Frauenberatung in Leverkusen wird 30„Gewalt zieht sich durch ganze Gesellschaft“

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30 Jahre alt wird die Frauenberatungsstelle.V.: Annette Witoßek (v.l.), Alexandra Engel.

Leverkusen – Ob häusliche Gewalt, Scheidung oder andere Krisensituationen: Bei der Frauenberatungsstelle Leverkusen finden Frauen einen verlässlichen Ansprechpartner. Nun wird das Netzwerk 30 Jahre alt und zieht Bilanz.

Unter dem ehrenamtlichen Vorstand Anette Witoßek und Alexandra Engel unterstützen die Sozialpädagogin Christiane Meinekat und die Sozial- und Pädagogin Judith Stohr Frauen in Not. 1992 wurde die Beratungsstelle vom Trägerschaftsverein „Frauen helfen Frauen e.V.“ der Frauenhäuser gegründet. „Damals haben immer mehr Frauen in den Frauenhäusern den Wunsch geäußert, beim Übergang in das eigene Leben einen Ansprechpartner zu haben“, erzählt Gründungsmitglied Anette Witoßek. Da eigene Räume fehlten, trafen sie sich mit den Klientinnen unter anderem in Cafés. Als dann mehr Frauen auch außerhalb der Frauenhäuser Beratungen gewünscht haben, wurde die Raumnot deutlich. „So sind wir in unsere ersten Räumlichkeiten in einen Hinterhof in der Kölner Straße gezogen“, berichtet Witoßek. Es folgten der weitere Ausbau des Netzwerks und 1999 schließlich die Gründung des autonomen Vereins der Frauenberatungsstelle.

Mittlerweile gehöre der Verein zum festen Bestand an Unterstützung in Leverkusen und arbeite auch mit der Polizei zusammen. Denn 2002 änderte sich mit dem neuen Gewaltschutzgesetz die rechtliche Lage der Frau. „Jetzt ist eindeutig festgelegt, dass die Person, die Gewalt ausübt, die Räume verlassen muss“, sagt Alexandra Engel. Der Polizei sei es damit erlaubt, einen Wohnungsverweis von bis zu zehn Tagen auszusprechen. Darüber hinaus würden die Beamten auch auf die Beratungsstelle verweisen. „Wir bekommen dann eine Mitteilung der Polizisten mit den Kontaktdaten der Betroffenen, falls diese es möchte. Wenn sie sich innerhalb von 48 Stunden nicht selber meldet, nehmen wir proaktiv Kontakt auf“, berichtet Judith Stohr.

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Das Team hilft Frauen in Notsituationen: Alexandra Engel, Christiane Meinekat, Annette Witoßek, Judith Stohr (v.l.).

Wird eine Beratung gewünscht, folgt Hilfe zur Selbsthilfe. „Viele Klientinnen sehen am Anfang vor lauter Wald die Bäume nicht. Da analysieren wir zuerst die Situation und erstellen einen individuellen Zukunftsplan“, so Christiane Meinekat. Dazu gehöre bei Bedarf auch eine Weiterleitung an Psychologen oder Rechtsanwälte. Ziel sei es, dass die Frauen wissen, was sie als Nächstes machen können. „Wir möchten alle unsere Klientinnen in ihrer Autonomie bestärken“, fasst Alexandra Engel zusammen.

Zahlen in Pandemie gestiegen

Während der Pandemie fiel dem Team ein sprunghafter Anstieg an Anfragen auf. Vor allem Beratungen zum Thema häusliche Gewalt steigen exponentiell, so Engel. Wurden 2012 noch 82 Beratungen zu dem Thema durchgeführt, waren es 2019 schon 773 und 2021 bereits 1137. „Diese hohen Zahlen müssen allerdings nicht nur Negatives aussagen“, meint Judith Stohr. Denn die immer lauter werdende öffentliche Debatte lässt das Tabu-Thema zurück in die Gesellschaft rücken. Zusammen mit der größeren Bekanntheit der Beratungsstelle könne es durchaus sein, dass sich nun mehr Betroffene Hilfe holen und die Dunkelziffer sinkt.

„Häusliche Gewalt zieht sich durch alle Nationalitäten und Gesellschaftsschichten. Wir stellen mittlerweile fest, dass immer mehr darüber reden“, so Stohr. Zusätzlich werden die Klientinnen immer selbstständiger. So seien sie deutlich häufiger berufstätig und damit noch unabhängiger. Dies sei ebenfalls bei Frauen mit Migrationshintergrund der Fall. „Was dieses Gebiet angeht, sehen wir einen positiven Zukunftstrend. Viele Frauen vernetzen sich nach dem Besuch bei uns untereinander und helfen sich gegenseitig“, sagt Stohr.

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Das große Problem der Beratungsstelle bleibe jedoch weiterhin die Finanzierung. Nur 85 Prozent der Personalkosten sowie eine Sachkostenpauschale werden vom Land bereitgestellt. Zusätzlich übernehme die Stadt Leverkusen seit ein paar Jahren einen Teil der übrigen Kosten. „Allerdings haben wir am Ende immer noch mit einer Finanzierungslücke von knapp 10.000 Euro jährlich zu kämpfen“, berichtet Alexandra Engel. Spender zu finden sei seit der Pandemie deutlich schwieriger. Viele Möglichkeiten wie Benefizkonzerte seien weggefallen und die Planung neuer Aktionen binde Ressourcen. „Deswegen ist unser großes Ziel die finanzielle Unabhängigkeit. Damit können wir die frei werdende Zeit für weitere Beratungsgespräche nutzen“, so Anette Witoßek. Bereits jetzt seien die Räume in der Birkenbergstraße 35 zu klein. Allerdings konnte kürzlich ein Raumteiler angeschafft werden. Nach dem geplanten Einbau Ende des Jahres können dann mehrere Beratungen parallel angeboten werden.

Am 16. September feiert die Frauenberatungsstelle ihr Jubiläum. Auch Oberbürgermeister Uwe Richrath wird kommen.  

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