uns alles so geblieben, wie es immer war. Das wird sich auch nicht ändern. Das Einzige, was sich geändert hat, sind die Ständer für die Orangenlutscher. Wir hatten wunderschöne aus Porzellan. Die mussten wir durch ganz gewöhnliche Holzständer ersetzen, weil die anderen permanent geklaut worden sind. Sonst ist alles so geblieben, wie es war. Na ja. Ein bisschen teurer geworden sind wir natürlich schon.

Haben Sie noch einen Traum?

Vincent Moissonnier: Ich kann da nur mit meiner Frau sprechen, weil die einen sehr großen Anteil an unserem Erfolg hier hat: Wir möchten einfach mal gesund hier rausgehen, irgendwann. Und den Punkt erwischen, wo wir spüren, jetzt lassen wir nach, das ist nicht mehr gut, lass uns lieber aussteigen.

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